ZukunftsOrte Wissenschaft+Wirtschaft. Essay von Dr. Klaus Brake und Prof. Hildebrand Machleidt
Berlin 1990: Zur Wiedervereinigung dominiert Subventionsmentalität und Ertüchtigungshilfe bleibt aus. Im Ergebnis hat Berlin endgültig keine Wirtschaft mehr, die diese Stadt ernähren kann. Aber auch noch kein Entwicklungsmodell, wie Potenziale der Stadt zu Arbeit und Wohlstand gebracht werden können. Im Vorgriff auf eine kohärente Strategie wird ein Element kurzerhand konkretisiert, nämlich Wissenschaft – die einzige und exorbitante Ressource dieser Stadt – in Wertschöpfung umzusetzen. Das verbindet sich mit den Herausforderungen von Adlershof als einen traditionsreichen Ort zukunftsorientierter Interaktion von Wissenschaft und Wirtschaft, institutionell aber – anders als etwa die Humboldt-Universität – obsolet. Mit der Idee, aus Wissen Arbeit zu generieren, und damit die Tugenden dieses Ortes neu zu beleben, wird Adlershof der – und zwar einzige – Ort für die Zukunft Berlins.
Urbanes Milieu wichtig
Und mit einer mehr als zeitgemäßen Konzeption: Am Rande der Inneren Stadt soll eine „Stadt der Wissenschaft und Wirtschaft“ entstehen. Antizipiert wird, dass Ideenvorsprünge, exzellente Wissenschaft, wettbewerbsfähige Wirtschaft und deren Synergien in urbanem Milieu erfolgreich sind.
Dem entspricht das Planungsverfahren seit 1991. Mit den Vorgaben einer Neuordnung des Gesamtgebietes zu einer urbanen Stadtlandschaft aus Wissenschaft, Wirtschaft, Wohnen und Erholung und der Schaffung eines „neuen Stadtteils“ mit „städtischer Nutzungsmischung“ und integrierten Millieus geht es über städtebauliches Entwicklungskonzept, Feststellung eines Entwicklungsbereichs und kooperatives Gutachterverfahren zur Bebauungsplanung.
Die Entwurfsprinzipien des Masterplanes scheinen sich zu bewähren: Ein bestandshaltender Städtebau, der wertvolle Bausubstanz und zukunftsfähige Institutionen und Betriebe integriert, ein leistungsfähiger Stadtgrundriss, der für künftige Entwicklungen offen ist, öffentliche Grün- und Freiräume, die Aufenthalts- und Erholungsanreiz bieten und eine kommunikative städtische Architektur, die Wertschätzung und Identität stiftet; dazu ein duales System aus individuellem und öffentlichem Verkehr, das die Stadt für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien optimal mit Stadt und Region vernetzt.
Ob diese städtischen Qualitäten für die unabweisbaren Erfolge des Zukunftsortes Adlershof stehen, ist zwar empirisch (noch) nicht nachgewiesen, aber zu vermuten ist, dass sie die Attraktivität dieses Ortes für „die besten Köpfe“ und ihre Identifikationsmöglichkeiten mit ihm steigern helfen.
2010: Adlershof hat sich bewährt
Zugleich wird es weitere Zukunftsorte Berlins geben. Warum? Weil die Potenziale Berlins an Wissenschaft und Wirtschaft inzwischen weiter belebt worden sind. Es gibt eine Verständigung auf Kompetenzfelder, wo Berlin erfolgreich auf Märkte gehen kann; entsprechende Masterpläne sind vereinbart und die Entwicklungs-Agenturen, wie Investitionsbank Berlin, TSB Technologiestiftung Berlin, Berlin Partner GmbH etc., fokussiert (Quadriga-Prozess).
Berlin verträgt mehr Orte für seine Zukunft. Ein ökonomisch neues Berlin aus Wissenschaft und Wirtschaft zu entwickeln, ist inzwischen Selbstverständnis in der Stadt. Der „Masterplan ‚Wissen schafft‘ Berlins Zukunft“ (2007) oder das Jahr „Berlin – Hauptstadt für die Wissenschaft“ (2010) zeigen das.
