Tollkühne Männer auf fliegenden Kisten
Night of the Jumps
Sie heißen Cliffhanger, Tsunami oder Suicide Backflip. Was sich martialisch anhört, sieht auch genauso aus. Fast 30 Meter weit und 15 Meter hoch fliegen Athleten mit ihren Motorrädern. Manchmal sieht es so aus, als würden beide nicht gemeinsam landen, denn während des Sprunges absolvieren die – für jeden Anhänger der Straßenverkehrsordnung – „Verrückten“ halsbrecherische Tricks. Beim „Nothing“ trennt sich der Fahrer kurzzeitig komplett von der Maschine und fängt sie wieder ein. Genau deswegen wächst die Fangemeinde ständig und trifft sich zur „Night of the Jumps“ in Berlin, in Johannesburg oder am 21. Oktober in Riga. Organisiert und vermarktet wird das Spektakel von Marko Manthey und seinen Kollegen von der Firma Sport plus in Adlershof.
In gewisser Weise ist Marko Manthey Zirkusdirektor. Sein Zelt sind große Veranstaltungshallen wie die O2-Arena in Berlin oder gar Fußballstadien unter anderem in Salzburg, Namibia oder Brasilien. Seine Akrobaten sind Freestyle Motocrosser, seine Zirkuspferde 250-Kubikzentimeter- Motorräder. Seine Tourneen führen ihn auf vier Kontinente. Lichtshow, Feuerwerk, Autogrammstunde inklusive – jede Show ein dreistündiges aktionsgeladenes Erlebnis. Seit dem Start im Jahr 2001 hat sich die „Night of the Jumps“ zur führenden Freestyle Motocross Tour der Welt entwickelt.
Freestyle Motocross oder kurz FMX hat sich aus dem Motocross entwickelt. Beim FMX springen die Fahrer mit leicht veränderten Motocross-Maschinen über Sprungschanzen („Kicker“). In den wenigen Sekunden zwischen Absprung und Landung führen sie teils sehr waghalsige Manöver in der Luft aus. Je nach Wettbewerb werden ein einzelner Sprung oder eine Reihe von Sprüngen in vorgegebener Zeit von Kampfrichtern, den Judges, bewertet. Der Fahrer mit der höchsten Wertung gewinnt.
In mehr als 20 Ländern ist die Tour regelmäßig zu Gast, mehr als 1,5 Millionen Menschen
haben die Nacht der Sprünge bereits erlebt. Seit 2006 sind die Veranstaltungen auch Wettkämpfe: Die FIM – Fédération Internationale de Motocyclisme, der Motorradsport- Weltverband, trägt auf der Tour ihre Freestyle-Motocross-Welt- und Europameisterschaftsläufe aus. Dafür hat das Unternehmen sogar ein eigenes Regelwerk erarbeitet. Noch im Startjahr sah das ganz anders aus. Als Pausenprogramm bei Motorradrennen – das konnten sich viele vorstellen, als eigenständiges Programm kaum.
Marko Manthey, der eigentlich diplomierter Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Controlling
ist, hat nicht einmal einen Motorradführerschein. Verrückte Sachen hat er lieber auf dem BMX-Fahrrad gemacht. Als Profi war er mal Vierter und Sechster bei Weltmeisterschaften. Ein Downhill-Rennen, bei dem er schwer stürzte, beendete seine aktive Karriere. Um diese Zeit wandelt sich in Amerika der Freestyle Motocross vom Pausenprogramm zum ernsthaften Sport mit eigenen abendfüllenden Shows. „Und im Prinzip ist Freestyle Motocross wie BMX, nur mit Motorrädern. Da habe ich sozusagen die Seite des Schreibtischs gewechselt“, sagt Manthey. Im ersten Jahr mussten Manthey und seine Kollegen für die erste Night of the Jumps trotzdem nach Riesa ausweichen. „Die Hallen in den großen Städten glaubten noch nicht an den Erfolg.“ Wurde bei den ersten Veranstaltungen eine Woche aufgebaut und eine halbe Woche abgebaut, so ist das Team inzwischen so gut strukturiert, das sie alles innerhalb von je einem Tag schaffen. Viel Arbeit, denn pro Veranstaltung bewegt das Team etwa 1.600 Kubikmeter Sand, etwa 100 LKW-Ladungen, dazu kommen vier Trucks mit Ausrüstung und Technik. Die Qualität des Sandes ist dabei für die „Tracks“ mit den Rampen enorm wichtig. „Da wird man zwangsläufig zum Hobby- Geologen“, erzählt Manthey.
Zwölf bis 16 Fahrer starten pro Event. Die Besten unter ihnen können inzwischen sehr gut von ihrem Sport und den Sponsoren leben. Für die sind die Veranstaltungen interessant, weil Manthey und seine Mitarbeiter mehr als 500 Stunden Fernsehmaterial selber produzieren, in mehr als 40 Ländern gibt es einstündige Live-Übertragungen vom Wettkampf, weitere 140 Länder senden eine Highlight- Show. 14 Nächte haben die zwölf Mitarbeiter der Firma vergangenes Jahr organisiert. Es sind DJs, Bankkaufleute, Sport- und Touristikmanager. Die meisten davon sind von Anfang an dabei, haben zu Beginn ausgeholfen und sind geblieben, als die Firma wuchs.
Unterhaltung ist eine Kunst – so das Motto des fahrenden Volkes um Manthey. Diese Kunst macht er vor allem für Familien, darauf legt er Wert. Die O2-Arena in Berlin hat er schon mal für die kommenden drei Jahre fest gebucht: „Wir bewegen uns im Rock’n’Roll-Business. Da wollen auch andere wie die Stones rein.“
von Rico Bigelmann
Link: www.notj.de