„Falten, Schalten und Sticken“: Revolutionäres Nanopotenzial
Stefan Hecht experimentiert mit Molekülstrukturen, die unvorstellbar klein sind. Sein Fernziel ist eine Revolution der Computertechnik und der Energiegewinnung. Doch zugleich muss er den Wissenschaftsnachwuchs für Chemie begeistern.
„Tage der Forschung“ in Berlin-Adlershof, Ende September 2010: Es ist kein leichter Vortrag, den Stefan Hecht an diesem Freitagvormittag im Hörsaal 006 des Walther-Nernst-Hauses zu halten hat. Die Erwartungshaltung der jungen Zuhörer ist groß. Sie sollen für eine Sache begeistert werden, von der sie nicht recht wissen, was sie eigentlich ist und wofür sie gut sein soll: Nanowissenschaft. Chemie in kaum vorstellbarem Miniaturmaßstab, im Millionstelmillimeter-Bereich.
Faszination Nanowissenschaft
Ein paar Dutzend Oberschüler sitzen in den steil abfallenden Sitzreihen und sehen Hecht zu, wie er mit PowerPoint-Grafiken und einem Laserpointer versucht, seine Begeisterung für die Nanoforschung mit ihnen zu teilen. Er tut dies durchaus erfrischend, mit lebhaften Bildern und Alltagsbeispielen. Bei manchen Zuhörern springt der Funke über. Andere reagieren desinteressiert. Ein Mädchen mit Hornbrille und Haarspange legt den Kopf auf ihre Arme, schließt die Augen – ausgerechnet in dem Moment, da im Vortrag das Wort „faszinierend“ fällt.
Grundlagenforschung für blitzschnelle Rechner
Hecht ist es gewohnt, dass bei Experimenten nicht alles nach Plan läuft. Der Professor für organische Chemie und funktionale Materialen an der Humboldt-Universität zu Berlin forscht in einer Disziplin, die so jung und unvorhersehbar ist, wie es die Computerwissenschaft vor einem halben Jahrhundert war, und die ein ähnlich großes revolutionäres Potenzial in sich birgt. Die Nanoforschung erschließt naturwissenschaftliches Neuland. Eines der Projekte, mit dem Hecht und seine Kollegen in diese Terra incognita vordringen, beschreibt der 36-Jährige so: „Wir versuchen, Moleküle zu Drähten zusammenzusetzen und in diese Drähte Schalter einzubauen, die man mit Licht steuern kann.“ Damit können später einmal blitzschnelle Rechner gebaut werden. Doch noch sei völlig offen, „ob diese Vision Wirklichkeit wird“, sagt Hecht. Im Nanobereich gelten die bekannten physikalischen Gesetze nicht. Man muss sich mit den Verhaltensweisen der Stoffe von Neuem vertraut machen.
Lichtgetriebener Muskel
Nicht weniger visionär ist ein zweites Projekt, das Hecht vorantreibt: „Wir wollen einen lichtgetriebenen Muskel erschaffen.“ Dahinter steckt die Idee, Licht direkt in Bewegung umzuwandeln, ohne Zwischenspeicherung in Energieträgern wie Elektrizität, Erdöl oder Kohlenhydraten. Ein solcher Umweg frisst Energie, was sich – theoretisch vermeiden lässt. Dazu müsste zunächst einmal eine die Antwort auf folgende Frage gefunden werden: „Wie lassen sich Moleküle konstruieren, die bei Lichteinwirkung dramatisch ihre Gestalt verändern?“
„HechtLab“
Das alles ist sehr abstrakt. Deshalb ist es für Stefan Hecht nicht einfach, junge Schulabsolventen für die Nanoforschung zu begeistern. Er weiß das. Aber er tut viel für ein positives Image seiner wissenschaftlichen Arbeit. Auf der Homepage seines Labors, das er „HechtLab“ nennt, präsentiert er dessen Arbeit als „Falten, Schalten und Sticken“ – von Molekülen und Molekülgewebe, versteht sich. Mit seinen Kollegen und Studenten pflegt er das legere „Du“. Dies ist etwas, das er während eines Forschungsaufenthalts an der University of California in Berkeley schätzen gelernt hat. Dort konnte er experimentell feststellen: Die Kombination von fachlicher Exzellenz und einer offenen Atmosphäre sowie flachen Hierarchien üben auf talentierte junge Wissenschaftler eine besondere Anziehungskraft aus.
von Markus Wanzeck
Link: www.hechtlab.de