Zu viel Medienkonsum? Wo bleibt unsere Zeit?
Wie bewerten Adlershofer:innen ihr Kommunikationsverhalten und ihren Medienkonsum? Eine Umfrage
Wir haben Studierende und Mitarbeitende der Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Adlershof befragt, wie sich ihr Kommunikationsverhalten, ihr Umgang mit sozialen Medien und ihr Zeitempfinden verändert haben. Das Überraschende: Alle suchen nach mehr Ruhe und Fokus.
Alina Ghoreschi, Psychologiestudentin, Humboldt-Universität zu Berlin (HU), 5. Semester, und Sara Memmel, Erzieherin und Studentin der Psychologie, HU, 3. Semester
Wie kommunizieren Sie und was hat sich nach Corona verändert?
Sara Memmel: Ich glaube, dass die digitale Kommunikation normaler geworden ist. Wir können in unserem Studiengang beispielsweise Vorlesungen, die in der Coronazeit aufgenommen wurden, immer noch anschauen. Privat kommuniziere ich über Telefon, WhatsApp und natürlich live.
Nutzen Sie soziale Medien?
Alina Ghoreschi: Ich habe keine Social-Media-Kanäle. Sie beinträchtigen aus meiner Sicht die Gesundheit. Sie sind ein Suchtfaktor, ein unnötiger Zeitfresser und schaffen durch die geschaltete Werbung außerdem Bedürfnisse. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden.
Memmel: Ich bin auf Instagram aktiv. Ich bin Medienpädagogin, deswegen habe ich auch TikTok auf dem Handy und schaue immer mal, was so los ist.
Wie ist Ihr Zeitempfinden und wie gehen Sie damit um?
Ghoreschi: Ich arbeite gerade an meinem Zeitmanagement, ich nehme mir immer zu viel vor und komme dann in Zeitstress. Da versuche ich jetzt Prioritäten zu setzen. Ich war sogar bei einem Seminar des Studierendenmanagements.
Nutzen Sie künstliche Intelligenz (KI) für Ihre Kommunikation?
Ghoreschi: Wenn ich lerne, dann zuerst mit Folien und Büchern, aber manchmal gebe ich auch etwas beim Chatbot ChatGBT ein. Aber die Antworten sind nicht immer richtig, deshalb würde ich es nicht als Primärquelle nutzen.
Stefan Hecht, Professor am Institut für Chemie der Humboldt-Universität zu Berlin (HU)
Wie kommunizieren Sie bei Ihrer Arbeit und was hat sich nach Corona verändert?
Stefan Hecht: Ich nutze virtuelle Formate jetzt deutlich häufiger als davor. Zum Beispiel ein Videoformat, etwa für ein erstes Interview in einem Bewerbungsverfahren. Aber wenn besonders wichtige Dinge besprochen werden, dann geht nichts über den persönlichen Eindruck.
Wie kommunizieren Sie normalerweise?
Zu viel! Kommunikation ist ein wichtiger Teil in unserem Leben. Aber viele Menschen kämpfen mit der Balance zwischen der Notwendigkeit zu kommunizieren und dem Umstand, zu viel Zeit damit zu verbringen. Wir sollten uns wieder auf eine Kultur besinnen, wo wir weniger, aber dafür effizienter kommunizieren.
Welche Wege gehen Sie, um trotz Informationsflut gesund zu bleiben?
Ich priorisiere, aber muss noch besser darin werden. Für mich ist Multitasking nichts, was sonderlich erstrebenswert ist. Das ist der Fehler, der häufig gemacht wird. Besser ist es, sich zu fokussieren, eine Sache wirklich fertig zu machen.
Nutzen Sie Social-Media-Kanäle?
Definitiv, denn sie erreichen gerade die jungen Menschen eher als andere Kanäle. Derzeit ist die größte Herausforderung, qualifizierte Mitarbeitende zu finden, egal auf welcher Ebene. Um die junge Generation für Naturwissenschaften zu begeistern, müssen wir eben auch in den sozialen Medien präsent und aktiv sein.
Wie ist Ihr Zeitempfinden?
Gefühlt habe ich irgendwie immer weniger Zeit?! Neben der stärkeren Fokussierung muss ich wohl noch häufiger Nein sagen und mich von Dingen lösen, die letztlich dann doch nicht so wichtig sind.
