Gezielte Fahndung nach Medikamenten von Morgen
Teure klinische Tests, umstrittene Tierversuche und unerwünschte Nebenwirkungen für die Patienten – in der Medikamenten-Entwicklung sind viele Hürden zu überwinden. Die Biotechnologie mit ihren modernen Analyseverfahren wird für die Medizinforschung immer wichtiger, wenn es darum geht, die Wirkungen von Präparaten schon möglichst früh zu testen.
Holger Wenschuh leidet noch ein bisschen unter Jetlag: Der Geschäftsführer der Adlershofer Biotech-Firma JPT Peptide Technologies ist gerade von einem Vortragsmarathon in Kalifornien zurückgekehrt. “In den USA ist das Interesse an unseren Produkten sehr groß”, sagt der Chemiker. Sein 2004 gegründetes Unternehmen ist spezialisiert auf Peptide. Diese Bruchstücke von Proteinen, die sich aus Aminosäuren künstlich herstellen lassen, helfen – auf einem Biochip zusammengefasst – dabei, die Wirkung von neuen Impfstoffen zu analysieren.
JPT ist nicht nur als Dienstleister, sondern auch in der Medikamentenforschung aktiv: Gemeinsam mit den spanischen Unternehmen IUCT und Leitat wollen die Adlershofer die Wirkung eines Chemotherapeutikums verbessern, das gegen verschiedene Krebstumor-Varianten eingesetzt wird. “Der Wirkstoff ist hocheffektiv, zeigt allerdings auch bei gesunden Zellen eine zu hohe Toxizität”, sagt Wenschuh. Die Forscher arbeiten an einem künstlichen Molekül, das gezielt an Krebszellen im Gewebe andockt und erst vor Ort das Medikament freisetzt. Tumorzellen unterscheiden sich von gesunden dadurch, dass sie einen erhöhten Blutbedarf haben und an ihrer Oberfläche vermehrt bestimmte Proteinrezeptoren bilden. “Wir wollen ein Peptid entwickeln, dass genau an diesen Rezeptor bindet”, sagt Wenschuh. Mit 200.000 Euro wird das Projekt von der EU gefördert; zunächst wird in der Petrischale getestet, bis 2013 wollen die Forscher den Erfolg ihrer Methode in Mäuse-Versuchen zeigen. Mit einem bei Krebspatienten einsetzbaren Medikament rechnet Wenschuh frühestens in zehn Jahren.
Ungewollte Wirkungen von Arzneien auf den menschlichen Zellapparat beschäftigen auch Hubert Köster, Gründer der Biotech-Firma Caprotec. “Medikamente reagieren oft nicht nur mit dem Zielprotein, auf das sie wirken sollen, sondern auch mit anderen”, erklärt der Chemiker, der bereits mehrere erfolgreiche Biotech- Unternehmen gegründet hat. Die Folge seien mitunter schwere Nebenwirkungen für die Patienten. Mit der Capture Compound Mass Spectrometry (CCMS) haben Köster und seine Kollegen eine Technik entwickelt, die aus einer riesigen Menge menschlicher Proteine auch diejenigen für die Analyse herausfischt, mit denen das Medikament unerwünscht in eine Wechselwirkung tritt.
Die Caprotec-Experten konnten zum Beispiel zeigen, warum ein Medikament gegen die Parkinson-Krankheit zu Leberschäden führen kann. CCMS-Moleküle können aber auch für die Analyse anderer Medikamentgruppen – etwa zur Blutdruck- oder Cholesterin-Senkung – individuell entworfen werden. “Dass unsere Technologie schon im frühen Stadium Wechselwirkungen im Humanprotein- Gemisch verstehen hilft, ist für die Medikamente- Entwicklung ein enormer Kostenvorteil – und könnte auch zu Einsparungen im Gesundheitssystem beitragen”, sagt Köster. Über mangelnde Kundenanfragen kann auch er sich nicht beklagen.
von Claudia Wessling
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