Weniger war mehr: DDR-Fernseh-Grafik
Sonntag, 28. Februar 1975, 12 Uhr: In den Adlershofer Studios geht „Von Sonntag zu Sonntag“ auf DDR 1 auf Sendung. Hauptdarsteller dieser Sendung sind Episkopien – tablettgroße Papptafeln, bunt bemalt, gezeichnet oder mit Fotos beklebt – und heute allesamt fast vergessen. Aus diesem Grund zeigt das Potsdamer Filmmuseum seit Dezember 2010 in seinem Foyer eine Auswahl dieser Bildschirmplakate in seinem Foyer.
Sie sind nicht für langes und genaues Betrachten gemacht – es sind kurze geistreiche Bemerkungen, Gedankenblitze und Späße. Was nicht in Sekundenschnelle beim Zuschauer ankommt, ist unwiderruflich dahin – die Sendung beginnt, die Ankündigungsgrafik ist vergessen und wahrscheinlich wird man sie nie wiedersehen. Wie zum Beispiel die Giraffe, die Kopf steht – wohl wegen der Bildstörung, die sie zu kaschieren versucht. Die zwei rosa Wölkchen neben ihrem langen Hals täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass das Programm unterbrochen ist. Trotzdem: die farbenfrohe Grafik ist allemal schöner als das Testbild mit seinem grässlichen Piepton. Das Stück Käse, das auf einer anderen Grafik abgebildet ist, liegt in einer Mausefalle. Darüber verkündet eine Sprechblase: „Die nächste Folge in einer Woche“.
Unvergessene Hingucker
Knapper, pointierter und treffender ist auch die Aufgabe dieser Bildschirmgrafiken nicht zu beschreiben. Die handgearbeiteten „Episkopien“ oder „Standbilder zur Ankündigung von Sendungen“ wurden für kurze Augenblicke vor die Fernsehkamera gehalten, um für nachfolgende Sendungen zu werben. Etwa 3.500 Episkopien lagern heute im Deutschen Rundfunkarchiv in Potsdam-Babelsberg.
Zeit zum Grübeln blieb nicht
Hintergründig phantasievoll, sensibel, geistreich, heiter-ironisch, burlesk oder pikant schufen nahezu 50 Grafiker, Fotografiker, Szenografen und Karikaturisten des Verbandes Bildender Künstler jährlich 1.500 künstlerische Arbeiten für beide DDR-Fernsehprogramme. Künstler wie Erhard und Roswitha Grüttner, Heinz Handschick, Wolf-Dieter Pfennig oder Volker Pfüller, aber auch eine zweite Generation, zu der unter anderem die Berliner Designer Dominique und Kitty Kahane zählen, haben sich „mit den Pappen schnell 200 bis 300 DDR-Mark“ verdient. Selten vergingen mehr als drei, vier Tage zwischen Auftrag und Lieferung. Volker Pfüller, der viele Fernsehgrafiken gemacht hat, nannte das einmal eine „so rechte, ideale, gebrauchsgrafische Aufgabe. Kurzer Termin, keine Entwurfsvorlage und Skizzenbesprechung, ein kluger Auftraggeber.“ Entscheidend sei der glückliche Einfall. „Zeit zum Grübeln blieb nicht“, sagt Wolf-Dieter Pfennig, heute Professor an der Hochschule Wismar. Nur mit einer Inhaltsangabe, einer Bewertung des Filmes oder der Sendung und manchmal mit Fotos entstanden Grafiken, die „schlicht, handwerklich einfach und gekonnt leise“ daherkamen, erklärt Patricia Vester, die die Idee zu der Ausstellung im Potsdamer Filmmuseum hatte.
Fast keine Sendung wurde „unverpackt“ – also ohne Werbegrafik – angekündigt. Zehn bis 15 davon waren täglich auf dem Bildschirm zu sehen. Seit Beginn der 1950er-Jahre entwickelte sich in der DDR neben der Werbegrafik für Kinofilme in Form von Filmplakaten auch diese Form der Werbegrafik für das Fernsehen. Eine eigene Abteilung für Grafik im Fernsehen war für „statische und kinetische Fernsehgrafik“, also Abspänne, Infotafeln, Standardgrafiken, sogar das Erscheinungsbild von TV DDR 1 und TV DDR 2oder Statistiken für Sportsendungen zuständig.
Papptafel der Gegenwart ist das Tabula-Track
Heute übernehmen leistungsfähige Software-Anwendungen die immer trickreichere, schnellere und meist dreidimensionale Generierung und Ansteuerung von Grafiklayouts. Sportsendungen kommen z. B. ohne tvVIS, ein virtuelles Informationssystem, nicht mehr aus. Die Software erlaubt die Einblendung zusätzlicher Informationen in Live-Bilder. Damit können zum einen Werbepartner bedient werden, zum anderen wird tvVIS als Service für die Zuschauer an den TV-Geräten genutzt, um beispielsweise Freistoßentfernungen im Fußball oder Vergleichsweiten in der Leichtathletik einzublenden. Mit digitalen Video-Effekten, sogenannten Jumbotrons, werden zudem Pausen mit 3-D-Animationen überbrückt. Die Papptafel der Gegenwart ist das Tabula- Track der Berliner Firma netventure, eine erstmals bei der Tour de France 2008 eingesetzte kabellose, digitale Tafel, auf der Einspieler und Analysen ausgestrahlt werden.
von Rico Bigelmann