Die perfekte Illusion
Der Kameraroboter Milo Long Arm brilliert mit Spezialeffekten
Schauspieler, die in einem Bild mehrfach auftauchen, Zwerge, die mit Riesen kämpfen, Superhelden, die durch die Großstädte fliegen, oder Schlachtengewimmel mit Tausenden von Kriegern. Kaum ein Kinofilm kommt heute ohne Spezialeffekte aus. Dafür werden häufig Bilder aus verschiedenen Quellen übereinandergelegt und zusammengerechnet. Damit das Ergebnis für den Zuschauer realistisch wirkt, muss die Kamera, die die verschiedenen Bilder fotografiert, in jeder Aufnahme auf 100stel Millimeter exakt die gleichen Bewegungen vollziehen. Präzision, die per Hand nicht zu erreichen ist. Deshalb wurden Kameraroboter wie der Milo Long Arm entwickelt. Nur vier Stück gibt es auf der Welt – einen davon in einem alten Hangar in Adlershof bei mastermoves motion control, einem Tochterunternehmen der Visavis Filmproduktion.
Tausende Menschen stehen an der Reling und winken zum Abschied. Langsam bewegt sich das modernste Schiff seiner Zeit aus den Docks von Southampton. Vierzig Mal, erzählt Stephan Horst, Geschäftsführer der Visavis Filmproduktion, sei die Szene für James Camerons Kinohit Titanic gedreht worden, mit jeweils nur 100 Statisten. Mithilfe eines ausgeklügelten Kamera-Roboter-Systems wurden sie einfach vervielfältigt. Systeme wie der Milo Long Arm und Spezialisten wie dessen „Operatoren“ machen Effekte möglich, die früher in Aufnahmen mit bewegter Kamera unmöglich waren.
„Crowd Replication“
Viertausend Komparsen in historischen Kostümen – das kostet eine Menge Zeit, logistischen Aufwand und Geld. Es geht auch schneller und kostengünstiger: Um hundert Menschen wie viertausend aussehen zu lassen, dreht der Kameraroboter vierzig Mal die gleiche Szene, macht exakt dieselben Kamerafahrten und -bewegungen in exakt der gleichen Zeit. Der einzige Unterschied: Die Komparsen stehen in jeder Wiederholung woanders. Anschließend werden die einzelnen Szenen zusammengefügt und tausende Menschen winken fröhlich von Bord hinab. Crowd Replication – die Vervielfältigung einer Menschenmenge – nennt sich das Verfahren. Dank dieses Verfahrens hatte zum Beispiel auch Frodo der Hobbit unzählige Mitkämpfer – und ebenso viele Widersacher.
Höchste Präzision
„Crowd Replication und andere Spezialeffekte“, erklärt Stephan Horst, „verlangen eine Präzision, die mit einer handgeführten Kamera nicht möglich ist.“ Die Kombination mehrerer bewegter Einstellungen zu einem Bild, zum Beispiel gedrehter und auch computergenerierter Bilder, funktioniert nur, wenn die Bewegungsabläufe aller Bilderquellen gleich sind und jedes der zusammengehörenden Einzelbilder den gleichen Entstehungsort hat. Die Bildfrequenz der Kamera synchronisiert dabei alle Bewegungen – mit bis zu 2.000 Bildern in der Sekunde.
Das wichtigste Werkzeug für solche Spezialaufgaben sind Motion-Control-Roboter wie der Milo Long Arm. 1999 hat der in Großbritannien entwickelte Kameraroboter für seine Verdienste um die Entwicklung visueller Spezialeffekte in Spielfilmen sogar einen Oscar eingeheimst. In Verbindung mit den 18 Meter Schienen bewegt der Milo Long Arm die Kamera auf einer Fläche von mehr als 300 Quadratmetern. Mit seinen 16 Achsen erreicht er eine Objektivhöhe von sechs Metern. Dadurch ist es möglich, Menschenmengen ohne Komparsenmassen oder Zwerg-Riese-Relationen im Film darzustellen, wie gerade in der Produktion „Hilfe, ich habe meine Lehrerin geschrumpft“. Für diese Komödie hat das mastermoves-Team die Schauspielerin Anja Kling auf ein Zehntel ihrer Größe schrumpfen lassen.
Neues Studio im Hangar
Zum Jahreswechsel 2016 zogen die 30 Mitarbeiter visavis und mastermoves von Kreuzberg nach Adlershof. Der alte Hangar wurde mittlerweile zu einem Filmstudio umgebaut. Weltweit einzigartig ist die hochpräzise Schwerlastdrehscheibe im Boden und das lotrecht darüber hängende drehbare Lichtrig mit einem Durchmesser von zwölf Metern. In Kombination mit den Robotern sind so hochkomplexe Kamerabewegungen möglich. Regelmäßig wird das neue Studio auch für Testinstallationen genutzt.
Jedes Filmprojekt ist einzigartig und oft muss die technische Lösung erst entwickelt werden. Nur diese erstklassige Vorbereitung stellt sicher, dass am Drehtag alles rundläuft. Denn: Die Herstellung von Filmen kostet viel Geld und visuelle Effekte funktionieren nur, wenn sie perfekt gemacht sind.
Von Rico Bigelmann für Adlershof Journal