Wie wird die Zukunft?
Ein Wirtschaftshistoriker der Humboldt-Universität zu Berlin untersucht, wie Erwartungen ökonomische Entscheidungen beeinflussen
Wer sein Geld anlegen will, verknüpft damit konkrete Erwartungen. Dass es erstmal nicht ausgegeben wird und „sicher“ ist oder dass es sich – schnell oder langsamer – vermehrt. Wie solche Erwartungen ökonomische Entscheidungen beeinflussen, also zum Beispiel, wo und wie das Geld angelegt wird, das untersucht Professor Alexander Nützenadel von der Humboldt-Universität zu Berlin. 2015 hat er das Schwerpunktprojekt „Erfahrung und Erwartung. Historische Grundlagen ökonomischen Handelns“ gestartet. Ein interdisziplinärer Ansatz, der historische, soziologische, kulturelle und ökonomische Aspekte vereint.
Als Wirtschaftshistoriker hat Nützenadel einen besonderen Blick auf seine Disziplin. „Die Ökonomie ist eigentlich sehr kurzfristig und immer darauf bedacht, Komplexität herauszunehmen“, sagt Nützenadel. Mit der Finanzkrise ist aber das Vertrauen in einfache, kurzfristige Prognosen ein Stück weit verloren gegangen. „Anhand historischer Fallbeispiele können wir im Nachhinein rekonstruieren, wie Erwartungen entstanden sind und wie sie möglicherweise auch Fehlentwicklungen befördert haben. Wir können also auch das Verhältnis von Krisen und Strukturbrüchen und Erwartungsbildung untersuchen.“
Auf diese Weise wollen die Forscher einen Beitrag dazu leisten, den Begriff der Erwartung besser zu verstehen. „Wie beeinflussen persönliche oder größere historische Erfahrungen – etwa erlebte Unternehmenspleiten oder Finanzkrisen – die Erwartungen der wirtschaftlichen Akteure wie Investoren, Haushalte, Unternehmen? Ob und wie verändert sich das je nach kulturellem, historischem, sozialem Kontext? Sah das in der Agrargesellschaft des 18. Jahrhunderts anders aus als in der Industriegesellschaft des 19. oder der Dienstleistungsgesellschaft des späten 20. Jahrhunderts?“, erläutert Nützenadel.
Wie aber finden die Forscher/-innen heraus, welche Erwartungen die Akteure damals hatten? „Wir können das nur indirekt rekonstruieren – mit der entsprechenden Unsicherheit, mit der wir Historiker es immer zu tun haben“, betont Nützenadel. So machen sich die Forscher ein Bild davon, welche Informationen den Menschen damals überhaupt zur Verfügung standen. Wenn beispielsweise ein Handwerker um 1900 etwas Geld beiseitelegen wollte – wie konnte er sich über Anlagemöglichkeiten informieren? „Wir gehen dann in Bankarchive und untersuchen abgeschlossene Verträge, Informationsmaterial oder betrachten die Zeitungsberichterstattung aus der Zeit“, berichtet Nützenadel. Oder es werden Tausende Sparbücher aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise untersucht, um durch Änderungen im Sparverhalten auf veränderte Erwartungen rückschließen zu können.
Früher beruhten Entscheidungen oft auf eigener Erfahrung: In den letzten zehn Jahren war die Ernte so, deshalb ist davon auszugehen, dass das auch in diesem Jahr wieder so sein wird. In der heutigen Ökonomie, ihrer vielfältigen Einflussmöglichkeiten und der wachsenden Schnelligkeit wird die Zukunft ungewisser. Es wird mehr Orientierung gebraucht, und das öffnet einen Markt für professionelle Wirtschaftsprognosen, von Einrichtungen wie der Weltbank oder Wirtschaftsforschungsinstituten. Auch das wird in dem Schwerpunktprojekt untersucht: Wie entstehen solche Prognosen? Mit welchen Techniken wird da gearbeitet? Und wie gut sind solche Prognosen eigentlich? Eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Denn oft dienen sie als Handlungsanweisung für Unternehmen oder Regierungen, bestimmten Entwicklungen entgegenzusteuern – und sollen also gerade verhindern, dass es so kommt wie vorhergesagt.
Mit ihrer Forschung wollen die Wissenschaftler/-innen aber auch dem Faktor Zeit mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Wirtschaftliches Handeln und wirtschaftliche Prognosen sind oft sehr kurzfristig angelegt – auf ein, zwei, drei Jahre. Es gibt aber mit Umweltschutz, Klimawandel, Ressourcenknappheit Themen, die sehr viel langfristigeres Denken erfordern. Allerdings erwiesen sich langfristige Prognosen – wie etwa aus den 1970er Jahren, als dieser Aspekt durch den Club of Rome erstmals auf die Agenda kam – oft als sehr schlecht oder gar alarmistisch. Diese Zusammenhänge und die schlechten Erfahrungen mit bisherigen Langzeitperspektiven werden in einem Projekt zur Energiepolitik untersucht.
Von Dr. Uta Deffke für Adlershof Journal