Start-up-Spirit für das Bildungswesen
Kathleen Fritzsche vom Stifterverband will die Kooperation zwischen EdTech-Start-ups und Hochschulen vorantreiben, mit dem Ziel, die Digitalisierung im Bildungssektor zu verbessern
Wie können EdTech-Start-ups mit technologischen und didaktischen Innovationen dazu beitragen, Hochschulen zukunftsfest zu machen? Diese Frage wirft der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. in der „Charta für Bildungsinnovationen“ auf. Im Interview spricht die verantwortliche Programmmanagerin Kathleen Fritzsche über Initiativen wie die Charta, den EdTech-Kompass und Hochschulen als potenzielle Reallabore für Start-ups sowie über das Ziel, im öffentlich finanzierten Bildungssektor innovative Potenziale zu entfesseln.
Der Stifterverband wirbt für mehr Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Bildungsinstitutionen und EdTech-Start-ups. Welche Chancen sehen Sie darin für Hochschulen?
Als Stifterverband liegt uns daran, beide Seiten zusammenbringen. Denn wir sind überzeugt, dass ein zukunftsfähiges Bildungssystem innovative digitale Werkzeuge und Lösungen braucht. Für Hochschulen trifft das in der Lehre, Forschung und Verwaltung zu. EdTech-Unternehmen treiben die digitale Innovation voran, identifizieren Optimierungspotenziale in Prozessen, und sie können Impulse zur Digitalisierung der Hochschulen geben. Der Transfer ihres digitalen und methodischen Wissens kann helfen, Strukturen in Hochschulen zu verbessern. Viele Hochschulen nutzen auch bereits Open-Source- oder Open-Innovation-Lösungen, beispielsweise Lernmanagementsysteme. Häufig geht das allerdings auf die Initiative von Einzelpersonen zurück, die bessere Lösungen für ihre Seminarorganisation oder kollaborativen Prozesse suchen. Sie tragen ihre Erfahrungen nicht immer in die Breite, weshalb die Ansätze teils weder in der eigenen Hochschule noch darüber hinaus bekannt sind.
Gibt es Befunde zum Bedarf an neuen Ansätzen des digitalen Lernens in Hochschulen?
Das ist nicht so leicht zu beantworten. Hochschulen haben zwar in den letzten Jahren effiziente Förderstrukturen für Ausgründungen aufgebaut, sehen sich aber eher nicht als Kunden von Start-ups. Dass es Bedarf gibt, steht auf einem anderen Blatt. Studierende haben beispielsweise ein Interesse daran, optimal auf digitale Arbeitswelten vorbereitet zu werden. Digitale Kompetenzen sind zukunftsrelevant. Neue Ansätze für digitales Lernen, digitale Methodik und Didaktik sind ebenso gefragt, wie die Vermittlung von Medienkompetenzen. Die Wissenschaft muss einen Umgang mit Falschinformationen und der oft interessengeleiteten Negation wissenschaftlicher Erkenntnisse in öffentlichen Diskursen finden. Die digitale Welt stellt auf vielen Ebenen Herausforderungen an das Bildungssystem, die es zu beantworten gilt. Ideen der EdTech-Branche können dabei helfen.
Bisher richten EdTech-Start-ups ihre Angebote eher auf private Kunden als auf das öffentlich finanzierte Bildungswesen aus. Woran liegt es?
Es gibt vielerlei Hindernisse. So agieren Hochschulen bei der Beschaffung nicht im rechtsfreien Raum, sondern sie müssen vorhandene Lösungen im Markt vergleichen und dürfen Niemanden übervorteilen. Fällt die Wahl auf ein Produkt, dann müssen die Entscheidungskriterien nachvollziehbar sein und dokumentiert werden. Zugleich sind beide Welten sehr unterschiedlich…
…und vom Mindset her nicht wirklich kompatibel?
Hochschulen sind komplexe Organisationen mit bürokratisch formalisierten Abläufen, die Zeit in Anspruch nehmen. EdTech-Start-ups sind das genaue Gegenteil: dynamisch, unkonventionell mit flachen Hierarchien und kurzen Entscheidungswegen. Sie bauen eine Existenz auf, müssen ihren Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb verteidigen und haben weder finanziell noch personell die Ressourcen, um abzuwarten, bis die Beschaffungsmühlen einer Hochschule gemahlen haben.
Was schlagen Sie vor, damit beide Seiten niederschwelligen Zugang zueinander finden?
Einerseits braucht es standardisierte Prozesse, damit Hochschulen sehr viel unkomplizierter als bisher mit neuen Partnern kooperieren können. Dafür gilt es Verantwortlichkeiten zu definieren und Kontaktmöglichkeiten zu schaffen. Denn bisher müssen Start-ups für jede Hochschule und Fakultät eine neue Akquisestrategie entwickeln, wofür ihnen die Ressourcen fehlen. Wir plädieren auch für Plattformen, auf denen interessierte Hochschulen und EdTech-Teams zueinanderfinden. Natürlich ist nicht jede Lösung der EdTech-Branche für Hochschulen relevant. Doch um ihre Ideen bedarfsgerechter auslegen zu können, sollten Hochschulen unkomplizierte Möglichkeiten zur Erprobung bieten und sich – sofern es passt, mit ihrem Know-how in die Entwicklung einbringen: Hochschulen als Reallabor und Testbed, in dem Start-ups ihre Tools und Software anwendungsorientiert weiterentwickeln können. Digitale Technologie darf natürlich kein Selbstzweck sein. Aber damit sie tatsächliche Verbesserung im Bildungswesen der Zukunft auslösen kann, sollten wir die Innovations- und Kooperationspotenziale zwischen EdTech-Start-ups und Hochschulen heute ausloten. Dafür bedarf es personeller und finanzieller Ressourcen.
Noch ist das Potenzial nur vage zu erahnen. Wie lässt es sich sichtbarer machen?
Wir werben für Austauschformate und Matching-Plattformen. Im ersten Schritt müssen beide Welten zueinander finden und Verständnis für ihre jeweiligen Bedürfnisse und Möglichkeiten entwickeln. Mit dem EdTech-Kompass hat das Hochschulforum Digitalisierung beispielsweise ein Format entwickelt, das eine Auswahl an EdTech-Akteuren vorstellt. Auf Bildungsmessen wie der Learntec gibt es ebenfalls Plattformansätze, um den Austausch in Gang zu bringen und Potenziale sichtbar zu machen. Und dabei soll es nicht bleiben.
Kann die Politik helfen, das Innovationspotenzial der EdTech-Branche für die Hochschulentwicklung nutzbar zu machen?
Es braucht Übersetzungsarbeit, einen moderierten Annäherungsprozess und Ressourcen. Auch Wettbewerbe können für Sichtbarkeit und neue Anreize zur Zusammenarbeit sorgen. Es hat sich in der Vergangenheit wiederholt gezeigt, dass gut überlegte Anreizsysteme die Basis für technologische Entwicklungen schaffen können. Wir hoffen, dass die neue Deutsche Agentur für Transfer- und Innovation (DATI) hierfür neue Ansatzpunkte etablieren kann. Besonders der Bildungssektor braucht aktiven Innovationstransfer, um die Digitalisierung mit mehr Nachdruck angehen zu können. EdTech-Innovationen können dabei zu einem wichtigen Treiber werden.
Zur Person:
Kathleen Fritzsche ist Programmmanagerin im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. und war Co-Autorin des Diskussionspapiers "EDTECH-START-UPS UND BILDUNGSINSTITUTIONEN ZUSAMMENBRINGEN", das beim Stifterverband zum Download bereitsteht.