Das fliegende Adlershof
Von den ersten Flugversuchen bis zum Hotspot der Raumfahrttechnik
Nur an wenigen Orten wurde der Traum vom Fliegen so konsequent verfolgt wie in Adlershof. Einst wagten Pioniere hier erste Flugversuche. Später entstanden riesige Prüfstände zur Entwicklung und Optimierung von Flugzeugkomponenten. Und heute kreist jede Menge Technik aus Adlershof im Orbit. Der Standort ist ein Hotspot der Raumfahrttechnik.
Die Flugapparate waren 1909 eine echte Attraktion am frisch eingerichteten Motorflugplatz Johannisthal-Adlershof. Es war der zweite seiner Art weltweit. Massen strömten hierher, um „Aviatiker“ bei ihren Flugversuchen zu bestaunen. Wo heute im Landschaftspark die Schafe grasen, kämpften Anfang letzten Jahrhunderts Pioniere um ihren Traum vom Fliegen. Ein Kampf auf Leben und Tod. Abstürze und Bruchlandungen waren an der Tagesordnung. Häme der Zuschauer gab es obendrein.
Motorenprüfstände sind heute Industriedenkmäler
Dennoch wurde aus den Versuchen bald Fliegerei. Flugschulen entstanden. Motoren hoben Flugzeuge in die Lüfte, die in aller Regel auch wieder sicher landeten. Adlershof entwickelte sich zu einem Zentrum der jungen Branche. Schon 1912 nahm die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) hier den Betrieb auf. Flugzeugwerke entstanden am Standort. Nach und nach rückte die militärische Bedeutung in den Fokus und ließ Gelder für Forschung und Entwicklung fließen. An riesigen, heute noch erhaltenen Motorprüfständen und Windkanälen trieben Ingenieure die technische Entwicklung voran. Die Prüfstände sind heute Industriedenkmäler.
Doch der Traum vom Fliegen lebt am Standort. Allerdings stehen statt Extrembelastungstests für Propellerantriebe, Strömungsoptimierung von Tragflächen und Leitwerken oder der Erforschung des gefährlichen Trudelns heute Aufgaben wie das Navigieren in der Schwerlosigkeit, ultra-exakte Lageregelung für Kleinsatelliten oder das Konstruieren extremer Leichtbaustrukturen für Weltraummissionen auf der Agenda der Ingenieure. Adlershof zählt heute zu den ersten Adressen der europäischen Raumfahrt.
Optische Hochleistungssysteme für Sojus-Missionen
Die Wurzeln reichen bis in die 1950er-Jahre zurück. Seit 1958 richten Forscher in Adlershof ihren Blick auf die Galaxis – mit einem Radioteleskop von 36 m Durchmesser. Aus einem „Interkosmosprogramm“ mit der Sowjetunion ging später das Institut für Kosmosforschung (IKF) hervor, das unter anderem optische Hochleistungssysteme für Sojus-Missionen entwickelte. Im Prinzip setzte das IKF die Aktivitäten der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt fort, bis es nach der Wende im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) aufging. Die beiden DLR-Institute für Planetenforschung sowie für Optische Sensorsysteme sind heute die Leuchttürme am Luft- und Raumfahrtstandort Adlershof – der abermals mit Hightechprüfständen von sich reden macht.
Ein Beispiel ist der Lageregelungsteststand der Astro- und Feinwerktechnik Adlershof GmbH, die 1994 aus dem DLR hervorgegangen ist. Kleinsatelliten lernen darin, bei 360°-Rotation im simulierten In-Orbit-Magnetfeld sowie bei Bestrahlung durch eine bewegliche künstliche Sonne, ihre jeweilige Position und Drehrate zu bestimmen. Nur so können bei Fluggeschwindigkeiten von 7000 m/s Kameras und andere Sensoren präzise auf ihr jeweiliges Ziel auf der Erde ausgerichtet werden. Neben solchen terrestrischen Prüfständen zählen hochpräzise, vibrationsarme Reaktionsräder zu den Spezialitäten von Astrofein – und den Forscherkollegen am DLR. Sie sind nötig, um Satelliten zu drehen.
Direkter Draht ins All
Auch im Bereich der optischen Systeme sind beide Partner stark. Und damit sind sie in Adlershof nicht allein. Mit der Berlin Space Technologies GmbH und deren eigens auf Kleinsatelliten zugeschnittenen multispektralen HD-Videokamerasystemen, der Active Space Technologies und ihrem breit gefächerten Angebot optoelektronischer Systeme, mit eagleyard Photonics, deren Lasersysteme regelmäßig in Raummissionen zum Einsatz kommen, oder mit der IQ Wireless GmbH, die u. a. auf Breitbandfunkverbindungen zu Kleinsatelliten spezialisiert ist, haben weitere Adlershofer Unternehmen einen direkten Draht ins All.
Optische Sensorik und Kommunikationssysteme sind ein kleiner Ausschnitt des Angebots am Standort. Unternehmen wie Astrofein oder die junge Space Structures GmbH entwickeln extrem belastbare und nicht minder leichte Strukturbauteile für Satelliten, die vor dem Start reihenweise knochenharte Belastungstests durchlaufen. Und teils – hier schließt sich der Kreis – findet das Know-how der Adlershofer auch heute noch Verwendung in der Luftfahrt. Sei es Leichtbau von Space Structures, seien es die Hightechmetalle der Forgital Germany GmbH oder die vielfältigen statischen und dynamischen Betriebs- und Strukturfestigkeitsuntersuchungen der GEVA Gesellschaft für Entwicklung und Versuch Adlershof mbH. Wie die DLR-Institute hat Letztere ihre Wurzeln in der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt. Ihre Prüfstände sind in einem alten DVL-Hangar untergebracht. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Luft- und Raumfahrt wohnen in Adlershof Tür an Tür.
Von Peter Trechow für Adlershof Journal