Über gesprochene Pausen und den Respekt
Wie geschlechtergerechte Sprache uns prägt
Geschlechtergerechte Sprache – ein Thema, um das für die einen zu viel Gewese gemacht wird, das anderen noch viel zu kurz kommt. Wie wird in Wissenschaft und Wirtschaft damit umgegangen?
Als Anne Will Ende Mai in ihrer gleichnamigen Sendung ihren Gast Reiner Holznagel als „Präsident des Bundes der Steuerzahler_innen“ begrüßte und an der Stelle des Unterstrichs eine kleine Kunstpause machte, sorgte sie damit für Aufregung in den (sozialen) Medien.
Die einen halten es für Zeitverschwendung und eine unnötige Verkomplizierung, die anderen fühlen sich – als Leserin, Kundin oder Steuerzahlerin – einfach nicht mehr mitgemeint, wenn nur das sogenannte generische Maskulinum dasteht, das über Jahrhunderte als allumfassend galt. Dazu kommt, dass das Thema geschlechtergerechte Sprache viel zu polemisch diskutiert wird.
Luise F. Pusch, seit 40 Jahren als feministische Linguistin aktiv, hat in ihrem schon 1984 erschienenen Buch „Das Deutsche als Männersprache“ auf ebenso amüsante wie scharfsinnige Weise viele Absurditäten aufgezeigt, die sich aus dem generischen Maskulinum ergeben. Und die – negativen – Konsequenzen für Chancengerechtigkeit und Gleichberechtigung. Dabei hat sie vor allem mit der Macht argumentiert, die Sprache in unserem Leben hat.
Das tut auch der neue Leitfaden, den die Humboldt-Universität zu Berlin (HU) ihren Beschäftigten an die Hand gibt. Es geht darum, die existierende und die mögliche Vielfalt beim Attribut Geschlecht sowohl sprachlich als auch in Bildern angemessen zu repräsentieren. Denn: „Was nicht ausgesprochen wird, wird nicht sichtbar gemacht und eben auch nicht mitgedacht“, bringt es Ursula Fuhrich-Grubert auf den Punkt. Die Zentrale Frauenbeauftragte der HU hat den Leitfaden erarbeitet, gemeinsam mit Angehörigen aller Statusgruppen der HU sowie den dezentralen Frauenbeauftragten.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Mit zugänglich formulierten motivierenden Hintergründen und einer großen Vielfalt an konkreten Beispielen und sprachlichen Alternativen gibt es Menschen, die Interesse an oder Schwierigkeiten mit dem Thema haben, sowohl Denkanstöße als auch ganz praktische Hilfestellung.
„Wir wollen keinen Zwang ausüben, sondern haben ganz bewusst einen Ratgeber verfasst, auch mit dem Ziel, Vereinheitlichung zu schaffen. Viele wollen in ihrer täglichen Arbeit geschlechtergerechte Sprache berücksichtigen, wissen aber nicht wie“, berichtet Fuhrich-Grubert. Sie sind verwirrt von den diversen Ansätzen aus den letzten Jahrzehnten – von der Nennung beider Geschlechter über den Schrägstrich und den Unterstrich bis zum Sternchen.
Das sogenannte Gender-Sternchen empfiehlt die HU in ihrem Leitfaden. Gesetzt zwischen die männliche und die zusätzlich angefügte weibliche Form, dient es als symbolischer Platzhalter für alle Geschlechtsidentitäten jenseits von „Frau“ und „Mann“.
Weil vor allem in Kombination mit Artikeln der*die oder ein*eine die Konstruktionen komplizierter werden, bietet der Leitfaden eine Fülle von Anregungen, wie auf alternative, geschlechtsneutrale Weise formuliert werden kann. Das reicht von den „Studierenden“ bis zu „Redepult“ und Passivkonstruktionen.
Das Feedback auf den Ende 2019 in Umlauf gebrachten Leitfaden sei durchweg positiv; Einladungen, Protokolle, Präsentationen trügen vielfach bereits die neue Handschrift. Die wenigen unerfreulichen Kommentare ließen sich an einer Hand abzählen, berichtet Fuhrich-Grubert. Sie weiß allerdings auch, dass sie an einer Universität in einem vergleichsweise aufgeschlossenen Umfeld arbeitet. In der Wirtschaft oder der Justiz, wo es Frauen an sich schon schwerer haben, gebe es größere Widerstände.
Das ist auch die Erfahrung von Alexander Seiffert, Teamleiter digitale Medien bei der WISTA Management GmbH. Er hat es oft mit der Kommunikation von Inhalten für oder von Unternehmen zu tun. Der gelernte Radiojournalist kennt das Thema der geschlechtergerechten Sprache seit 30 Jahren. Häufig stünden sich die Fortschrittlichen und die Konservativen sehr dogmatisch gegenüber. Entscheidend ist für ihn daher Respekt – im Umgang miteinander, mit den Texten, die er bearbeitet, und mit Verfasser wie Leser. Oder, besser gesagt, mit Verfasserin und Verfasser wie Leserin und Leser. Oder: Verfasser/-in wie Leser/-in, wie es im Duden steht. Diese Möglichkeiten legt die Richtlinie der WISTA ihren Mitarbeitenden nahe.
„Wenn ich Texte verfasse oder redigiere, versuche ich zu berücksichtigen: Wer hat den Text ursprünglich geschrieben und in welcher Tonalität? Für wen schreibe ich das? Was ist mein Hauptanliegen?“, betont Seiffert. „Wichtig ist, möglichst niemandem vor den Kopf zu stoßen. Denn meine Aufgabe ist die Kommunikation, die soll verbinden – und nicht spalten.“
Hier ist also Fingerspitzengefühl gefragt. Beispielsweise sei völlig klar, dass im Kontext von MINT-Berufen beide Geschlechter explizit genannt werden. Ein eher technischer Text hingegen brauche hier weniger Aufmerksamkeit, findet Seiffert: „Es nutzt mir nichts, wenn ich mich an starre Regeln halte, aber mein Text seine Zielgruppe nicht mehr erreicht, weil er zu sperrig ist.“
Das Fehlen einer sprachlich ausgereiften Lösung ist auch ein Grund dafür, dass die WISTA-Richtlinie bislang keine allumfassende Geschlechterperspektive enthält. „Es müsste eine Lösung sein, die schon Kindergartenkinder problemlos sprechen und so verinnerlichen könnten“, meint Seiffert. Eine Idee: Warum nicht eine neue, einheitliche Form finden, etwa Physika statt Physiker/-in. „Das hätte den Charme, für beide Seiten neu, aber gut aussprechbar zu sein.“
So radikal? „Das ist eine Debatte für später“, zeigt sich Ursula Fuhrich-Grubert erstmal genügsam. Immerhin würde das einen ganz neuen Ansatz und einen erheblichen Eingriff in die deutsche Sprache bedeuten. Sprache sei zwar einem steten Wandel unterworfen, aber die aktuelle Öffnung mühsam genug.
Von Dr. Uta Deffke für Adlershof Journal