Wächst in Adlershof ein Adobe?
Von Malte Welding, Autor, Kolumnist der Berliner Zeitung und Blogger
Von indigenen Kulturen heißt es häufig, sie lebten so, wie die Europäer in der Steinzeit gelebt haben. Wenn das so wäre: Wie kommt es dazu? Aborigines etwa hatten schließlich genauso viel Zeit wie wir, um Kühlschränke, Klatschblogs und Kartenlesegeräte zu entwickeln, haben zur weltweiten Kultur allerdings, so sagen Spötter, in 40.000 Jahren lediglich Drogenfantasien, Bumerangs und eintönige Musik beigetragen.
Früher hat man Schädel vermessen und so lange mit dem Maßband geschummelt, bis „erwiesen“ war, dass Aborigines kleinere Schädel haben als Weiße. Weswegen Aborigines auch den Weißen unterlegen seien. Aber das ist Unsinn. Angela Merkel etwa hat auch einen kleineren Schädel als ich, was außer Hutmachern jedoch niemanden beeindruckt.
Der Mensch kommt selten mal alleine auf einen klugen Gedanken, wenn er nicht gerade Descartes heißt. Alle großen Kulturen wurden von anderen befruchtet. Wir haben die Null aus Indien, den Blitzableiter aus den USA und die Abseitsfalle aus Belgien. Erreichbarkeit hat sich als wichtiger erwiesen als angebliche Unterschiede in Schädelgrößen. Und Australien ist eben mal wirklich weitab vom Schuss. Auch heute noch gibt es weltweit etwa einhundert sogenannte unkontaktierte Völker. Und natürlich leben die ebenso wenig wie die heutigen Aborigines in der Steinzeit, selbst Völker auf den Andamanen-Inseln benutzen beispielsweise Metall von Schiffswracks. Unentdeckt ist tatsächlich kaum jemand, nur haben sich diese Völker nach dem Erstkontakt eben entschieden, dass sie lieber für sich bleiben.
Alle großen Zivilisationen saßen an gut erreichbaren Orten, an Flüssen, an Küsten oder Handelsrouten. Und so versucht man heute also Knotenpunkte zu schaffen. Zum Teil mit durchschlagendem Erfolg. Apple, Google, Facebook, Hewlett-Packard, Cisco, Adobe, Oracle und Yahoo: Sie alle stammen, neben Tausenden von anderen Firmen, aus einem Tal im Süden von San Francisco, dem Silicon Valley, dem Zentrum der Neuzeit, der Mutter aller Technologieparks.
Jede Mutter hat einen Vater und so ist das auch im kalifornischen Technologie-Mekka der Fall. Frederick Terman, Dekan der School of Engineering der Stanford University, gründete den Stanford Research Park, zu den ersten Mietern gehörte Hewlett-Packard. William Hewlett und David Packard waren ehemalige Studenten Termans.
Bei aller Künstlichkeit, die im „Park“ drinsteckt, ist es bedauerlicherweise so, dass man so etwas wie das Silicon Valley nicht aus dem Boden stampfen kann. Das Silicon Valley wurde nicht an einem Tag erbaut. Terman wirkte in den 1950er Jahren, der Begriff „Silicon Valley“ tauchte zum ersten Mal etwa 30 Jahre später auf, die heutigen Giganten Google und Facebook sind gerade mal 14 beziehungsweise acht Jahre alt.
Verglichen mit dem kalifornischen Riesenmammutbaum stehen deutsche Bäume im Schatten. Und so ist auch Adlershof noch kein Silicon Valley, liegt aber voll im Plan. Wer aber einen Park gründet, der braucht einen langen Atem. Es gilt der Waldbesitzerspruch: Das macht man für die Enkel und Urenkel.
Etwas Künstliches wird organisch. Dazu muss es verwurzelt sein. Seit jeher war in Stanford der Glaube groß, etwas für den weiten, zu dem Zeitpunkt nicht mehr ganz so Wilden Westen tun zu müssen. Es ging immer darum, etwas zu schaffen, das bleibt. Das war Ausfluss des Pioniergeistes, der Wunsch, das Nichts zu begrünen. Wenn man sich die Bewässerung einmal wegdenkt, ist Kalifornien schließlich eine Wüste.
Die Notwendigkeit von schöpferischen Zentren ist kaum zu bestreiten. Aber wie sie sich entwickeln? Da müsste man eine Hellseherausbildung absolviert haben. Geduld braucht man. Und schaut man sich das finanzschwache, flughafenarme, ja beinahe unkontaktierte Berlin an, sollte doch sogar so etwas wie Pioniergeist entstehen. Auch in dieser Wüste muss sich schließlich etwas pflanzen lassen.