Die Geburt des Riesenatoms
Ferdinand-Braun-Institut beteiligt sich am DLR-Verbundprojekt QUANTUS III
Eigentlich ist der Mikrokosmos der Atome und Moleküle winzig klein und unsichtbar. Kühlt man aber eine Wolke aus mehreren tausend Einzelatomen bis in die Nähe des absoluten Nullpunkts auf knapp minus 273,15 Grad Celsius ab, so entsteht ein millimetergroßes "Riesenatom" - ein Bose-Einstein-Kondensat (BEC). Im Jahr 2007 gelang es einem Team deutscher Wissenschaftler in einem Fallturmexperiment in Bremen weltweit erstmalig, ein BEC unter Schwerelosigkeit zu erzeugen. Die Ergebnisse dieses Experiments wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht. Nun planen die Wissenschaftler im Rahmen eines neuen Verbundprojekts mit dem Namen "QUANTUS III", erstmals ein BEC im Weltraum zu erzeugen.
Das Raumfahrt-Management des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), das das QUANTUS-Team bereits seit 2004 fördert, hat für das am 1. Januar 2011 startende Vorhaben grünes Licht gegeben. In einer speziell von Ingenieuren der MORABA (Mobile Raketen Basis) des DLR konfigurierten Forschungsrakete soll die BEC-Apparatur im Herbst 2013 von Esrange bei Kiruna in Nordschweden ins Weltall starten.
Die beteiligten Forscher versprechen sich von dem Flug, rund drei Minuten lang BECs in Schwerelosigkeit zu erzeugen. Zum Vergleich: Unter Erdgravitation ist ein BEC maximal für Bruchteile von Sekunden im Labor aufrechtzuerhalten. In einem Fallturmexperiment können die Forscher ein solches Riesenatom immerhin für eine Sekunde generieren.
"Der Raketenflug ist für uns Physiker deshalb ein Meilenstein. Wir sind durch die länger anhaltende Schwerelosigkeit in der Lage, gleich mehrmals ein BEC zu erzeugen und diese über einen deutlich längeren Zeitraum zu studieren als im Fallturm - ein weltweit einzigartiges Projekt, an dem ausschließlich wissenschaftliche Einrichtungen beteiligt sind", sagt Professor Wolfgang Ertmer, Koordinator des Verbundprojektes und Leiter des Instituts für Quantenoptik der Universität Hannover.
Wenn Atome ihre Individualität verlieren
Bereits 1924 beschrieben Albert Einstein und der indische Physiker Satyendranath Bose in der Theorie diesen besonderen Aggregatzustand nahe des absoluten Temperaturnullpunktes, in dem die einzelnen, ultrakalten Atome ihre Individualität verlieren und einen gemeinsamen Zustand einnehmen. Ihren geistigen Vätern zu Ehren nennt man diesen Zustand Bose-Einstein-Kondensat.
Die Atome eines BEC schaukeln dabei gewissermaßen im Takt und verhalten sich wie ein einziges, großes Riesenatom. Mehrere BEC stellen daher eine Art Sensor dar, mit dem sich fundamentale Fragestellungen der Physik wie zum Beispiel das schwache Äquivalenzprinzip der Relativitätstheorie testen lassen. Physiker sprechen daher vom BEC als einem makroskopischen Quantensensor.
Das Abkühlen der Atome zur Erzeugung eines BEC erfolgt dabei in mehreren Schritten. Durch eine aufwendige Laserapparatur werden die Atome stark heruntergekühlt. Dies geschieht, indem die Laserstrahlen die Atome "anstoßen" und zum Übergang in einen niederenergetischen Zustand zwingen. Doch die Laserkühlung reicht alleine nicht aus, um die benötigten, extremen Minustemperaturen zu erzeugen.
Darum bedienen sich die Wissenschaftler einer Methode, die mit dem gezielten Abkühlen von Kaffee in einer Tasse vergleichbar ist: Lässt man das Heißgetränk stehen, kühlt es verhältnismäßig langsam ab. Entfernt man aber durch Blasen gezielt den aufsteigenden Dampf - also beim BEC-Versuch die verbliebenen hochenergetischsten Atome - so kühlt das Heißgetränk wesentlich schneller ab. Dieses "Pusten" wird im Falle der kalten Atome durch geschickte Variation der elektromagnetischen Falle erreicht, in dem die Atome "gefangen" gehalten werden. Durch diese so genannte Evaporisationskühlung können Temperaturen erreicht werden, die nur noch 10-7 Kelvin vom absoluten Nullpunkt entfernt sind - ideale Bedingungen zur Erzeugung eines BECs.
Hightech im Miniaturformat
Doch wie gelingt es, diese Technik in eine Apparatur zu integrieren, die so klein ist, dass sie als Nutzlast für eine Rakete geeignet wäre? Die größte Herausforderung an die Wissenschaftler ist das Bauen einer stabilen Apparatur im Miniaturformat. Als 1995 das erste BEC im Labor erzeugt wurde, benötigten die Wissenschaftler noch ein großes, vollgestopftes Labor, um für kurze Zeit ein BEC zu erzeugen. Heute reicht im Fallturm in Bremen eine mannshohe Apparatur mit einem Durchmesser von 60 Zentimetern aus, der für die Raketenexperimente allerdings weiter auf 50 Zentimeter verringert werden muss. Das ist eine gewaltige Herausforderung für die Experten des QUANTUS-Teams.
Sollte das Raketenexperiment gelingen, wollen die Forscher noch höher hinaus. Ein denkbarer nächster Schritt wäre, Quantenphysik mit BECs dann auf der Internationalen Raumstation (ISS) zu betreiben. "Ein BEC auf der ISS zu erzeugen, wäre ein Traum für jeden Physiker, und QUANTUS III ist ein entscheidender Schritt auf dem sicherlich noch längeren Weg dorthin", so Ertmer.
An dem Verbundprojekt QUANTUS III sind das Institut für Quantenoptik der Leibniz Universität Hannover, das Institut für Laserphysik der Universität Hamburg, das ZARM (Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation) an der Universität Bremen, die AG Metrologie der Humboldt Uni Berlin, das Ferdinand-Braun-Institut (FBH) für Höchstfrequenztechnik in Berlin, die Abteilung für Quantenphysik der Universität Ulm, das Institut für Angewandte Physik der TU Darmstadt, das DLR Institut für Raumfahrt-Systeme (RY) in Bremen, die DLR MORABA, das Max-Planck-Institut für Quantenoptik in München, das Laboratoire Kastler Brossel de l'E.N.S. (Paris/Frankreich) und das Midland Ultracold Atom Research Center Uni Birmingham (UK) beteiligt.
Kontakt
Martin Fleischmann
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Raumfahrt-Agentur, Kommunikation
Tel.: +49 228 447-120
Fax: +49 228 447-386
Dr. Rainer Kuhl
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Raumfahrt-Agentur, Forschung unter Weltraumbedingungen
Tel.: +49 228 447-387
Fax: +49 228 447-735
Pressemitteilung des DLR
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