Die Kraft der Familien
Deutschlands Mittelstand prägt ein neues Wertesystem für die gesamte Wirtschaft
Die Grabreden für Deutschlands Familienunternehmer waren schon geschrieben. Zwischen globalen Weltkonzernen und angriffslustigen Newcomern, das galt als ausgemacht, hätten sie keinen Platz. Überkommen schienen ihre beschaulichen Firmenstrukturen. Familienbande und Loyalitäten, über Generationen gewachsen, wollten nicht passen in die sprunghaften Zeiten der Globalisierung.
Familien versus Börse
Doch die Wirklichkeit straft die Pessimisten Lügen. Produkte und Dienstleistungen von deutschen Unternehmern sind weltweit gefragt. Es sind traditionsreiche Firmen wie der Hausgerätehersteller Miele aus Gütersloh oder Europas führender Werkzeugmaschinenbauer Trumpf aus dem schwäbischen Ditzingen genauso wie Tausende von Neugründungen, die Deutschland besonders machen. Kein anderes Land der Welt hat einen so starken, exportorientierten Mittelstand. Kaum sonst irgendwo ruht der volkswirtschaftliche Erfolg auf so vielen kräftigen Schultern. Im Wettbewerb der Systeme – Familien versus Börse – haben deutsche Familienunternehmen nicht nur ihren Platz behauptet. Sie sind zum Vorbild geworden. So haben sie einen grundlegenden Wandel in der Wirtschaftswelt angestoßen: Den Wandel der Werte.
Jahrzehnte waren es die Großkonzerne, die das Wertesystem dominierten. Sie prägten die neuen Trends, vom Kult der Veränderung über die Begeisterung für Größe bis hin zum Primat der Effizienz über alte Loyalität zu Standorten und Mitarbeitern. Fälle von Korruption und Misswirtschaft in großen Konzernen wie Siemens haben das Vertrauen der Menschen in diese Werte angekratzt. Die Finanzkrise, die Milliarden an den Börsen vernichtete, stürzte den Konzernkapitalismus endgültig in die Krise.
Hire and Fire war gestern
Ausgerechnet die Familienunternehmen weisen nun den Weg aus dieser Vertrauenskrise. Sie sind es, die ein neues Wertesystem begründen. In der neuen Wirtschaftswelt ändert sich zu allererst die Perspektive: Der Blick wird weiter, langfristiger. Wirtschaftsführer der Zukunft denken in Jahren und Jahrzehnten, nicht in Quartalszahlen. Erfolgreiche Unternehmen müssen verlässliche Partner sein, für ihre Kunden, für ihre Zulieferer, aber auch für ihre Mitarbeiter. So geht die Zeit des Hire and Fire ihrem Ende zu. Angesichts des immer dramatischeren Fachkräftemangels können es sich Firmen schon bald gar nicht mehr leisten, ihre Mitarbeiter vor allem als Kostenfaktoren zu betrachten. Sie werden zwangsläufig loyaler, nicht nur zu ihren Beschäftigten, sondern auch zu ihren Standorten. Denn qualifizierte Mitarbeiter bleiben, aller Gegenrede zum Trotz, an Orte gebunden. Standorte rund um den Globus sind eben nicht austauschbar. Heimeligkeit hat Wert. Sie schafft Vertrauen, zeigt Kontinuität. Vielen Familienunternehmen war das lange bekannt.
Kurze Entscheidungswege und durchlässige Strukturen
Eine weitere Veränderung bringt das neue Wertesystem: Die Unternehmen der Zukunft müssen durchlässiger werden, weniger hierarchisch. Gute Ideen müssen gehört und umgesetzt werden, egal von welcher Ebene sie kommen. In Konzernen gibt es dafür immer noch viele Hürden. Viele Familienunternehmen dagegen haben relativ kurze Entscheidungswege und durchlässige Strukturen. Das macht sie wendiger im Wettbewerb und offen für Innovationen. Erfolgreiche Familienunternehmer im Land leben die neuen Werte bereits vor: Sie haben langfristige Ziele im Blick, sind verlässlich für Mitarbeiter und Kunden, in ihrer Heimat verwurzelt und off en für Ideen. Das macht sie stark im In- und Ausland.
Rund 60 Jahre nach dem Wirtschaftswunder, um das uns die Welt beneidete, gibt es ein neues Erfolgsmodell made in Germany: Deutschlands Familienunternehmertum. Es genießt längst internationales Ansehen und ist auf dem besten Weg zum Exportschlager – kopiert von aufstrebenden Ländern in Asien und den einst unangefochtenen Industriestaaten, die jetzt gegen ihren Abstieg in die zweite Liga kämpfen. Deutschlands Familienunternehmer können das Land in eine prosperierende Zukunft führen. Mehr als das: Sie begründen eine neue Kultur des Wirtschaftens und liefern damit die Grundlage für nachhaltiges Wachstum in Deutschland.
von Inga Michler
Die Autorin: Inga Michler ist promovierte Volkswirtin und Journalistin. Seit 1998 arbeitet sie bei der Welt-Gruppe. Ihr Buch „Wirtschaftswunder 2010 – Deutschlands Familienunternehmer erobern die Weltmärkte“ erschien 2009 im Campus Verlag.