Der gute und der böse Schall
Sound-Design gegen Gestank im Ohr
„Lärm. – Ein Gestank im Ohr.“ So empfand es der US-amerikanische Journalist und Satiriker Ambrose Bierce. Besser hätte es auch Friedrich Blutner nicht formulieren können. Blutner ist ehemaliger Musikinstrumentenbauer und heute eine Kapazität im Bereich des Sound-Designs. Gemeinsam mit der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik (GFaI) organisierte er das 5. Sounddesignforum in Adlerhof. Dabei ging es um die Frage: Wie wird aus dem „Gestank“ ein Duft, wie aus Lärm ein angenehmer Sound?
Sound-Design – das ist ein Grenzbereich zwischen Psychologie und Technik. Im sächsischen Erzgebirge analysiert und kreiert Friedrich Blutner mit seiner Firma Synotec Töne und Sounds für die Industrie. In seinen Untersuchungen hat er beispielsweise gezeigt, dass das knackige Geräusch beim Biss in ein Wiener Würstchen die Geschmacksempfindung stärker beeinflusst als die Zutaten und Gewürze der Wurstmischung. Dass uns richtig eingesetzte Kaufhausmusik dazu verleitet, mehr Geld auszugeben, ist genauso hinlänglich bekannt.
Lebenswerte akustische Umwelt
Aber wie kann man die emotionale Kraft von Klängen und Geräuschen in unseren Städten wirkungsvoll einsetzen? Antwort auf diese Frage suchte das fünfte Sounddesignforum. Hier ging es nicht um den Verkauf fördernde Töne und Sounds, sondern um die Gestaltung einer lebenswerten akustischen Umwelt im urbanen Raum. Denn Lärm – gerade in Ballungszentren – kann gesundheitsschädigend sein. Für Blutner gibt es „gute“ und „böse“ Schalle. Die werden bisher in der Regel einfach weggedämmt. Bei neuen Forschungsansätzen dazu geht es um Selektion, darum, die guten Schalle zu stärken, die schlechten zu minimieren.
Geräuschqualität ist entscheidend
Der Schlüssel, sagt Friedrich Blutner, liegt in der Analyse und Bewertung. Wer nicht misst, kann nicht verändern. Doch bislang konzentriere sich bei der Erfassung von Lärmdaten alles auf die Lautstärke – den Pegel. Lärm ist aber eine Summe von Geräuschen, die wir einzeln ganz unterschiedlich wahrnehmen. Die Antwort liegt also in der Geräuschqualität. Blutner erklärt das am Wasserhahn-Phänomen. Während wir einen Sommerregen auf dem Dach als angenehm und beruhigend empfinden, kann uns ein tropfender Wasserhahn in den Wahnsinn treiben. Aber – und das ist eine entscheidende Frage: Was ist ein Sommerregen anderes als eine Menge von einzelnen Tropfen? Umgekehrt ist es beim Auto: Ein einzelnes Motorengeräusch wird eventuell noch als angenehm empfunden. Potenziert um ein Vielfaches wird es zu stressigem Lärm. Nach welchen Regeln also funktioniert unsere Wahrnehmung?
Messen mit der akustischen Kamera
Generell, sagt Blutner, nehmen wir Umweltgeräusche wie Wind oder Regen als angenehm wahr, während die technischen Geräusche unserer Fortschrittsgesellschaft überwiegend als unangenehm bewertet werden. Sie werden als Bedrohung empfunden. Doch wie misst man die Qualität von Geräuschen? Mit der akustischen Kamera. Während des Sounddesignforums filmte die Kamera vom südlichen Henslemann-Turm am Frankfurter Tor an der Karl-Marx-Allee die Kreuzung und projizierte die bewegten Bilder des Lärms auf eine Leinwand im Saal. War die akustische Kamera bislang in der Lage, Schallquellen zu orten und auf der Basis der reinen Schalldruckpegel auszuwerten, wurde sie nun um neue Komponenten erweitert, die diese Analyse auf die Psychoakustik – also die Wahrnehmung des Geräusches – ausdehnen und die es erlauben, die georteten Quellen in ihren Klangeigenschaften so zu verändern, dass ein gewünschter Sound entsteht.
Schall systematisch gestalten
Seit mehr als 20 Jahren wird intensiv daran gearbeitet, Schall systematisch zu gestalten, in den letzten fünf verstärkt. Paris – sagt Blutner – hat vor kaum mehr als 250 Jahren bestialisch gestunken, weil Abfälle und Fäkalien in die Straßen geschüttet wurden. Dann wurde die Hygiene entdeckt. Heute ist es die Stadt der Düfte. Sound-Design ist so etwas wie die Hygiene in Bezug auf Lärm – dem Gestank im Ohr.
Von Rico Bigelmann für Adlershof Journal