Das neue Normal
Wie anders ist die Arbeitswelt in der Pandemie geworden?
Beständig ist nur der Wandel. Pandemiebedingt erhält diese Weisheit eine neue Dimension. Doch wie gehen Adlershofer Unternehmen und Institute damit um? Wir haben uns in der neuen Arbeitswelt umgehört.
Es ist die Evolution der Arbeitswelt im Eiltempo: Die Pandemie hat vieles verändert – und vor allem gezeigt, wie flexibel wir uns an neue Gegebenheiten anpassen können. „Die abgelaufenen anderthalb Jahre haben meine persönliche Sicht auf die Arbeitswelt grundlegend verändert. Viel mehr als ich mir anfangs eingestehen wollte“, bekennt Jan Trommershausen, Geschäftsführer der AEMtec GmbH.
Nach den ersten Nachrichten zu Covid-19 galt es für ihn zunächst zu erkennen, mit welchen Auswirkungen AEMtec rechnen muss. „Dies ging in drei Richtungen: Wie reagieren die Kunden, wie halten wir den Betrieb am Laufen und was bedeutet das für unsere Lieferketten?“, berichtet Trommershausen. Nicht einfach: „Da waren die Meldungen zu Beginn schon sehr breit gestreut. Das ging von Weltuntergang bis ‚leichte Grippe‘“. Fertige Lösungen für die neue Situation gab es nicht. Für niemanden. Es galt, und gilt nach wie vor, selbst aktiv zu werden: „Dabei haben wir immer versucht, schneller als die Politik bei der Festlegung von internen Maßnahmen zu sein“, erzählt der AEMtec-Chef. Manche Dinge waren für die Firma eher einfach, weil in der Fertigung sowieso mit Masken gearbeitet und im Reinraum die Luft mit Hepa-Filtern gereinigt und regelmäßig umgewälzt wird. „Aber auf den Fluren mit Masken herumzulaufen war schon ungewohnt“, sagt Trommershausen.
Dann kam der Sommer 2021: „Wir haben morgens unsere Mitarbeitenden mit der zweiten Impfung versorgt und abends unsere ausgefallene Weihnachtsfeier als Sommerfest nachgeholt“, erzählt Trommershausen. An diesem Abend hat es in seinem Kopf ‚Klick‘ gemacht. Ihm wurde klar, wie schön und wichtig soziale Kontakte sind, wie herausfordernd die Zeiten für die Mitarbeitenden sind und wie gut sie damit zurechtkommen, obwohl nun auch im Privatleben alles anders war. „Daraus haben sich Gespräche mit Mitarbeitenden ergeben, die ich mir in der Vergangenheit gar nicht vorstellen konnte“, so Trommershausen. „Letztlich drehte es sich häufig um die Frage des Wann und Wo für die Erledigung der jeweiligen Aufgaben.“ Daraus folgte, dass seither alle möglichst flexibel arbeiten können. Trommershausen: „Daraus resultierte einerseits eine gewisse Dankbarkeit über die Flexibilität des Arbeitgebers und umgekehrt auf Arbeitgeberseite auch ein wesentlich gesteigertes Vertrauen darauf, dass die Aufgaben zuverlässig erledigt werden.“
Den Beweis habe die Belegschaft eindrucksvoll erbracht, so dass diese Flexibilität auch nach der Pandemie bleiben wird: „Wir haben bereits jetzt eine Betriebsvereinbarung unterschrieben, die zukünftig erweiterte Homeoffice-Möglichkeiten eröffnet, die Arbeitszeiten wurden sehr viel weiter flexibilisiert“, so der AEMtec-Chef. „Eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens ist stetig gewachsen und in der Entwicklung der Digitalisierung haben wir große Schritte erlebt.“
Ähnliche Erfahrungen wurden auch im Landeslabor Berlin-Brandenburg (LLBB) gemacht: „Wenn wir der persönlichen Situation unserer Mitarbeitenden noch stärkere Aufmerksamkeit schenken und versuchen, sie bestmöglich zu unterstützen, wirkt das motivierend“, berichtet Mike Neumann, Leiter der Abteilung Umwelt und Strahlenschutz. Viele seien so noch fokussierter und organisierter. Ein positiver Effekt der an sich belastenden Situation. „Die wenigen Präsenzveranstaltungen werden wertgeschätzt. Was vorher selbstverständlich war, ist jetzt ein Gewinn. Das schweißt zusammen“, betont Neumann.