Wie wichtig ist es Ihnen, in Präsenz zu kommunizieren?
Extrem wichtig! Denn zwei elementare Dinge funktionieren virtuell nicht gut: Vertrauen aufbauen und kreativ sein.
Ich merke, dass der Prozess, wenn das Team in einem Raum ist, einfach so viel intensiver ist. Die Bereitschaft der Mitarbeitenden, sich wirklich in den Diskussionsprozess einzubringen, ist virtuell einfach geringer. Die wesentlichen Dinge passieren immer noch real – halt in echt – und das ist gut so!
Elfi Herrmann, Beratungsstellenleiterin des Lohnsteuerhilfevereins Vereinigte Lohnsteuerhilfe e. V., Adlershof
Wie kommunizieren Sie bei Ihrer Arbeit?
Elfi Herrmann: Seit der Coronapandemie kommen viele Menschen nicht mehr persönlich zu uns. Sie ,werfen‘ nur ihre Post ab oder schicken sie per E-Mail. Die Nachfragen mache ich dann meistens per Telefon oder Videocall. Da kann ich unsere Kundinnen und Kunden doch mal kennenlernen. In unserem Bereich geht es ja um ein ziemlich persönliches Thema.
Nutzen Sie soziale Medien?
Ich nutze WhatsApp, tue mich mit anderen Kanälen aber ein bisschen schwer. Ich glaube, das hat auch was mit dem Alter zu tun. Meine beiden Töchter, die mit im Unternehmen arbeiten, nutzen das aber. LinkedIn zum Beispiel.
Wie ist Ihr Zeitempfinden?
Momentan fühlt es sich so an: Du kommst morgens an deinen Schreibtisch und abends schaust du: Ist deine To-do-Liste abgearbeitet oder nicht? Dann kommt noch das Nächste auf diese Liste. Es ist halt so.
Und wie gehen Sie damit um?
Wenn es zu viel wird, mache ich einfach die Tür zu für zwei Tage und nehme auch keine Telefongespräche an, um mal die ganz ‘normale’ Arbeit zu machen. Die E-Mails bleiben dann einen Tag liegen. Ich habe mal gesagt: ‘Meinen Briefkasten habe ich auch nicht auf dem Rücken.’
Was halten Sie von KI?
Ich weiß zwar nicht, ob ich es noch benutzen werde, aber ich halte davon ganz viel!
Luis Abalo Rodríguez, Astrophysiker bei der cosine GmbH
Wie kommunizieren Sie während Ihrer Arbeit?
Luis Abalo Rodríguez: Unsere Firma sitzt in den Niederlanden. Cosine Measurement Systems entwickelt eine neuartige Technologie – Silicon Pore Optics (SPO) – für „Athena“, das größte jemals gebaute Röntgenteleskop, das für die Europäische Weltraumorganisation ESA Phänomene im Universum untersuchen soll. Wir nutzen den verschlüsselten Messengerdienst ‚Element‘ und natürlich E-Mails.
Welche Social-Media-Kanäle nutzen Sie?
Unser Unternehmen ist auf Instagram und Twitter, LinkendIn und in einem YouTube-Channel aktiv. Ich selbst nutze Instagram und WhatsApp und sonst nichts.
Fühlen Sie sich manchmal gestresst von der Informationsflut und wie gehen Sie damit um?
Ja, absolut. Wenn wir die Informationen nicht limitieren, können wir nicht produktiv arbeiten. Meine Regel ist: keine Benachrichtigungen in meinen Apps. Wenn etwas wichtig ist, ruf an. Privat habe ich vielleicht 20 Gruppen bei WhatsApp und 200 Nachrichten pro Tag – völlig unmöglich, das zu verfolgen.
Wie wichtig ist Ihnen das Arbeiten in Präsenz?
Das ist die Basis eines Lernprozesses. Wer etwas entwickelt, so wie wir Technologie, der muss gemeinsam im Team arbeiten.
Was halten Sie von KI?
Ich finde KI sehr interessant, denn es wird unsere Art, wie wir Realität verstehen, komplett verändern. Das fängt schon an den Grund- und Oberschulen an. Dort müssen die Kinder lernen, damit umzugehen. Wir brauchen Lehrer:innen, die das unterrichten! Wir müssen KI in unser Leben integrieren.
