Zukunftsgestalter im geschichtsträchtigen Industriequartier
Erfolgsgeschichten junger Technologiefirmen in Berlin-Oberschöneweide
Junge Technologiefirmen bringen analoge und digitale Welten zusammen und schaffen damit die industrielle Basis der Zukunft. In Oberschöneweide weckt das Erinnerungen an die Zeit, als dort Berlins industrielles Herz zu pochen begann.
Ausgerechnet Energiespeicher. Hier, wo die AEG 1890 mit ihrer Akkumulatoren-Fabrik einen Meilenstein der Elektrifizierung setzte, um die herum sich ein industrieller Kern im Südosten Berlins bildete, entwickelt die junge Qinous GmbH heute intelligente Energiespeicherlösungen auf Basis von Lithium-Ionen-Akkumulatoren und digitalen Energiemanagementsystemen (MEMS).
Seit der Gründung im Jahr 2013 ist das Start-up zum weltweit agierenden Mittelständler mit 45 Beschäftigten gereift. Die Erfolgsstory rief 2018 einen namhaften Partner auf den Plan: Rolls-Royce. Jüngst hat der Konzern die Mehrheitsanteile an Qinous übernommen. „Mit den Spezialisten der Rolls-Royce Power Systems AG haben wir nun ein 70 Köpfe starkes Team, um internationale Projekte und Serviceangebote schnell und zuverlässig umzusetzen“, berichtet Marketingleiterin Larissa Middendorf. Dabei geht es unter anderem darum, Inseln, entlegene Dörfer oder Tourismusressorts abseits von Stromnetzen mit einem sauberen Energiemix zu versorgen. Die modularen, in Standardschiffscontainern untergebrachten Qinous-Batteriesysteme speichern bis zu 2.200 Kilowattstunden Strom.
Als Teil sogenannter Diesel-Hybrid-Systeme puffern sie Wind- und Solarstrom, der weitaus günstiger als Strom aus Dieselgeneratoren ist. Diese bleiben dennoch am Netz, weil die erneuerbare Stromproduktion schwankt. Doch dank der Batterien und MEMS gelingt es Qinous, den Anteil der erneuerbaren Energie zu maximieren und die Spannung und Frequenz in den Hybridnetzen durch gezieltes Bereitstellen von gespeicherter Reserveleistung stabil zu halten. Diese Aufgaben übernehmen Qinous-Lösungen auch im On-Grid-Bereich. Digital gesteuerte Batteriesysteme helfen bei der Frequenzregulierung, beim Stabilisieren der Spannungen und beim Lastmanagement, wo immer mehr volatile erneuerbare Energien in Stromnetze drängen – ein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell, das analoge Energietechnik digital veredelt.
Die Verbindung von analoger und digitaler Welt steht auch im Fokus der ebenfalls 2013 gegründeten botspot GmbH. Sie hat ihr Lager eine Straßenecke weiter in der Ostendstraße aufgeschlagen, wo sie mit mittlerweile 20 Mitarbeitern eine ähnliche Erfolgsgeschichte schreibt. Geschäftsführer Sascha Rybarczyk ist dringend auf der Suche nach IT- und Elektronikspezialisten. „Gern Absolventen, weil wir ohnehin dauernd Neuland betreten“, sagt er. Botspot habe so viel zu tun, dass er mindestens zehn weitere Einstellungen plane.
Das Start-up hat eine unerwartete Entwicklung genommen. Ursprünglich hatte das Team den 3D-Druck im Sinn, als es erste Produkte erdachte: hochpräzise 3D-Scanner, die Objekte und Körper in digitale Datenfiles übersetzen. Doch statt 3D-Druckfirmen bissen andere Kunden an. Kriminalisten nutzen botspot-Scanner zur Dokumentation von Asservaten und biometrischen 3D-Daten; Anatomen und Kliniken scannen Organe und Gewebe; Textilfirmen ermitteln anhand von Ganzkörperscans in botspot-Systemen Passformen für Bekleidung; Sportgerätehersteller und Automobilbauer optimieren Produkte damit oder nutzen die 3D-Scanner zur Qualitätssicherung oder Schadensdokumentation.
Damit ist nur ein Bruchteil der Anwendungen benannt. „Großes Potenzial bieten auch Virtual, Augmented und Mixed Reality“, erklärt Rybarczyk, denn hier komme es darauf an, analoge Welten so exakt wie möglich zu digitalisieren. Das ist die Stärke der 3D-Scanner aus Oberschöneweide. Dank ausgefeilter Beleuchtung schürfen die 3D-Scanner mithilfe photogrammetrischer Verfahren auf Basis mehrerer Kameras und bei Bedarf auch Infrarotsensoren hochpräzise, farbtreue 3D-Daten. So schaffen sie eine neue digitale Realität – und nebenbei ein Stück Zukunft für das geschichtsträchtige Industriequartier Berlin-Oberschöneweide.
Von Peter Trechow für Potenzial – Das WISTA-Magazin