Die den Tanz schreibt
Man kann nicht aufhören, sich zu bewegen
Selbst wenn mit Mitte Dreißig das „Tanzrentenalter“ erreicht ist: „Man kann nicht aufhören, sich zu bewegen“, sagt Kathrin Schülein. Sie selbst tanzt heute nicht mehr, bewegt aber viele andere. Zum einen die Tänzer ihrer Compagnie Art Changé, zum anderen die Zuschauer ihrer Choreografien. Die nächste, „Der König der Löwen“, ein ganz besonderes Projekt im Auftrag des Kinderhilfswerkes, bei dem 400 Schüler mitwirken, hat am 24. Juni Premiere im Berliner Admiralspalast.
„Black Swan“ – das war nicht so ihre Sache. Für den Film, der Natalie Portman den Oscar brachte, kann sich Kathrin Schülein nicht recht begeistern. „Pina“, ein Wim-Wenders-Film über die Choreografin und Tänzerin Pina Bausch, sei da etwas ganz anderes; „ehrlich“ und „tiefgründig“, so wie Tanz sein sollte.
Gelernt hat Schülein bei einer anderen Großen des zeitgenössischen Tanzes, bei Gret Palucca in Dresden. Schon mit drei Jahren, sagt sie, war ihr klar, dass sie Balletttänzerin werden wollte. Bei der musikverrückten Oma auf Usedom, wo Schülein aufwächst, laufen ständig Schallplatten mit klassischen Opern und Operetten, spielt ein Onkel zur Hausmusik auf seinem Kontrabass, laufen im Fernsehen Ballettaufführungen, „in Schwarz-Weiß“. Mit sechs Jahren beginnt sie mit dem Unterricht, mit zehn wird sie an der Dresdner Palucca-Schule aufgenommen und in Ballett und Tanz ausgebildet. Harte Jahre, denn auch wenn „viele eine sehr romantische Vorstellung vom Ballett“ haben, geht es zunächst vor allem um die Technik. Wer eine Ballettausbildung hat, kann alles tanzen, sagt Schülein, Jazz-, Street- oder Slowdance.
Traum von eigenen Produktionen im restaurierten Theater
Heute gibt Kathrin Schülein ihr Wissen als Tanzpädagogin und Choreografin an die Schüler ihrer Tanzschule weiter. In einem Gebäude voller Geschichte und – wie sie hofft – auch mit viel Zukunft. Das 1952 errichtete zweigeschossige Haus in der Moritz-Seeler-Straße ist das heute einzige noch erhaltene Fernsehstudio der „Aktuellen Kamera“, dem Nachrichtenflaggschiff des DDR-Fernsehens. Und nicht nur das: Hinter der fast 20 Meter langen Spiegelwand im Probenraum befindet sich ein vollständiges Theater.
Während hier vor dem Spiegel an der „Barre“ – einer in Hüfthöhe angebrachten horizontale Stange – die Schüler ihre Pliés, Demi-Pliés oder Arabesquen üben, träumt Schülein von einer Kombination aus Tanz-, Maskenbildner und Kostümbildnerschule, die im restaurierten Theater eigene Produktionen aufführen. „Ein Konzept“, sagt sie, „haben wir fertig in der Tasche.“ Seit der Wende steht das Gebäude zum Verkauf. „Was fehlt“, fügt sie lächelnd hinzu, „ist ein kulturbesessener Investor, der ein paar Millionen über hat.“ Wenigstens hat das Land festgelegt, dass das Gebäude als Kulturstätte erhalten werden soll.
Einmal Theater, immer Theater
Auch das gehört zur Bewegung, mit der man nicht aufhören kann: Neues entdecken, Pläne schmieden, Fühler ausstrecken. Als Schülein nach Jahren in Dessau und am Metropoltheater mit dem Tanzen Schluss machte, absolvierte sie eine Ausbildung zur Pilates-Lehrerin und belegte Kurse in Dramaturgie und Regie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Mit der Schauspielerei liebäugelte sie und betrieb ein Kino namens „Casablanca“ in Adlershof. Doch „einmal Theater, immer Theater“, kehrte sie als Pädagogin und Choreografin dorthin zurück.
Die Kunst des Choreografen ist es, Dinge, die er im Geiste erfand, durch Gesten und Bewegung des Körpers auszudrücken, sagte der britische Tänzer und Tanzhistoriker John Weaver. Jeder Tanz soll eine Geschichte erzählen. Schülein will mit ihren Choreografien weg vom heutigen Ausstattungstheater. Ehrlich und gerade sagt sie, müssen Choreografien sein, dann berühren sie auch das Publikum.
von Rico Bigelmann
Link: www.art-change.de