Vom Einzeller zum Netzwerker: Warum eine Schleimschicht von Nutzen ist
Von Malte Welding, Autor und Kolumnist der Berliner Zeitung und Blogger
Der Beruf des Autoren ist ein einsamer. Dem Verleger, dem Redakteur, dem aufdringlich weiß blinkenden Bildschirm – ihnen allen steht er allein gegenüber. Was nutzt es ihm da, dass sein Gehirn, sein ganzer Körper gar ein Wunder des Netzwerkens ist?
Gestartet ist auch der Autor als Einzeller. Das hat er mit dem Gewerkschaftsvorsitzenden, dem Forschungslaborassistenten, dem bestens vernetzten Politiker gemein. Und auch am Beginn der Evolution standen einzelne Zellen. Am Anfang war die Einsamkeit. Irgendwo im Urmeer schauten sich dann vor zwei bis drei Milliarden Jahren zwei Zellen – man geht davon aus, dass es Cyanobakterien waren – genauer in die noch nicht entwickelten Augen und sagten: „Wenn du einatmest, dann atme ich aus. Mehr Sauerstoff für beide bei weniger Arbeit. Eine Win-win-Situation!“ Der Einfachheit halber gehe ich davon aus, dass Einzeller wie Motivationstrainer sprechen. Vermutlich liege ich damit nicht ganz falsch.
Es ging auch nicht um Ein- und Ausatmen, sondern um Photosynthese und Stickstoffgewinnung aus der Luft, aber werden wir mal besser nicht überkomplex. Zu fest wollten die Einzeller die Bindung nicht machen, sie waren lose verbunden wie die Friends bei Facebook. Durch eine Schleimschicht. Man kennt diese Vorgehensweise heute noch von Schleimpilzen und Kandidaten in Castingshows. Die sind immer so lange beste Freunde, wie es ihnen nutzt, was im Sinne des Fernsehdarwinismus gern gesehen wird, allerdings Verlierer produziert – und es war doch ursprünglich mal eine Win-win-Situation versprochen worden.
Das echte Netzwerken unterscheidet vom Überleichengehen, dass es auf Zuverlässigkeit ausgerichtet ist. Gewinne ich Energie aus Sonnenlicht, dann sorgst du immer für Umwandlung aus Stickstoff. Und selbst wenn es dir einmal nicht möglich sein sollte, Stickstoff umzuwandeln, so mache ich immer noch meinen Teil. Netzwerke müssen zwar Betrüger aussortieren, also solche Mitglieder, die sich gerade nicht eingliedern und zum Gesamtwohl beitragen wollen, sie sind aber auch keine Vergeltungszusammenschlüsse. In Netzwerken gilt nicht Auge um Auge, Zahn um Zahn, sondern Vergebung.
Richard Dawkins hat in seinem Bestseller „Das egoistische Gen“ in den Kapiteln „Kratz mir meinen Rücken, dann reite ich auf deinem!“ und „Nette Kerle kommen zuerst ans Ziel“ ausdrücklich auf die Rolle des wechselseitigen Altruismus in der Entwicklung des Menschen hingewiesen. Dawkins erzählt dort von Vampirfledermäusen, die nach erfolgreicher Jagd weniger glückliche Schwarmmitglieder mit Beute versorgen. Selbst wiederholte Erfolglosigkeit rächt sich nicht für die, die ihrerseits großzügig waren.
Vergebung scheint zunächst kein evolutionäres Prinzip zu sein, hält aber in der Tat von zermürbenden internen Konflikten ab. Und so wird auch an Tagen, an denen mein Gehirn streikt, es weiter von den Magenzellen, Blutkörperchen und Sauerstoffmolekülen meines Gesamtnetzwerks
mitgeschleppt. Genauso wie ich nicht aus der Verwertungsgesellschaft Wort rausgeschmissen werde, wenn ich eine Frist gerissen habe.
Geben, wenn man hat, vergeben, wenn etwas mal nicht klappt, das sind vielleicht die wichtigsten Prinzipien von Netzwerken. Und selbst der Beruf des Autors muss längst kein einsamer mehr sein. Seine Rechte werden von einer erstaunlichen Zahl von Verbänden gewahrt, der Verleger und der Redakteur sind keine Gegner, sondern Partner – nur der Bildschirm, der weiße, möchte sich einfach nicht zur Zusammenarbeit entschließen.
Vielleicht sollte ich ihn vom Netz nehmen.