Zukunft im Wohnturm, immer noch
Essay von Prof. Dr. Holger Rust, Wirtschaftssoziologe und Publizist, bekannt als Kritiker von Managementmoden und pointierter Key Note Speaker
Eine Glosse über Kosten, Kabel und verräterische Kühlschränke, vor allem aber darüber, dass es die Utopien von heute schon gestern gab, ein bisschen anders nur. Aber zwei Dinge zeigen sich doch: Nichts ist vergänglicher als die Zukunft. Und: Wir lernen trotzdem dies oder jenes.
Smart Homes sind die Modelle der Zukunft. In den Städten aufgetürmt, um Platz zu sparen. Alles vernetzt, digitalisierte Teppichböden, die Beleuchtungsphasen steuern; einkaufende Kühlschränke; selbstfahrende Automobile (welch schöner Pleonasmus), die auf Zuruf aus der Garage rangieren. Convenience ohne Knopfdruck, einfach so, als Protokoll der Gewohnheiten, umcodiert von findigen Geistern auf 0 und 1. Utopien, die weltweit in den Denkfabriken der modernen Science Labs entstehen, verführerisch und technologisch durchdacht, weil Hochleistungsrechner dabei helfen, Probleme zu lösen. Jetzt mal abgesehen von Nebensächlichkeiten wie Kosten oder dem Blick in die Ecken, wo die Kabel sind, also ganz unten hinten rechts in einem klimatisierten Verlies.
Kabel. Tonnenweise. Je höher die Türme, desto mehr Kabel. Grün, orange und schwarz, grau und blau, alle irgendwie mit flackernden Displays verbunden, die zeigen, dass Algorithmen fleißig Routinen abreißen. Oder manchmal eben auch nicht, weil einer wieder irgendwo dran rumgefummelt hat. Herrlicher neuer Stoff für Nachbarschaftszwiste.
Je mehr man sich mit diesen Utopien beschäftigt, desto deutlicher wird das Gefühl, dass das alles nicht so ganz neu ist. Hatten wir das nicht schon mal? Jedenfalls so ähnlich? Hatten wir. So ähnlich. Vor gut fünfzig Jahren. Da überschlugen sich verheißungsvoll ähnliche technologische Phantasmagorien, mit Titeln wie: „So leben wir morgen“, „Unsere Welt im Jahr 2000“, „Das neue Universum“.
Diese Konvolute waren vor allem für technikbegeisterte Eleven geschrieben, die daran ihre künftigen Rollen studierten: Baumeister der Zukunft, Promoter grenzenlosen Wachstums. Am schönsten dokumentierte sich dieses grenzenlose Wachstum in irren neuen Wohnformen unvorstellbar hoher Hochhäuser für Zehntausende von Menschen, als Paradies hienieden, wie in Sant’Angelo in Rom – aufgetürmt über der historischen Stadt und dem Vatikan und voll mit ultimativem Smart Tec.
Und was war das damals: Ultimativer Smart Tec? Atomkraft. Sie galt als Erlösung aus allen Energieproblemen, leise, sauber, unerschöpflich, universell. Ganz gleich, ob es eine Trasse für Straßen und Tunnels durch Gebirge zu brechen, eine alternative Energiequelle für Autos zu entwickeln oder den heimischen Herd zu befeuern galt.
Gesteuert wurde das alles durch Displays, die noch Schaltpulte hießen, bedient von einer Hausfrau wie aus dem zeitgenössischen Dr. Oetker-Kochbuch. Denn – heimelig sollte es schon noch sein: „Auch in der Zukunft“, hieß es in einem dieser Bücher, „kehrt der Mensch gern zu Frau und Kind ins gemütliche Heim zurück.“ Um dort ein automatisch vorgekochtes Mahl zu verzehren, das durch Rohrpost geliefert wurde, eine weitere Apotheose der Modernität. Ganze Städte waren in diesen Fantasien so verrohrt, wie sie nun digitalisiert sein sollen.
Doch dann keimten Zweifel auf, befeuert von Satiren wie Jacques Tatis „Mon Oncle“, vor allem Zweifel an der Sicherheit der Atomkraft. Es ist beruhigend, dass dieser Zweifel in der Scientific Community stärker denn je seinen Platz findet, vor allem was den Umgang mit der neuen Energie der Zukunft angeht, jenen fetten Datenmassen, Big Data, die durch die Kabel im Keller ins wolkige Irgendwo verschwinden und Alltagsgewohnheiten archivieren. Es ist beruhigend, dass sich die durch Soziologie und Philosophie geerdeten MINTs mittlerweile auch über solche Probleme Gedanken machen. Zum Beispiel, wem der Kühlschrank die Informationen zuspielt, wenn er schon wieder eine neue Ladung Riesling geordert hat.