Ideen nah am Leben
Ein Schnelltest für Muttermilch und eine Schnittmustersoftware – Wissenschaftstalente mit anwendungsnahen Ideen auf dem Weg ins Unternehmertum
Wenn Anna Raysyan auf der Bühne steht, ist sie ganz in ihrem Element. Überzeugend und voller Energie präsentiert sie die Idee, mit der sie künftig vielen Frauen helfen will: einen Test für Muttermilch. Der Prototyp ist kaum größer als eine Streichholzschachtel und funktioniert denkbar einfach – ähnlich wie ein Schwangerschaftstest: Ein paar Tropfen der kostbaren Babynahrung genügen, um anzuzeigen, ob die Milch bedenkenlos verfüttert werden kann oder ob sie mit Rückständen von Medikamenten belastet ist.
Damit hat Raysyan beim Adlershofer Falling Walls Lab 2018 den zweiten Preis gewonnen und sich für das große internationale Finale qualifiziert.
Die Idee für diesen Test entstand, als ihre Cousine entbunden hatte, berichtet die 25-jährige Pharmazeutin. „Manche Mütter stillen nicht, weil sie Medikamente nehmen müssen, andere nehmen keine Medikamente, um stillen zu können; manche geben den Babys unabsichtlich belastete Milch.“ Mit dem Test lässt sich nachweisen, wann nach der Einnahme des Schmerzmittels Diclofenac dessen Konzentration in der Muttermilch bedenkenlos gering ist. Hierfür entwickelte Raysyan Methoden zum Nachweis von Schadstoffen in Gewässern weiter, die sie im Fachbereich Umweltanalytik an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) im Rahmen ihrer Doktorarbeit erforscht. „Als Pharmazeutin habe ich – anders als vielleicht Chemiker – vor allem die sichere Anwendung von Arzneistoffen beim Menschen im Blick“, sagt sie.
Die kleine Testkassette wird durch eine App ergänzt, die den Nutzerinnen wichtige Fragen zum Testergebnis beantwortet. „Ich bin mit Computern aufgewachsen. Da ist es selbstverständlich, so etwas mitzudenken“, betont Raysyan. Für ihre Entwicklung wird gerade Patentschutz beantragt, bis zu einer kommerziellen Verwertung ist der Weg aber noch weit: „Alles im Gesundheitswesen ist in dieser Hinsicht recht kompliziert, es braucht viele langwierige Studien.“ Für Anna Raysyan hat jetzt erstmal ihre Doktorarbeit Priorität. Aber dann kann sie sich vorstellen, in Sachen Muttermilch weiterzumachen.
Markus Uhlig hingegen hat mit seiner Doktorarbeit abgeschlossen – obwohl sie noch nicht fertig ist. Ein klarer Schnitt – zugunsten von Schnittmustern. Damit haben für den Softwareingenieur von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg aufregende Zeiten als Firmengründer begonnen. „Ehrlich gesagt kam das Projekt zu mir“, erzählt der 32-Jährige. Sein Professor hat ihn mit Nora Baum bekannt gemacht. Die promovierte Betriebswirtin ist passionierte Hobbyschneiderin. Aber die Schnittmuster nerven: Das komplizierte Gewirr aus bunten Linien, die verschiedene Kleidergrößen auf einem Blatt vereinen, das Ausschneiden, an den Stoff heften, Form nachzeichnen. Keine Frage: Auch in der Nähstube ist die Zeit reif für eine App. Dachte sich Baum und gründete zusammen mit Uhlig das Unternehmen Pattarina.
„Das geht erst, seit auch die Technologie dahinter reif für mobile Anwendungen ist“, betont Uhlig. Das Schlagwort lautet: Augmented Reality (AR) – die Überlagerung von Wirklichkeit und virtueller Welt. Im Fall der Schnittmuster funktioniert das so: Die Smartphone-Kamera bildet den Stoff im Livemodus ab, der zuvor ausgewählte Schnitt wird im Kamerabild als virtuelles Element auf dem Stoff positioniert. Dort bleibt er fix, auch während man sich leicht bewegt und mit Stift oder Kreide auf das reale Stück Stoff durch den Kamerablick hindurch die Umrisse übertragen kann.
Bei der Entwicklung der Software kann Markus Uhlig seine IT-Kompetenzen einbringen. Begeistert ist er aber auch von der neuen Gründerwelt: „Das Schöne daran ist die Vielfalt: Man erlebt neue Dinge, lernt neue Leute kennen, tritt mit Nutzern in Kontakt, ermittelt deren Bedürfnisse. Es ist eine sehr praktische Tätigkeit, bei der jeden Tag Neues entsteht.“
In Sachen Eigenverantwortlichkeit, Eigenmotivation und -organisation unterscheidet sich das gar nicht so sehr von einer Doktorarbeit an der Uni, findet Uhlig. Insofern fühlt er sich auf seinen neuen Job, den er seit rund einem Jahr macht, ganz gut vorbereitet. Jetzt mit dem Gründungsstipendium im Gepäck steht die Beta-Phase bevor, in der ein ausgewählter Kundenkreis die Software testet. Im ersten Quartal 2019 soll das Produkt auf den Markt kommen. Die potenziellen Kunden von Pattarina sind die Hersteller von Schnittmustern, die über einen QR-Code zur App verlinken.
Von Dr. Uta Deffke für Adlershof Journal