Wie sich Pflanzen reparieren
Forschungsgruppe am Helmholtz-Zentrum Berlin findet den entscheidenden genetischen Schalter
Pflanzen sind Lebewesen. Sie wachsen, atmen und wandeln mithilfe der Fotosynthese Kohlendioxid in Sauerstoff um. Wie das alles genau abläuft, ist noch nicht bis ins Letzte erforscht. Doch Gert Weber, Biochemiker und Strukturbiologe am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB), ist entscheidenden Vorgängen im pflanzlichen Genom auf der Spur. Zusammen mit japanischen Forschern an der Universität Kyoto konnte er mit dem HZB-Team „Makromolekulare Kristallographie“ die dreidimensionale Struktur eines wichtigen Proteins entschlüsseln.
„Pflanzen haben nicht nur ein Genom (Gesamtheit der Gene), sondern drei“, sagt Weber. Der Zellkern, in dem die Baupläne für die Proteine gespeichert sind, besitzt etwa 30.000 Gene. Im umliegenden Zellplasma finden sich zwei kleinere Genome. Mit jeweils etwa 50-200 Genen sind sie aktiv in den zellulären Kraftwerken, Mitochondrien genannt, und in den Chloroplasten, die für die Fotosynthese zuständig sind und den Pflanzen Farbe geben. Diese Vorgänge werden von der DNA gesteuert. Deren genetische Informationen werden auf die so genannte Boten-RNA (mRNA) kopiert und schließlich zu Proteinen umgesetzt.
Vor rund 450 Millionen Jahren entwickelte sich nun in den Landpflanzen ein spezieller Mechanismus, das „RNA-Editing“, mit dem die Boten-RNA korrigiert werden kann, ohne dass das Genom des Zellkerns seine Baupläne ändern muss. „Auf diese Weise können Pflanzen bestimmte Prozesse wie die Fotosynthese in Chloroplasten oder die Zellatmung in Mitochondrien steuern“, sagt Weber.
Wichtige Grundlagen für die Erforschung des pflanzlichen RNA-Editing legte vor rund 30 Jahren ein Team um den Pflanzenphysiologen Axel Brennicke, Professor zunächst an der Freien Universität Berlin (FU), ab 1994 an der Universität Ulm. „Er hat zeitgleich mit zwei anderen Arbeitsgruppen das ganze System entdeckt“, sagt Weber. Einen wesentlichen Anteil hatte auch Mizuki Takenaka, der 2001 als Postdoc aus Japan zu Brennickes Team gestoßen war und jetzt an der Universität Kyoto forscht. „Ich arbeite mit ihm seit 2010 zusammen, bin mit ihm befreundet, er ist Erstautor unserer Studie“, sagt Weber, der in Göttingen Biologie studiert und am dortigen Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie promoviert hat.
Als Postdoc an der FU Berlin widmete er sich in der Arbeitsgruppe von Professor Markus Wahl der Strukturbiologie, speziell dem RNA-Editing-Projekt. Es sei schwierig gewesen, diese Proteine herzustellen, erzählt der 44-Jährige. 2016 erhielt er eine einjährige Vertretungsprofessur an der Universität Greifswald, dort wurde auch die Co-Autorin Tatjana Barthel, jetzt Doktorandin am HZB, in das Projekt eingebunden.
Anschließend führte Weber die Arbeiten am HZB fort. Die Gruppe Makromolekulare Kristallographie unter Leitung von Manfred Weiss habe ihm geholfen, das Projekt erfolgreich abzuschließen und zu publizieren. Die Daten der MX-Beamlines von Bessy II offenbarten erstmals den dreidimensionalen Aufbau der so genannten DYW-Domäne, die das katalytische Zentrum des RNA-Editings in Pflanzen darstellt. Unter Domäne versteht man die kleinste, stabil gefaltete Struktur innerhalb eines Proteins.
Studien hatten gezeigt, dass bestimmte Proteine, die eine DYW-Domäne enthalten, eine zentrale Rolle beim RNA-Editing spielen. Diese Proteine werden erst aktiv, wenn sie vom Zellkern zu den Mitochondrien und Chloroplasten gelangt sind. Sie konnten lange nicht im Labor hergestellt werden. Wie die Aktivierung vor sich geht, war weitgehend unbekannt, ebenso wie die genaue Struktur der DYW-Domänen.
Die Aufklärung ist nun dem deutsch-japanischen Team um Mizuki Takenaka und Gert Weber gelungen. Im Zentrum der DYW-Domäne sitzt demnach ein Zink-Atom, das katalytisch wirkt. In der Nähe wurde ein Strukturelement entdeckt, das quasi als Schalter dient, der die katalytische Funktion des Zink-Atoms ein- und ausschalten kann. Diese Ergebnisse bieten auch Perspektiven für biotechnologische oder medizinische Anwendungen. Denn damit ließen sich manche Gene neu kodieren, ohne die DNA zu verändern - ein Vorteil gegenüber den derzeit praktizierten Genscheren.
Doch manchmal greift der Strukturbiologe Weber auch zum Spaten. In seiner Freizeit werkelt er gerne im heimischen Garten: „Ich bin meistens für die schweren Sachen zuständig, also Hochbeete aufbauen und Erde transportieren“, sagt er lachend.
Dr. Paul Janositz für Adlershof Journal