Sicher, der Organisations- und Koordinationsaufwand sei für die Führungskräfte enorm gestiegen, berichtet Stefan Hinz, geschäftsführender Direktor des LLBB. Doch: „Effizienz und Reibungsverluste halten sich die Waage.“ Reisezeiten fielen weg, aber das tägliche Jonglieren mit Personen, Räumen und Zeit nehme zu. Der Preis: „Leider fallen viele der persönlichen Kontakte weg, das vermisse ich sehr“, sagt Gabriele Witt, Leiterin der Abteilung Rückstandsanalytik, Kosmetika, Bedarfsgegenstände, Tabak, Futtermittel. Gleichwohl ermöglichten Videokonferenzen einen schlanken standortübergreifenden Austausch. „Das wird auch nach der Pandemie bleiben“, so Witt. Was ein Gewinn sei – sofern die Balance zwischen persönlichen und digitalen Kontakten glückt.
Generell, da sind sich die drei einig, werde sich das Kommunikations- und Zeitmanagement wandeln. Der größte Teil der Arbeiten – nämlich die Untersuchung der Proben – muss allerdings auch in Pandemiezeiten vor Ort im Labor stattfinden.
Vernetztes, mobiles und mitunter eng getaktetes Arbeiten wird zum neuen Normal. Was durchaus ein Gewinn ist, wie Marlene Schöbel beweist. Sie macht in Adlershof ihren Master in Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Mit Kommiliton:innen kam sie nur sehr wenig in Kontakt, außer bei gemeinsamen Vorträgen oder Hausarbeiten. Aber: „Studierende organisieren selbstständig Treffen. Und wir sind alt genug, um auch online angeregt an den Seminaren teilzunehmen“, sagt sie. Vor allem jedoch eröffnet hybrides Studieren neue Möglichkeiten: „Für mich kamen die Online-Lehrveranstaltungen sehr gelegen, da ich somit meine Studienzeit verkürzen, nebenher einen Trainee absolvieren und eine Firma gründen konnte“, erzählt Schöbel. „Das wäre in Präsenz nicht möglich gewesen, da allein die Fahrzeiten nach Adlershof enorm viel Zeit in Anspruch genommen hätten.“
Knut Rurack von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) fragt sich: Ist das längerfristig nun gut oder schlecht? Werden wir stärker zu Einzelkämpfer:innen, die versuchen, ihren eigenen Tag zu optimieren? Werden wir ineffektiver, weil wir dann mehr schriftlich kommunizieren, was mehr Zeit in Anspruch nimmt? Wie entwickeln sich größere Projekte, wo es auf Interaktion und Austausch ankommt? „Der direkte persönliche Kontakt ist immens wichtig und hat eine andere Bedeutung bekommen“, berichtet Rurack. „Wenn man sich seltener auf dem Flur trifft oder sich durch die offene Bürotür einfach kurz besuchen kann, werden regelmäßige Termine wichtiger. Der Arbeitstag wird stärker durchgeplant, speziell für Führungskräfte.“
Nichtsdestotrotz habe das soziale Miteinander gelitten, weswegen er auf eine Normalisierung hofft. Zugleich habe die Achtsamkeit zugenommen, allein schon, weil alle Büro- und Laborarbeitsplätze während der Pandemie nach Anwesenheit und Bedarf gebucht werden können. Die Kehrseite: „In der Forschung dauern gerade manche experimentellen Arbeiten länger als geplant, so dass teilweise aufgestellte Belegungspläne von Büros oder Laboren nachverhandelt und umgeplant werden müssen. Der Organisationsaufwand ist allgemein größer“, sagt Rurack. Ob das auch nach der Pandemie so bleibt, ist für ihn noch ungewiss. Fest stehe nur: „Wenn mehr mobiles Arbeiten die neue Normalität wird, dann macht es nur Sinn, wenn Bürofläche – bei Laborfläche ist das etwas schwieriger – eingespart wird.“ Alles zu doppeln sei unter Nachhaltigkeits- und Klimaschutzaspekten nicht sinnvoll. Rurack: „Eine neue, zukunftsgerichtete Normalität müsste aber auch die Dinge wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz mitdenken, deren Umsetzung allerdings aufgrund der Allgegenwärtigkeit der Pandemie derzeit noch kaum im Fokus steht.“
Nach all den Veränderungen und Unsicherheiten gewinnt Jan Trommershausen mittlerweile der neuen Arbeitswelt viel Positives ab, denn sie fördere mehr Mut zu Flexibilität, Kreativität und Vertrauen. „Dennoch wünschen wir uns wohl alle endlich eine Phase der Normalität und Planbarkeit“, spricht der AEMtec-Chef vielen aus der Seele.
Chris Löwer für Adlershof Journal