Verborgene Freude, geteiltes Leid
Adlershofer Psycholog:innen betreiben Grundlagenforschung zur Emotionswahrnehmung und dem Tragen von Masken
Hier runzelt sich eine Braue, da verzieht sich ein Mundwinkel, dort vertiefen sich die Augenfältchen: Mehr als 40 Muskeln sind daran beteiligt, Gesichtsausdrücke zu formen. Emotionsforschende fassen Muskeln, die gemeinsam für bestimmte Teile des Gesichtsausdrucks verantwortlich sind, zu sogenannten Action Units zusammen. „Um einen Gesichtsausdruck mittels Gesichtsaktivitätserkennungssoftware einzuordnen, müssen wir uns die Konfigurationen der Action Units anschauen – welche Teile des Gesichts sich gleichzeitig bewegen, und auf welche Weise“, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Till Kastendieck. Wenn er und seine Kolleg:innen vom Lehrstuhl für Sozial- und Organisationspsychologie der Humboldt-Universität zu Berlin einen Gesichtsausdruck analysieren, setzen sie die Action Units also zueinander ins Verhältnis, berechnen dann eine Art Punktestand. „So können wir zum Beispiel sagen: Es war tendenziell mehr positive als negative affektive Aktivität im Gesicht. Der Emotionsausdruck und die zu Grunde liegende Emotion müssen dabei allerdings nicht eins zu eins übereinstimmen.“
Unter nichtpandemischen Umständen untersucht das Psycholog:innenteam auch solche Gesichtsbewegungen, die mit optischen Mitteln gar nicht zu erkennen sind: Subtilste Muskelaktivitäten, die sich nur mithilfe von am Kopf angebrachten Sensoren dingfest machen lassen. Ebenso wie die sichtbaren Gesichtsbewegungen, sind diese unsichtbaren Reaktionen Teil eines Phänomens, das die Adlershofer Forscher:innen häufig untersuchen: der sogenannten Gesichtsmimikry. „Die meisten Menschen, die ein Gesicht betrachten, ahmen spontan und weitgehend unbewusst dessen emotionalen Ausdruck nach – ein Prozess, der sich oft an der Schwelle zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren bewegt“, erläutert Kastendieck. „Gemeinsam mit Lehrstuhlinhaberin Ursula Hess und meinem Kollegen Stephan Zillmer wollten wir untersuchen, ob die Emotion des Gegenübers im Experiment auch dann erkannt und sichtbar nachgeahmt wird, also die offen sichtbare Gesichtsmimikry auch dann noch funktioniert, wenn Teile des betrachteten Gesichts verdeckt sind. Zudem wollten wir herausfinden, ob das Tragen einer Maske die Intensität verändert, mit der Testpersonen den Emotionsausdruck eines Gegenübers erleben.“
Eine Frau mit einem neutralen Ausdruck beginnt langsam und zaghaft zu lächeln und strahlt schließlich über das ganze Gesicht. Im Hintergrund ist ein Supermarkt zu erkennen. Ein Mann, der sich in einer anderen Szene offenbar in einem Park aufhält, wird zusehends trauriger. „Die Proband:innen haben solche Szenen bei von ihnen freigegebener, laufender Webcam angesehen, wir haben das aufgezeichnet und die Gesichtsaktivität von einer Software automatisiert analysieren lassen“, erklärt Till Kastendieck. „Unmittelbar nachdem die Proband:innen die Videosequenz angesehen hatten, machten sie dann unter anderem Angaben dazu, welche Emotion sie bei der Person im Video erkannt und wie nah sie sich der Person gefühlt haben.“ Die Ergebnisse: In Gesichtern von Menschen, die ein fröhliches, Maske tragendes Gegenüber betrachtet hatten, war weniger mit Freude korrespondierende Bewegung zu erkennen als in solchen, die unmaskierte Gegenüber beobachtet hatten. Auch erlebten die Proband:innen die Emotionen von fröhlichen oder traurigen maskierten Personen als weniger intensiv und fühlten sich den gezeigten Menschen nicht so nah. „Bei Trauer konnte aber im Experiment kein Unterschied hinsichtlich der Gesichtsmimikry zwischen traurigen Gesichtsausdrücken von maskierten und unmaskierten Personen gefunden werden.“
Was bedeutet das für den Alltag? Schränken die Masken unsere Fähigkeit ein, Freude zu teilen und uns einander nah zu fühlen? „Im Experiment zeigen sich diese Unterschiede. Es ist aber wichtig zu betonen, dass diese Grundlagenforschungsergebnisse mit der Alltagswelt nicht unbedingt viel zu tun haben“, sagt Till Kastendieck. „Im Alltag ist der informationelle Reichtum deutlich höher, Information wird auf verschiedenen Kanälen übermittelt: über die Stimme zum Beispiel, den Augenausdruck, die Körperhaltung und die Gestik.“ Falls auf einem Kanal Informationen fehlen, können wir das also in der Regel kompensieren – beim Telefonieren zum Beispiel über den Stimmklang. Die Studie könne als Anregung dienen, über die Reichhaltigkeit von Kommunikation und die verschiedenen Möglichkeiten nachzudenken, im „maskierten Gespräch“ besser auf das Gegenüber einzugehen, meint der Psychologe. „Wenn mir zum Beispiel daran gelegen ist, keine Wut auszudrücken, kann ich verstärkt darauf achten, wie ich mit meiner Stimme umgehe und was ich mit meiner Körperhaltung zum Ausdruck bringe.“
Von Nora Lessing für Adlershof Journal