Talente finden und binden
Gar nicht so einfach. Deutschland ächzt unter dem Fachkräftemangel und dabei nimmt der demographische Wandel gerade erst Schwung auf. Wie gehen Adlershofer Institute und Unternehmen damit um?
Die Sentech Instruments GmbH wächst stark und benötigt daher Fachkräfte, vor allem Ingenieur:innen. Damit ist das Problem benannt: Der Markt scheint wie leergefegt. „Seit zehn Jahren rekrutiere ich Mitarbeitende“, sagt Cordula Krüger, Personalchefin von Sentech. „Meine Arbeit hat sich grundlegend gewandelt.“ Während die aktuell vier offenen Vakanzen früher über eine Ausschreibung auf der eigenen Homepage zeitnah zu besetzen gewesen wären, sei dies heute fast undenkbar.
Also bespielt Krüger alle denkbaren Kanäle, rekrutiert überregional über große Jobportale wie Stepstone, postet auf Social-Media-Kanälen wie LinkedIn, geht direkt an Hochschulen und schaltet auch Headhunter ein. Inzwischen locken sogar Boni für Sentech-Mitarbeitende, wenn sie neue Kolleg:innen empfehlen. Krügers Geschäft ist klar schwieriger geworden. Gerade bei den für den Anlagenbauer so wichtigen „Inbetriebnehmenden“, die Maschinen auf Herz und Nieren testen, bevor diese ausgeliefert werden. „Dafür benötigen wir Maschinenbauer:innen mit physikalischem Hintergrundwissen“, erklärt Krüger. Eine rare Spezies.
Besser sieht es bei nichtakademischen Kräften aus: Erst kürzlich suchte Krüger zwei Verpacker:innen, die nicht nur zügig gefunden, sondern auch gut ausgebildet waren und die Firma nicht mit überzogenen Ansprüchen konfrontierten. Damit hat es die Personalerin bei jüngeren hochqualifizierten Kräften öfter zu tun – dann zählen ein sehr hohes Gehalt und Work- Life-Balance mitunter mehr als die eigentliche Aufgabe. Was Krüger wenig überzeugt. „Schön wäre, wenn Bewerbende realistisch blieben und den Spaß an der Arbeit in den Vordergrund rückten“, merkt sie an.
„Diese Erfahrung können wir teilen“, sagt Björn Wedel, Geschäftsführer der PT Photonic Tools GmbH. Er betont zugleich, „dass es uns nach wie vor gelingt, sehr gute Leute zu finden, die wir mit den spannenden und herausfordernden Tätigkeiten, die unsere weltweite Kundschaft bietet, begeistern und binden können.“
Die auf Ultrakurz- und Hochleistungs-Laserkomponenten spezialisierte Firma muss rund ein Dutzend offene Stellen – vom Engineering über den Vertrieb bis hin zur Montage – besetzen, braucht dafür aber lange und muss erhöhte Ressourcen aufwenden. Mit Blick auf die Zukunft ist Wedel in Sorge: „Das ist ein echtes Wachstumshindernis, nicht nur für uns, sondern auch für den gesamten Wirtschaftsstandort.“ Bange wird ihm, wenn er auf die Arbeitsmärkte in China oder Indien blickt: „Da ticken die Uhren anders.“
Mit Blick auf Adlershof formuliert Wedel: „Wir hoffen, dass sich in Zukunft die Faszination der Photonik und die Möglichkeiten einer Karriere bei uns auf dem Campus herumsprechen und viele Adlershofer Absolvent:innen den Weg zu Photonic Tools finden.“ Etwa von der benachbarten Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Dort lehrt Professor Ulf Leser. „Wer einen sicheren und gut bezahlten Job haben möchte und sich für informatische Themen interessiert, dem empfehle ich ein Informatikstudium“, sagt der Prodekan für Forschung der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der HU und Sprecher eines Sonderforschungsbereiches zu Big Data in den Naturwissenschaften. „Uns werden die Studierenden geradezu aus den Händen gerissen.“ Und das ungeachtet der konjunkturellen Delle hierzulande.
