Digitaler Innovationsschub
Erstes digitales Semester an der Berliner Humboldt-Universität
Alle Präsenzveranstaltungen abgesagt, die Bibliotheken geschlossen, das Gros der Mitarbeitenden im Homeoffice: Am 13. März 2020 erzwang die Corona-Pandemie den Notbetrieb für die Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Seitdem setzte und setzt ein Kernteam aus Beschäftigten in Verwaltung und IT alles daran, die Universität digital umzurüsten, findet technische Lösungen für eine Vielzahl von Problemstellungen. So feierte der Lehrbetrieb am 20. April 2020 eine zukunftsweisende Premiere: den Beginn des ersten digitalen Semesters der Berliner Universitätsgeschichte. Not macht erfinderisch…
Was passiert, wenn zu viele Menschen gleichzeitig auf eine Internetseite zugreifen, war Ende März in Berlin zu beobachten: Innerhalb kürzester Zeit brach der Server der Investitionsbank Berlin unter dem Ansturm tausender Antragsteller zusammen, die auf Geld aus dem Corona-Nothilfetopf hofften. Die Homepage war zunächst nicht mehr erreichbar, die Nerven lagen blank. Den Angehörigen der HU einen solchen Worst Case zu ersparen, ist Aufgabe von Malte Dreyer und seinem Team. Der Leiter des HU-Computer- und Medienservice (CMS) musste die Universität im Eiltempo auf einen funktionalen, digitalen Betrieb umstellen. „Unsere Aufgabe als zentraler Dienstleister für IT: Alle sollten so schnell wie möglich von zu Hause arbeitsfähig werden.“
Keine leichte Aufgabe. Es mussten digitale Alternativen für möglichst viele analoge Prozesse gefunden werden, gleichzeitig durften die Leistungsfähigkeit der Systeme und die Datensicherheit nicht auf der Strecke bleiben. „Kurzfristig haben wir zum Beispiel die Kapazitäten für Audio- und Videokonferenzen massiv erhöht“, so der IT-Experte. Dank Dreyer und seinem Team können Lehrkräfte nun Vorlesungen im Homeoffice aufzeichnen oder in Echtzeit Webinare und digitale Konferenzen veranstalten. Mit der Software ist es unter anderem möglich, Fragen der Studierenden live per Chat-Fenster einzublenden oder digital Umfragen und Wissenstests durchzuführen.
Um die mediengestützte Lehre nachhaltig zu unterstützen, hat das CMS-Team eine Streamingplattform für die Lehrenden und Studierenden vorbereitet. Hier können Lehrende verschiedene Softwareangebote kennenlernen oder bekommen Anleitungen, wie man Formeln in einem Webinar einblendet. „Wir stellen eine Palette an Tools bereit, die möglichst viele Szenarien abdeckt, denn die Bedürfnisse der einzelnen Lehrkräfte sind sehr unterschiedlich,“ sagt Dreyer. Erhebliche Mehrarbeit für die Lehrkräfte lässt sich jedoch nicht vermeiden, wie Mathematiker Thorsten Rohwedder berichtet. „Sich mit der Technik auseinanderzusetzen, bedeutet Mehrarbeit, die zusätzlich zur inhaltlichen Vorbereitung meiner Vorlesung anfällt.“
Ursprünglich sollte der Hochschullehrer zum 1. April aus der Elternzeit in sein Büro in Adlershof zurückkehren, aber die Corona-Verordnungen haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt lehrt Rohwedder am Schreibtisch im heimischen Schlafzimmer, hat sich notgedrungen auf die Produktion von Lehrvideos eingestimmt. „Dass ich in unserer Dreizimmerwohnung live, ungestört und jede Woche zur selben Zeit eine Vorlesung halte, kann ich als Vater von zwei Kindern momentan nicht garantieren,“ erläutert er. Auch etwaige Tücken der Technik ließen ihn die Videovariante wählen. „Für Streaming braucht es stabiles Internet – das ist mit der heimischen Verbindung in Friedrichshain so eine Sache.“
Vielen auftretenden Schwierigkeiten und der akuten Mehrbelastung zum Trotz, lässt sich der Situation insgesamt auch Positives abgewinnen, meinen die beiden HU-Mitarbeiter. „Nach diesem Semester werden wir in Hinblick auf die Onlinelehre alle viel besser aufgestellt sein“, glaubt Thorsten Rohwedder. Zur zeitgemäßen Gestaltung der Lehre gebe es viele gute Ansätze, die Pandemie könnte unverhofft für einen universitären Innovationsschub sorgen. Auch Malte Dreyer ist überzeugt, dass sich der krisenbedingte Digitalisierungsmarathon auf längere Sicht auszahlen wird. „Die Techniken, die wir jetzt entwickeln, bleiben effizient und über Corona hinaus nutzbar. An vielem werden wir zwar noch feilen müssen, nichtsdestotrotz haben wir schon jetzt viele gute Dinge angestoßen, für die wir unter anderen Umständen vielleicht Jahre gebraucht hätten.“
Von Nora Lessing für Adlershof Journal