Sommer im Büro: Wenn selbst die Computer nur noch still miteinander kommunizieren
Essay von Dilek Güngör, Journalistin und Autorin aus Berlin
In unserem Büro gibt es zwei Bäder. In einem steht eine Dusche, im anderen sogar eine Wanne. Ich habe noch nie jemanden darin baden sehen, ich habe auch selbst noch nie darin gebadet, was schade ist. Ich bade für mein Leben gern. Gar nicht, weil ich das Wasser so liebe, es ist die Hitze. Sie macht einen angenehmen, freundlichen, gut gelaunten Menschen aus mir. Hitze ohne Wasser geht nicht, außerhalb der Wanne macht mich Hitze fertig. Ich werde zu einem müden, schweren Sack.
Die meisten Besucher machen Witze über unsere Bäder. Aber sie beneiden mich um die Fenster vor und an der Seite meines Schreibtisches. Sie ziehen sich über die ganze Wand. Von meinem Bürostuhl aus sehe ich sehr viel Himmel, das ist schön. Denn Schreiben ist ja viel mehr kucken und nachdenken und überlegen und an etwas anderes denken, als tatsächlich tippen.
Den Himmel sehe ich in der einen Jahreshälfte. Sobald es draußen über 20 Grad wird, ziehen wir die Jalousien zu. Am Morgen die vor dem Tisch, ab Mittag dann die an der Seite. Je greller die Sonne hereinscheint, desto dichter müssen die Lamellen schließen. Dann schalte ich die Schreibtischlampe an und suche meine Gedanken im Grau der Jalousien. Man sagt, wenn man die Fenster schon am Morgen verdunkelt, heizt sich das Büro nicht so stark auf. Das stimmt nicht. Die Hitze dringt munter durch alles hindurch, Mauern, Mörtel und Scheiben, erst recht durch Jalousien. Durch jede einzelne in unserem Büro. Eines Tages, sehr wahrscheinlich an irgendeinem Tag im August, wenn nicht in diesem Jahr, dann im nächsten, werde ich auf meinem Stuhl festschmelzen. Nie werde ich mich wieder aufrichten können, das Gewicht meines ergonomisch geformten Bürostuhls wird mich immerzu in den Sitz ziehen.
Ab Juni beneidet uns kein Mensch mehr um das Büro im Himmel und um die aufgeheizte Finsternis. Dafür umso mehr um die Bäder. Wir kühlen in der Dusche unsere Köpfe ab, die Beine und steigen ganz hinein, bevor wir nach einem schwülen Tag das Büro verlassen und Freunde treffen. An den Haken trocknen unsere Handtücher, auf der Ablage stehen Duschgel und Deo. Das gibt unseren Bädern etwas Intimes, fast ist es so, als wären wir zu Hause. Auch die Badesachen der Kollegen, die manchmal aus den Taschen lugen, die Sonnencreme, die Brille, machen aus dem Büro etwas sehr Privates. Gewähren einen kleinen Blick auf ein anderes Leben der Kollegen, von dem man ja weiß und manchmal etwas hört, aber so wenig sieht. In der Früh legen wir Wassermelonen in den Kühlschrank, Trauben ins Gefrierfach, essen Eis und kalten Joghurt. Die gefrorenen Trauben füllen wir in unsere Wassergläser oder lassen sie einander ins T-Shirt fallen.
Und dann, wenn es nicht mehr heißer werden kann, weil sich jeder Tag gleich heiß anfühlt, wenn man sich beinahe an die Hitze gewöhnt hat und es niemanden mehr stören würde, wenn wir in Badesachen an den Computern säßen, leert sich das Büro. Es wird still, niemand kommt, niemand geht und keiner hält den Kopf unter die Brause. Es ruft auch niemand an, selbst die Computer kommunizieren still miteinander, eine Abwesenheitsnotiz beantwortet die andere. Wir zwei, die übrig und nicht im Urlaub sind, könnten uns in die Wanne setzen. Wenn wir die Beine anziehen, wäre sogar noch Platz für einen Dritten. Wir könnten Badepausen machen, oder gleich die Laptops an den Wannenrand stellen. Immer wieder kaltes Wasser nachlaufen lassen und Melonen essen. Die Türen offen stehenlassen, die Jalousien aufziehen und in den Himmel kucken.
Dilek Güngör, Journalistin und Autorin aus Berlin, für Adlershof Journal. Gerade ist ihr neuer Roman „Ich bin Özlem“ (Verbrecher Verlag) erschienen.