Wissensintensive Ökonomie als Typ der Zukunft hat mit seinen Hauptfeldern – intelligente Fertigung, strategische Dienstleistungen und Kreativwirtschaft – gerade in Berlin ihren prädestinierten Standort.
Berlin hat mehr schlummernde Wissenschafts- und Wirtschaftsorte für die Zukunft der Stadt, was thematische Cluster mit Interaktionsstrukturen und jeweils spezifischen Profilen und (sub-)urbane Affinitäten betrifft.
Welche weiteren Zukunftsorte sind zu diskutieren?
Buch als Standort für integrierte Grundlagen- und Anwendungsforschung, Kliniken und Technologien und assoziierte Gesundheits-Versorgungs-Strukturen im ehemals größten Krankenhausensemble Europas mit großen städtebaulichen Qualitäten: ein in sich ruhender Zukunftsort „Gesundheitswirtschaft“.
Charlottenburg als Gründerzentrum angewandter Forschung in der Wechselwirkung von TU und UdK mit Profilbildung eines bislang disparaten Raums für innenstadtaffine Akteure: ein Zukunftsort „Kultur, Medien und Informationstechnologie“.
Mitte im Überschneidungsbereich von Humboldt-Universität, Charité, Heidestraße und Bayer Schering Pharma, dessen Standort Wedding zu einem Campus ertüchtigt wird, der in seinem Gelände städtebaulich qualifiziert und mit seiner Umgebung integriert wird: ein urbaner Zukunftsort der „Lebenswissenschaften“.
BBI-Umfeld als Schiene zwischen Schönefeld und Ludwigsfelde für transportaffine Aktivitäten von Luftverkehr, Logistik, Turbinenbau, Wartung und Motorenbau: ein großformatiger Zukunftsort „Verkehrwirtschaft“.
Tegel als Standort für Produktion, Erprobung, Präsentation und Vermarktung im Bereich Verkehrsträger Flug / Bahn / Straße und „Park“ mit günstiger Infrastruktur und zwischen Henningsdorf und der TUBerlin gelegen: ein integrierter Zukunftsort „Mobilität“ und „Energietechnik“.
Städtebauliche + architektonische Anforderungen an Zukunfts-Orte
Auszeichnen müssen sie sich durch ein kommunikatives Milieu und Identität. Es geht um Synergien vor Ort, nicht um Situations-Spektakel. Milieu und Identität sind eine Sache von Geschlossenheit des stadträumlichen Auftritts und nicht solitärer Extravaganzen. Sowohl die einzelnen Bauten als auch ihr gemeinsamer Öffentlicher Raum müssen Möglichkeiten von Treffpunkten vermitteln mit hohen Anmutungs- und Aufenthalts-Qualitäten, einschließlich Freiraum und Kunst. Sie müssen zunächst eine „innere Urbanität“ der Zukunftstorte begünstigen und einen geringen ästhetischen Verschleiß. Eine entsprechend unterfütterte Identität kann dann „Marke“ sein. Zugleich kann der Grad an Urbanität als Einbettung in das Umfeld durchaus unterschiedlich sein – etwa zwischen ruhiger Konzentriertheit (wie für Buch) und „mittendrin“ (wie für NAVI).
In diesem Kontext ist dann Adlershof einer der Orte – mit (seiner) Zukunft für Berlin. Das Engagement dort für städtebauliche Qualitäten „innerer Urbanität“ ist fortzusetzen.
2030 haben wir die Landschaft der Zukunftsorte in und um Berlin – mit dem Rückenwind des Protagonisten Adlershof.
Dr. Klaus Brake
Professor für Stadt- und Regionalentwicklung; Fellow am Center for Metropolitan Studies, TU Berlin
Prof. Hildebrand Machleidt
Machleidt + Partner, Büro für Städtebau