Adlershofer Kundendienst für Neugierige: „Außenseiter-Spitzenreiter“ gehen die Zuschauerfragen nicht aus
War Schlagersänger Frank Schöbel Friseur in Dresden? Keine weltbewegende Frage, aber eine von vielen, welche die Poststelle des DDR-Fernsehens täglich erreichten. Hans-Joachim Wolfram hatte 1972 die Idee, aus den Zuschauerbriefen eine Fernsehsendung zu machen, von der zu Beginn niemand wirklich begeistert war. Heute ist sie die am längsten laufende Unterhaltungssendung des deutschen Fernsehens: „Außenseiter-Spitzenreiter“. Am 19. Januar 2011 läuft die 364. Folge. Produziert wird sie, wie alle anderen, in Adlershof.
Auf was die Leute so kommen? Noch immer staunt Hans-Joachim Wolfram über die Fragen, die bei ihm eintreffen. Warum laufen die Streifen einer Krawatte immer in eine Richtung nach unten? Wie viel nimmt ein Dirigent während eines Sinfoniekonzerts ab? Spricht der Opernsouffleur oder singt er? Mit leuchtenden Augen sitzt Erfinder und Dauermoderator Wolfram im November 2010 in seinem Büro. Er lauscht der Stimme eines Tenors aus der Nähe von Köln, von dem er noch nie etwas gehört hat. Sein Name ist Udo Roleff. „Ein zweiter Paul Potts“, so der Klassikfan Wolfram. Seine Meinung wird stimmen, denn er stammt aus einer Sängerfamilie.
Vom Sportreporter…
1957 begann Wolfram seine Laufbahn beim Rundfunk in Dresden, zunächst als Studiotechniker. An den Wochenenden durfte er manchmal journalistisch aushelfen, denn „da wollte kein anderer arbeiten“. Sein erster Auftrag, eine Reportage von einem Mattenskispringen, ging fast daneben. Um die Absprunggeräusche aufzunehmen, positionierte er sich ganz nah am Schanzentisch und damit „am völlig falschen Platz“. Am Ende stand Wolfram mit ein paar Tonaufnahmen, aber ohne Reportage da. Mit seinen Tagesmitschriften und den aufgezeichneten Geräuschen „produzierte“ er schließlich im Park seinen Bericht: „Flüssige drei Minuten. Aber die Leute im Park glaubten bestimmt, da sitzt ein Verrückter im Busch.“ Es folgten weitere Aufträge und nach einem Jahr gehörte Wolfram zur Redaktion mit der Auflage, Journalistik zu studieren. Der DDR-Meister im Eisstockschießen der Jahre 1965 und 1967, Fußballer und Trabrennsportler hatte nur einen Wunsch: Sportreporter werden. Er schaffte es bis zur Armeespartakiade, einer Sportveranstaltung der Truppen des Warschauer Paktes, bei der er ein Fußballspiel der Koreaner kommentieren durfte.
…zum Publikumsliebling
Im Jahr 1969 startete das 2. Programm des DDR-Fernsehens. Die Radioredaktion, in der Hans-Joachim Wolfram arbeitete, wurde nach Berlin Adlershof delegiert. Die Idee einer Sendung aus Zuschauerfragen, für die sich anfangs niemand richtig erwärmen konnte, schlug ein wie eine Bombe. Ein „unerhörtes Echo“ sagt Wolfram: 50 Prozent Zuschaueranteil ermittelte die DDR-Zuschauerforschung. Der Rest ist Fernsehgeschichte. Reportagen vom FKK-Strand, „Wachet auf“-Kanon-Gesänge mit Menschenschlangen vor Bäckereien oder Geschichten über den Hang der Störche, nach Süden zu fliegen. Noch heute schalten im Sendegebiet des Mitteldeutschen Rundfunks, für den “Außenseiter-Spitzenreiter“ produziert wird, etwa eine halbe Million Menschen ein. Allerdings ist Wolfram Realist. Die kleinen, feinen Pointen, die früher hin und wieder das Prädikat „politisch instinktlos“ ernteten, gehen heute ins Leere.
Kurios war das Jahr 2002, als Wolfram in Hollywood landete und dort Oscar-Preisträger Charlton Heston traf. Der aus Gera stammende Siegfried Geike war damals berühmtester Maskenbildner im Glamourland. Zum 30. Sendejubiläum ging es daher nach Amerika, um „den alten Moderator Wolfram wieder jung zu machen“. Während des Aufenthalts hielt Heston bei einer Ehrung Geikes die Laudatio und lud das Aufnahmeteam in sein Haus ein.
„Wir haben die größte Redaktion der Welt – unsere Zuschauer.“
„Lustig, aber nie peinlich“ soll es für die Vorgestellten und Befragten sein, darauf achtet Wolfram. „Wir dringen überall ein“, sagt der heute 76-Jährige. „Warmherzigkeit und Sensibilität sind da sehr wichtig. Wo ich heute hinkomme, gehöre ich fast schon zur Familie.“ Nach seinem langjährigen Partner Hans-Joachim Wolle moderierte Wolfram einige Jahre mit der DDR-Eiskunstläuferin Christine Errath. Heute steht Tochter Katja immer öfter vor der Kamera. Dass die Neugierde nachlässt oder die Fragen ausgehen, davor hat Wolfram keine Angst. „Wir haben die größte Redaktion der Welt – unsere Zuschauer.“
Ach ja, die Streifen der Krawatte würden verzerren, liefen sie in anderer Richtung; der Opernsouffleur singt nur in Ausnahmefällen und nein, Frank Schöbel war nie Friseur. Das war Andreas Holm, auch ein Schlagersänger. Also: „Bleiben Sie schön neugierig!“
von Rico Bigelmann
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