Tschaglayan, mein kleiner Wasserfall
Können Namen eine internationale Karriere blockieren?
Freunde von mir haben vor sechs Wochen ihr drittes Kind bekommen, einen Jungen. Çaǧlayan heißt er. Schön. Kleiner Wasserfall bedeutet das. Ein Häkchen unter dem C, ein Bögchen über dem g, da wird er eben ein bisschen buchstabieren und erklären müssen, wenn er groß ist.
„Das ist alles Ahmets Schuld“, sagt meine Freundin, da habe ich die Wohnungstür noch nicht hinter mir geschlossen. Ahmet ist ihr Mann und dummerweise gerade mit dem Kleinen im Kinderwagen spazieren, sodass ich mit der aufgelösten Mutter ganz allein bin. Ich hange meinen Mantel auf und als ich mich wieder zu ihr drehe, sehe ich, dass sie weint. „Eine internationale Karriere kann er vergessen. Er muss sich einen neuen Namen zulegen“, sagt sie und drückt mir einen Stapel Karten in die Hand.
„Ich hatte an der Uni eine chinesische Kommilitonin, die nannte sich Rainbow, weil sie fand, ihren chinesischen Namen könne niemand aussprechen.“ Vielleicht tröstet sie das. Meine Freundin will wissen, wie die Frau denn richtig hieß. Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. „Siehst du, du kannst dir nicht einmal einen kurzen chinesischen Namen merken“, heult sie. Ich weis nicht, wie sie darauf kommt, dass der Name kurz war, vielleicht war er lang und kompliziert, ich nannte die Frau eben Rainbow, so wie sie jeder Rainbow nannte.
„Soll mein Sohn jetzt herumlaufen und sich Kleiner Wasserfall nennen?“ Sie tut so, als wäre Çaǧlayan mein dringender Wunsch gewesen. „Keiner wird den Namen je richtig schreiben, geschweige denn richtig aussprechen. Dass man das Ç wie tsch spricht, wissen vielleicht ein paar Leute, aber wer weis denn, dass man das ‚ǧ‘ nicht hört? Tschaglayan werden sie zu ihm sagen, oder Tsaglayan, oder Kaglayan. Schau, sogar in der Druckerei haben sie es vermasselt.“ Sie zeigt auf die Karten in meiner Hand, die ich schon vergessen habe. Vorne auf den Klappkarten ist ein Foto von ihren beiden größeren Söhnen und dem Baby. Die Großen sitzen eng nebeneinander auf dem Elternbett, der Neugeborene liegt quer über ihren Schenkeln. Der eine Bruder hat die obere Hälfte des Babys bekommen, der andere die untere. Man sieht den Jungs an, dass sie sich gestritten haben, wer welche Hälfte halten darf. Fürs Foto immerhin haben sie ein verkniffenes Lächeln zustande gebracht. 3540 Gramm, 56 Zentimeter. Dann sehe ich, was sie meint. Die Cedille unten am C ist da, das Breve über dem g aber fehlte ursprünglich. Jemand hat es mit einem feinen Faserstift nachträglich darüber gesetzt.
„Bei den Großen habe ich mich durchsetzen können“, sagt meine Freundin. Sie weint glücklicherweise nicht mehr. „Ali und Burak sind Namen, die jeder aussprechen kann, jeder kann sie schreiben und auf jeder Computertastatur mit lateinischen Buchstaben tippen. Nicht ein Umlaut, kein Sonderzeichen, nichts.“ Es wurde auch nie jemand fragen, ob Ali ein Mädchen sei oder ein Junge. Ich frage, warum Ahmet unbedingt auf diesen Namen bestanden habe. Ob er an jemanden Bestimmten dachte? „Ach was, in unserer Familie heißen alle Ahmet oder Mehmet. Einen Caǧlayan hat es noch nie gegeben. Ich wette, sogar meine Mutter verschreibt sich bei dem Namen.“ „Jetzt übertreibst du.“ „Ich hatte nicht weich werden dürfen.“ „Bitte weine doch nicht wieder.“ „Ahmet sagte, er habe sein Lebtag noch keinen Brief bekommen, in dem sein Name richtig geschrieben sei. Sogar auf seiner Gehaltsabrechnung ist sein Name falsch. Er hat mir die Briefe gezeigt, von der Bank, von seinem Fitnessclub, seine Zahnarztrechnung. „Achmed“ steht da, und „Ahmed“, „Achmett“ und „Achmat“. Er sagte, er wolle den Namen, der ihm gefallt, falsch geschrieben wurde er so oder so. Da hat er mir leid getan, mein Ahmet.“
Dilek Güngör ist Journalistin und Autorin. Wöchentlich erscheint ihre Kolumne „Weltstadt“ in der Berliner Zeitung.