Wer wagt, gewinnt
So denken innovative Unternehmen über Fehler- und Wagniskultur
Die Fehler- und Wagniskultur sei hierzulande nicht sonderlich ausgeprägt, lautet eine beliebte Klage. Innovative Unternehmen aus Adlershof können damit nicht gemeint sein, wie zwei exemplarische Beispiele zeigen.
Gute Idee, Start-up-Spirit, eine rosige Zukunft vor Augen. Die 5micron GmbH ist seit Januar 2015 im Technologiepark Adlershof unterwegs und entwickelt hier optische Messsysteme für höchstpräzise topografische Analysen von Oberflächen und Schichten. Etwa für die Überwachung und Vermessung von Flugzeugtragflächen während des Fluges. „Unser Background ist die Luftfahrt“, erklärt Ute Franke, Mit-Geschäftsführerin von 5micron. „Wir haben unser Unternehmen mit zwei Aufträgen von Airbus und Rolls Royce gegründet.“ Im März 2020 war der Kick-off eines größeren Projektes mit einem Triebwerkshersteller aus München geplant. Doch dann kam Corona. Das Meeting wurde zuerst verschoben, dann das Projekt gecancelt. „Es war schnell klar, dass die Entwicklung für die Luftfahrt vorerst keine sichere Perspektive mehr ist.“
Die Geschichte von 5micron drohte recht kurz auszufallen. Doch die Gründer:innen Ute Franke und Jean Blondeau analysierten ihre Lage, weiteten ihren Blick und steuerten rasch um: Von der Luftfahrt zum Gesundheitswesen. Denn die auf optische Sensorik, Sensorfusion und Bildverarbeitung basierende Technologie ist auch für diese Branche sehr interessant. Gedacht, getan. „Wir haben mit der Entwicklung eines berührungslosen 24/7 Pflegeassistenz-Systems namens multiZEN Care begonnen“, berichtet Franke. Überdies steuerte das Unternehmen die Gasindustrie an, für die Messsysteme entwickelt wurden. Diversifizierung im Schnelldurchgang.
So viel Wagemut sicherte nicht nur die Existenz des Start-ups, sondern sorgte auch, neudeutsch gesprochen, für eine Extraportion Purpose bei der Belegschaft: „Ein Effekt ist, dass sich das gesamte Team in den Jahren 2020 und 2021 mit diesem gesellschaftlich sehr relevanten Thema, dem Pflegekräftemangel, extrem identifiziert hat“, berichtet Franke. „Es war ein wichtiger Motivationsschub für diese schwierige Zeit, zu merken, dass wir im Team mit unserer Erfahrung und unserem Wissen innovative Projekte sowie Produkte für neue Anwendungsfelder entwickeln können.“ Wobei auch die Messsysteme für die Gasindustrie mittlerweile zu einem wichtigen Standbein des Geschäftes geworden sind.
So viel Wandel habe Courage erfordert. In mehrfacher Hinsicht. „Es hat Mut gekostet, mit dem Team offen die existentielle Situation anzusprechen“, gibt Franke zu. „Nur durch das Verständnis und Vertrauen aller waren wir, die Geschäftsführung, motiviert, den anstrengenden Weg zu gehen.“ Denn wenn die Angestellten nicht mitgehen, geht nichts. Widerstände hat das Geschäftsführungsduo nicht überwinden müssen.
Was ein gutes Fundament für Wagniskultur ist, findet Franke: „Nach innen gerichtet ist dafür das Team wichtig, der Zusammenhalt, gegenseitiges Vertrauen und Respekt müssen stimmen, was bei uns der Fall war. Man wagt und gewinnt zusammen.“ Ihre Sorge gilt eher dem Umfeld, wenn ein Wagnis schief geht: Wie reagieren Kunden, Partner, Geschäftsbeziehungen, Familie? Für Franke gilt, nach Abwägung aller Chancen und Risiken, daher die Devise: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Ein Satz, der auf Anton Nagy, Chef der ILS Integrated Lab Solutions GmbH, gemünzt, lauten müsste: Wer keine Fehler macht, hat schon verloren. Nämlich Innovationspotenzial. „Wer ständig Angst hat, Fehler zu machen, wird nichts Neues wagen. Ohne Fehler gibt es keine Innovationen“, sagt Nagy. Seine Firma konzipiert vollautomatisierte Testanlagen für die Forschung von Katalysatoren im Labor- und Pilotmaßstab, unter anderem für Autobauer, die Chemieindustrie und Energieunternehmen.
„Jede Anlage ist ein Unikat, was bedingt, dass Fehler passieren“, sagt Nagy. Üblicherweise wird eine Anlage beim Kunden in Betrieb genommen und hier, mitunter über Monate hinweg, optimiert. Ein Aufwand, den Nagy seinen Kunden, aber auch seinen Mitarbeitenden, die eben auch monatelang weltweit auf Achse waren, erspart, weil das Testing nun im eigenen Adlershofer Labor abläuft. Sozusagen Fehlerausbügeln by Design.
Das ist so sehr in die DNA der Firma eingeschrieben, dass jeder Mitarbeitende im Intranet seine kleineren und größeren Missgeschicke veröffentlicht. Die „Fuck-ups“ werden monatlich vor versammelter Mannschaft besprochen, damit jeder daraus lernen kann. „Wir tauschen uns mit Stolz über unsere Fehler aus“, betont Nagy. „Mir ist es wichtig, dass sich niemand versteckt, schämt oder auch nur den geringsten Nachteil für sich befürchtet.“
Sofern gehöre intern nicht viel Mut dazu, zu erklären, was schiefgelaufen ist. Beim Kunden kann das schon anders sein. Daher bekommen gerade jüngere Mitarbeitende ältere zur Seite gestellt, die das kitzlige Gespräch führen – was vorab mitunter eingeübt wird. Aber auch hier gilt: Sagen, was ist. Schonungslos. „Die meisten Kunden wissen das zu schätzen“, weiß Nagy. „Offenheit sorgt für Folgeaufträge.“ Man sieht: Scheitern ist wirklich eine Chance.
Chris Löwer für Adlershof Journal