Unser Herz schlägt Hightech
Die Meinung von Katrin Robeck, Geschäftsführerin der B.I.G. Corporate Services, zum Thema Talente
Das „Talentethema“: Ist es wirklich so bedrohlich, wie es gern dargestellt wird? Eine mittelständische Unternehmensgruppe mit einem sehr hohen Bedarf an Fachkräften aus dem MINT-Bereich nimmt das Thema sehr ernst. Aber am Ende ist es nicht der Ernst, sondern „viel Herz“, was zählt. Ein Praxisbeispiel aus dem CleanTech Park Marzahn.
Um maßgeschneiderte technologische Lösungen und echte Mehrwerte zu schaffen, brauchen wir Menschen, mit Begeisterung für Technik und Spaß an Erfolgen. Diese Menschen zu finden und auch dafür zu sorgen, dass sie gerne bleiben, ist in diesem talentehungrigen Markt eine echte Herausforderung. Hinzu kommt, dass wir als Mittelständler im Vergleich zu großen und bekannten Arbeitgebermarken einiges mehr an Kreativität und Visibilität aufbringen müssen, um überhaupt gefunden zu werden.
Wir haben im Grunde zwei einfache Antworten auf die Talentefrage: Wir lieben, was wir tun und wie wir es tun. Natürlich sind grundsätzliche Themen wie Gehalt, eine moderne Arbeitsinfrastruktur und attraktive Büros auch wichtig. Aber diese Faktoren sind gesetzt und nicht unbedingt „Eyecatcher“ oder unmittelbare Alleinstellungsmerkmale.
Unser Herz schlägt Hightech. Damit haben wir eine Arbeitgebermarke, die – übrigens gemeinsam mit den Mitarbeitenden erarbeitet – ganz einfach zusammenfasst, was wir tun. Die Produkte müssen für Ingenieure und Tüftlerinnen auch irgendwie cool sein. Durchdacht, genial, komplex und von Kund:innen geliebt.
Aber es ist nicht nur das Was. Wie Lösungen gefunden und Mehrwerte geschaffen werden, ist enorm wichtig geworden. Zum Wie gehören Zugehörigkeit, Wertschätzung und die Möglichkeit, auch persönlich wachsen zu können. Es braucht eine Umgebung voller Vertrauen, aber auch Spaß an der Arbeit und nicht zuletzt die echte Chance und ernstgemeinte Möglichkeiten zur Mitgestaltung.
B.I.G. befürwortet Selbstorganisation – wir nennen es kollegiale oder geteilte Führung. Wir sind überzeugt, dass Menschen begeisterter und motivierter sind, wenn sie möglichst viel selbst- oder mitentscheiden dürfen.
Wir haben nur noch wenige und in einzelnen Unternehmen sogar gar keine Führungskräfte. Für uns gehört es zu unserer Arbeitswelt dazu, dass wir uns Führungsaufgaben teilen. Jedes Teammitglied wird zu eigenen Beiträgen ermutigt, jeder und jede trägt Verantwortung und hat gleichzeitig aber auch großen Gestaltungsspielraum. Es gehört zu unserer DNA, unterschiedliche Positionen und Herangehensweisen unabhängig von Hierarchien einzubeziehen.
Bei fehlenden oder sehr flachen Hierarchien fehlt aber auch eine zentrale ordnende Instanz. Ordnung oder Struktur als Ankerpunkt und „emotionales Zuhause“ kann bei geteilter Führung erst aus der Organisation heraus entstehen. Das ist auch eine analytische und methodische Herausforderung: Wer muss wann mit wem reden? Wie werden Entscheidungen getroffen? Wie gehen wir mit Konflikten um? Wenn mehr Menschen mitreden, entsteht tatsächlich auch mehr Reibung.
Wir hatten Sorge, dass die Mitarbeitenden ohne Führung im herkömmlichen Sinne auch ein bisschen verloren und unsicher sind. Tatsächlich ist die psychologische Sicherheit unserer Mitarbeitenden aber sehr hoch. Von der Energy Factory – einem Spin-off der Universität St. Gallen – haben wir sie vor ein paar Wochen methodisch wasserdicht messen lassen.
Das ist alles harte Arbeit. Von uns Geschäftsführer:innen verlangt es den Mut loszulassen, auch wichtige Entscheidungen von den Teams treffen zu lassen und auf die Kraft kollegialen Wissens zu vertrauen. Aber es lohnt sich. Vielleicht ist deswegen das Talentethema für uns auch nicht ganz so bedrohlich.
Katrin Robeck ist Geschäftsführerin der B.I.G. Corporate Services. Ansässig am Zukunftsort CleanTech Marzahn bündelt die Berlin.Industrial.Group. Unternehmen, die in verschiedensten Industriesegmenten tätig sind, etwa in der Medizin- und Energietechnik, dem Werkzeug- und Maschinenbau oder der Automobilindustrie.