Mittlerweile ist selbst an den Universitäten der Fachkräftemangel zu spüren. Denn die Zahl derer, die sich auf eine ausgeschriebene Promotionsstelle bewerben, sei in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen, berichtet Leser. Da helfen auch die sehr guten Bedingungen für Promovierende in der Informatik nicht immer, in der mindestens Drei-Jahres-Verträge und ein gutes Gehalt die Regel sind. Von den allseits beklagten vermeintlich prekären Beschäftigungsverhältnissen im Wissenschaftsbetrieb kann zumindest am Adlershofer Institut für Informatik nicht die Rede sein.
Bereits mit einem Bachelor sind die Jobaussichten sehr gut – rund ein Drittel der Bachelor-Absolventen startet direkt in einen Job. Ein Master wird dann nicht mehr angehängt, wenn die Studierenden bereits früh von Unternehmen umworben werden. „In dieser Hinsicht müssen wir nun wirklich nicht vermitteln. Kein Studierender fragt am Institut nach etwaigen Angeboten aus der Wirtschaft, sondern eher, wie er oder sie schneller fertig werden kann, weil der Arbeitsvertrag schon unterschrieben ist“, erzählt Leser. Mitunter starten Studierende so flott ins Berufsleben, dass sie versuchen, ihre Abschlussarbeiten nebenher zu schaffen.
Direkt am Standort blieben allerdings die wenigsten. Anders verhalte es sich bei Fächern wie Chemie, Physik oder Geografie, deren Absolvierende ebenfalls hervorragende Berufsaussichten hätten – dies auch bei Firmen und Forschungsinstituten auf dem Campus: „Adlershofer Unternehmen haben hier einen direkten Zugang zu Talenten“, betont Leser.
Wofür auch Christoph Scherfer vom Postdoc Office der Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH (HZB) sorgt. Er unterstützt die mehr als 100 Postdocs am HZB bei ihrem Schritt in die Arbeitswelt. Unter anderem mit Inhouse-Trainings, Kontaktaufbau zu Unternehmen, Firmenbesuchen, Networking durch die von der WISTA Management GmbH durchgeführten Adlershof Campus Clubs sowie neuerdings mit einem dreimonatigen Hospitationsprogramm in der Industrie.
Denn längst nicht jeder wird mangels Stellen eine Wissenschaftskarriere einschlagen können und nicht alle haben dafür schon allein durch ihre Forschung ausreichende Qualifikationen.
„Wir fördern Postdocs beim Erwerb dieser Fähigkeiten, für verschiedene Karrierewege wie beispielsweise die akademische Forschung, die Industrie, als Gründer:innen, im Wissenschaftsmanagement oder in der Wissenschaftskommunikation“, erklärt Scherfer. Sich in Sachen Projektmanagement und Führungsfähigkeiten zu qualifizieren, erweise sich beispielsweise als wertvoll, weil diese Skills in vielen Berufszweigen gefragt seien. „Außerdem sind direkte Einblicke in die Arbeit von Unternehmen wichtig – das weitet den Blick für mögliche Karrierewege“, betont Scherfer. „Neben Gastvorträgen am HZB und Firmenbesuchen fördern wir diese Einblicke durch die Postdoc-Hospitationen.“
Wo Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zuweilen umdenken müssen ist, dass die freie Wirtschaft anders tickt: Produkt- und gewinnorientiertes Handeln steht hier eben ganz oben auf der Agenda. „Wo bereits zwischen Postdocs und Unternehmen Kontakte bestehen, klappt der Wechsel in der Regel sehr gut“, ist Scherfers Erfahrung. Auch deshalb wünscht er sich weitere Firmenkontakte und Kooperationen. Ein besseres Matching hilft, den Fachkräftemangel zumindest zu mildern – die Alarmglocken müssen in Adlershof also nicht so laut schrillen wie andernorts.
Chris Löwer für Adlershof Journal