„Wer wagt, gewinnt“
Essay von Jens Lubbadeh, Redakteur bei Technology Review und Kolumnist für Spiegel Online und Jolie
Apple ist heute ein Superlativ: eine der wertvollsten Firmen der Welt und aller Zeiten, geschaffen von einem Mann, den viele als genialsten Erfinder unserer Zeit sehen. Steve Jobs‘ eigentliches Talent lag aber vor allem darin, Ideen in die Wirklichkeit zu übersetzen. Sein Partner, Steve Wozniak, wäre wahrscheinlich völlig glücklich mit der hölzernen Kiste voller Drähte, Chips und Platinen gewesen, die er gebaut hatte. Aber es war Jobs, der das Potenzial des ersten Apple-Rechners erkannte.
Auch die Forscher am Xerox Palo Alto Research Center waren stolz auf die Maus und die grafische Benutzeroberfläche, die sie erfanden. Ihre Firma, Xerox, hielt das Ganze für Spielerei. Steve Jobs und auch Bill Gates, die dort erstaunlicherweise ein- und ausgehen durften, übersetzten das brachliegende Xerox-Wissen in den Apple Macintosh und in Microsoft Windows.
Steve Jobs war ein Macher. Und solche Leute braucht die Welt. Wissen ist nur Macht, wenn man etwas daraus macht. Gerade wir Deutschen bräuchten Leute wie ihn, denn wir sind zu viel Denker und zu wenig Macher. Ja, ein Musikkomprimierungsalgorithmus ist wundervolle Mathematik. Aber vielleicht rechnet er sich ja auch finanziell? Vielleicht sollte man eine Firma gründen und die Menschheit mit MP3-Playern beglücken? Es war nicht das Fraunhofer-Institut, Erfinder des MP3-Kompressionsformats, sondern der Ideenübersetzer Jobs, der der Welt den iPod gab.
MP3 ist nicht das einzige Beispiel für die fehlende Witterung deutscher Erfinder und Unternehmer. Genauso Tomaten auf den Augen hatten sie, als sie den Fernseher, den Computer, das Fax, den Hybridmotor und den Walkman erfanden und das wirtschaftliche Potenzial darin nicht erkannten.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Im Rohstoff Wissen den Rohdiamanten zu erkennen, ist das eine. Dann auch den Mut zu haben, ihn herauszuschleifen, das andere. Unternehmensgründer gehen ein hohes Risiko ein, jedes dritte Start-up überlebt die ersten drei Jahre nicht. Auch Jobs wäre um ein Haar gescheitert, als ihn 1985 seine eigene Firma hinausschmiss. Und um ein Haar hätte auch Apple den Sprung in das 21. Jahrhundert nicht mehr geschafft.
Die Angst zu scheitern, hält viele vom Gründen ab – hierzulande ist es jeder Zweite, wie Umfragen ergeben. In den USA ist es nur jeder Dritte. Das macht sich bemerkbar: In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Existenzgründungen in Deutschland halbiert. Das liegt auch an unserem Umgang mit dem Scheitern und den Gescheiterten, sowohl gesetzlich als auch gesellschaftlich. Während ein amerikanischer Gründer auf Parties stolz von seinen ganzen ehemaligen Firmen erzählt, gilt eine Insolvenz hierzulande als persönlicher Makel, den man in seinem Lebenslauf gerne verschweigt.
Man mag sich gar nicht vorstellen, wie viele MP3-Megaerfolge und damit Arbeitsplätze die Angst bereits zerstört hat, noch bevor sie überhaupt entstehen konnten! Und wie viel wertvolle Erfahrung, die eine Firmengründung mit sich bringt, vergeudet wird, weil ein einmal gescheiterter Gründer es nicht noch einmal versucht. Da war er wieder, der ungenutzte Rohstoff Wissen.
„Der Gescheiterte ist der Gescheitere – sofern er kein Dummkopf ist“ lautet das Motto von Sascha Schubert, der selbst bereits einen dritten Anlauf gewagt hat. Schubert hat daher die Failcon nach Deutschland geholt, eine Messe für gescheiterte Firmengründer, die dort von ihren Erfahrungen offen berichten und sich austauschen können. In den USA gibt es sie natürlich schon viele Jahre. In Deutschland findet sie in diesem November zum zweiten Mal statt. Hoffentlich scheitert sie nicht – an uns.