Wie ein Puzzle: Mit harten Schnitten und weichen Blenden zum Film
Erst beim genauen Hinsehen bemerkt man den Unterschied. Im Video zu ihrem Hit „Vogue“ tanzt Madonna – aber nicht mit ihren Tänzern. Studenten der Berliner Universität der Künste haben für ein Projekt die Szenen detailgetreu nachgedreht. Felix Waury, Chef der Montagefilm Berlin, hat sie wie im Original täuschend echt zusammengesetzt. Probiert hatte der gebürtige Adlershofer schon vieles. Er war Pyrotechniker, Beleuchter beim Berliner „Tatort“ und Aufnahmeleiter beim Kinderkanal, bevor er als „Cutter“ seinen Traumberuf fand.
„Walk of Fame“ steht auf der Fußmatte zwischen den zwei schweren Türen, die zum Arbeitsplatz von Felix Waury führen. Einige Prominente sind auch schon darüber gelaufen: Dagmar Berghoff hat in der schmalen Sprecherkabine ihren Text eingesprochen, Dieter „Maschine“ Birr von den Puhdys erst vor Kurzem die letzte Schnittfassung einer Bonus-DVD begutachtet. In den Räumen wird schon lange für das Fernsehen gearbeitet.
Traditioneller Standort
In die Wände sind Regale aus schwerem Holz eingelassen. Sie stehen in scharfem Kontrast zum modernen Arbeitsgerät auf den Tischen und dem Blick aus dem Fenster auf den Adlershofer Technologiepark. Kürzlich hat Waury einen Aktenvermerk des Rundfunk- und fernsehtechnischen Zentralamtes der DDR aus dem Jahr 1985 gefunden.
Felix Waury ist gelernter Elektriker. Er fand den Weg zu Film und Fernsehen über einen befreundeten Regisseur. Er lernte den Beruf des Film- und Videoeditors, schnitt dann bei einem Hamburger Seereiseveranstalter Filme für das Bordfernsehen. „Auf großer Reise“, sagt Waury, „war ich aber nur einmal.“ Es ging nach St. Petersburg, in einer winzigen Kabine mit all der Technik. „Kein Platz für Urlaubsgefühl oder Abenteuerlust“, sagt Waury.
„Eine Stunde Schnittarbeit steckt in einer Minute Film“
Im Jahr 2005 übernimmt er die Firma Montagefilm, inklusive Technik und Kundenstamm. Der besteht vorwiegend aus Redakteuren und Regisseuren, die für die ARD, den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) oder den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) arbeiten. Viele kennen Adlershof seit Langem, manche haben ihr Handwerk hier gelernt. Für die Sendung „ZiBB – Zuhause in Berlin-Brandenburg“ oder „MDR um 12“ schneidet er viele drei- bis vierminütige Beiträge. „Eine Stunde Schnittarbeit steckt in einer Minute Film“, erklärt der 35-Jährige. Besonders spannend findet Waury, dass der Cutter der erste ist, der das Rohmaterial für den Filmschnitt in die Hände bekommt. Meist habe der Redakteur des Beitrages aber schon sehr genaue Vorstellungen. Mit sogenannten Timecodes markiert er, welche Sequenzen wie zusammengesetzt werden sollen. Die Feinarbeit ist Waurys Domäne.
Private setzen auf Schnelligkeit
Auf den Bildschirmen seines Schreibtisches sind viele Filmschnipsel zu sehen. Waury hat sie von Datenträgern – früher Bänder, heute mehr und mehr HD-Speicherkarten – importiert. Bild für Bild kann hier das gedrehte Material betrachtet, geschnitten und wieder zusammengefügt werden. Wie ein Puzzle werden die markierten Sequenzen aneinandergefügt, passende Bilder als „Brücke“ zwischen einzelnen Szenen ausgewählt sowie der Ton – die Atmosphäre – angepasst. Cutter machen nicht selten die Vormischung auch für den Ton. Bei einer 360°-Geo-Reportage für den Fernsehsender arte („Die Aprikosenbauern vom Euphrat“) war das besonders schwierig. In allen Einstellungen waren Zikaden zu hören – aus unterschiedlicher Entfernung und unterschiedlichen Winkeln. „Das musste angeglichen werden“, erklärt Waury „um eine (Ton-)Fläche zu bekommen.“ Aufwendig seien besonders auch Arbeiten für private Sender, sagt er. „Die wollen heute alles schnell wie ein Musikvideo geschnitten und mit einer Vielzahl von Effekten versehen haben.“
„Ostrock in Klassik“, Teil II, erscheint im November
Für die DVD „Ostrock in Klassik“ werden alte und neue Hits ostdeutscher Rockbands im klassischen Orchestersound interpretiert. Sie soll im November erscheinen. Waury hat dafür insgesamt zehn Bänder mit je bis zu zwei Stunden Filmmaterial gesichtet und geschnitten. Bis zu zehn Stunden sitzt er dafür manchmal am Rechner. Eine anstrengende Arbeit, weil man konzentriert bleiben muss, sagt er. Aber vielleicht gibt es dafür die zweite goldene DVD für sein Büro. Die erste, die zwischen den Fenstern hängt, hat sich Waury selbst besorgt, denn Teil eins der DVD „Ostrock in Klassik“ mit dem Konzertmitschnitt aus der Berliner Wuhlheide hat sich immerhin 50.000 Mal verkauft.
von Rico Bigelmann