Eva Unger, Professorin am Institut für Chemie der HU und am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie
Wie kommunizieren Sie während Ihrer Arbeit und was hat sich durch die Coronazeit verändert?
Eva Unger: Seit Corona kommunizieren wir verstärkt online, auch Geschäftsreisen können zum Teil durch Online-Meetings ersetzt werden. Vor allem dann, wenn soziale Kontakte schon etabliert wurden und es rein um den Informationsaustausch geht. Was sich nicht leicht ersetzen lässt, ist das Networking vor Ort, auch um neue Leute kennenzulernen. Diskussionen zwischendurch wie in Kaffeepausen, das sind oft die Momente, wo neue Ideen entstehen.
Wie kommunizieren Sie normalerweise?
Meistens über E-Mail, weil ich gern die schriftliche Dokumentation habe. Zum Teil in sozialen Medien. Es frisst viel Zeit und manchmal merke ich: Ich tue nicht das, was ich als meine Arbeit definieren würde. Viele lose Fäden, es verläuft auch oft im Nichts und manches fühlt sich nicht zielführend an.
Wie lösen Sie das?
Durch zeitliche Begrenzung. Ich reserviere mir inzwischen eine Stunde pro Tag für Kommunikation, aber das reicht normalerweise nicht aus. Ich brauche mehr als 60 Prozent meiner Zeit für Wissenschaft. Für mich ist die Zeit am wertvollsten, in der ich nicht gestört werde, um in der Tiefe über etwas nachzudenken.
Wie ist Ihr Zeitempfinden?
Gerade weil ich ein Kind habe, habe ich das Gefühl, die Zeit effektiv nutzen zu wollen. Es ist wichtig zu lernen, Zeitbeschränkungen freundlich zu artikulieren, am besten schon am Beginn einer Kommunikation. Wie viel Zeit kann ich mir heute für dieses Thema nehmen? Da hilft auch ein Timer. Aber ich muss ehrlich sagen, das gelingt mir nicht immer und Stress ist leider oft die Realität.
Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB)
Stefan Sander, Mitarbeiter am Institut für Chemie, HU
Wie kommunizieren Sie während Ihrer Arbeit und was hat sich nach Corona verändert?
Nach Corona machen wir keine Zoom-Meetings mehr. Mailverkehr ist Standard, ab und zu wird telefoniert. Online-Meetings sind nicht mehr so ein Ding bei uns. Wir machen die Vorträge in Präsenz.
Welche Social-Media-Kanäle nutzen Sie?
Meine Generation, ich bin 1991 geboren, ist klassisch bei WhatsApp, ich verschicke viele Sprachnachrichten. Corona hat bei mir nicht viel daran verändert.Strava nutze ich gerne. Das ist eine Sport-App wo ich meine sportlichen Aktivitäten tracke, zum Beispiel die Rennrad-Routen von anderen Nutzenden sehen und mich vernetzen kann, das könnte auch in Richtung Kommunikation gehen.
Sind Sie gestresst von den vielen neuen Kanälen?
Ich habe Instagram, aber ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich hängenbleibe, länger als mir lieb ist. Wenn es zu viel wird, komme ich in so eine Spirale und das ist nicht gesund.
Welche Wege gehen sie, um inmitten der Informationsflut gesund zu bleiben?
Tatsächlich deinstalliere ich Instagram ab und zu. Twitter habe ich ganz deinstalliert. Ich habe mir einmal ein Video über den Ukraine-Krieg angeschaut und der Algorithmus schlägt einem das Thema dann immer wieder vor. Ich hätte mir theoretisch eine Stunde lang ansehen können, wie Menschen sterben. Das hat mich richtig fertig gemacht. Da rauszugehen, tut sehr gut.
Wie wichtig ist es Ihnen, in Präsenz zu kommunizieren?
Sehr wichtig. Ich habe mich öfter in Online-Meetings dabei ertappt, dass ich zwar zuhöre und alles sehe, aber trotzdem in meinem eigenen Raum bin und mich leichter ablenken lasse. Dann lieber in Präsenz.
Jördis Götz für Adlershof Journal