Karrierekick für Frauen in der Forschung
Mentoringprogramme helfen Gleichgesinnten und unterstützen die wissenschaftliche Karriere
Die eine engagiert sich als Mentorin, um Mädchen für MINT-Fächer zu begeistern. Die andere bildet ein Tandem mit einer schwedischen Spitzenforscherin, die ihre geballte Erfahrung an sie weitergibt. Beide vertreten eine Generation weiblicher Forscher, die selbstverständlich und selbstbewusst Karriere macht – ohne den Blick aufs große Ganze zu verlieren.
Gesehen haben sie sich noch nicht. Und doch stehen Andrea Lübcke, promovierte Physikerin mit Faible für Photoelektronenspektroskopie, und die elfjährige Schülerin Lena aus dem Ruhrpott seit Monaten in regem Gedankenaustausch. „Wir interessieren uns beide für Astrophysik und schwarze Löcher“, berichtet Lübcke, die am Adlershofer Max-Born-Institut (MBI) forscht und Mutter zweier Kinder ist. Ein Alltag zwischen Schulbrot und DNA-Molekülen, deren Absorptionsverhalten unter Einfluss von Photonen sie erforscht.
Kontakt zu Lena hat die Forscherin im Programm CyberMentor geschlossen: Frauen, die ein MINT-Fach studieren oder im naturwissenschaftlich-technischen Bereich arbeiten, treffen sich regelmäßig zum Chat mit interessierten Schülerinnen. Sie gewähren Einblick in ihre Berufe und geben dabei jene Selbstverständlichkeit weiter, mit der sie als Frauen Karriere in den vorgeblichen Männerdomänen machen. „Bis ins Grundschulalter ist das Interesse an naturwissenschaftlichen und mathematischen Themen bei Mädchen und Jungen gleich. Aber dann ziehen sich Mädchen nach und nach aus diesen Fächern zurück“, sagt Lübcke, die am MBI auch stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte ist. Sie möchte helfen, Lenas Interesse an Physik möglichst lange wachzuhalten. Dafür schaufelt sie trotz ihres vollen Alltags eine Stunde pro Woche für den Chat mit der Schülerin frei.
Hunderte Frauen engagieren sich wie Lübcke als CyberMentorinnen, um ihre MINT-Begeisterung mit Mädchen aus der 5. bis 13. Klasse zu teilen. Das Programm geht über die Eins-zu-eins-Chats hinaus. Gleichgesinnte Frauen können sich vernetzen, Nachwuchsforscherinnen unter ihre Fittiche nehmen und in ihrer wissenschaftlichen Karriere unterstützen.
Das offene Ohr einer erfahrenen Mentorin ist auch für gestandene Forscherinnen wie Maria Reiner hilfreich. Die 31-jährige promovierte Chemikerin forscht ebenfalls in Adlershof. Ihr Fachgebiet sind Nitride und deren Grenzflächenreaktionsverhalten in Halbleitermaterialien. Stationen in Australien, England und Deutschland hat die gebürtige Österreicherin durchlaufen, mit Forschern in Israel und Schweden kooperiert, ehe sie nach einer preisgekrönten Promotion in die Entwicklungsabteilung des Halbleiterherstellers Infineon wechselte. Viele hätten hier Anker geworfen und die vorhandenen Karriereoptionen genutzt. Reiner spürte, dass ihre Suche noch nicht beendet war.
Mitte 2016 wechselte sie ans Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH), wo sie heute ein Forscherteam leitet. Es geht um Prozessoptimierung in der Nasschemie und Lithographie. Relevant sind ihre Forschungen für die Fertigung von LEDs, Lasern oder Photodetektoren. Schwere Kost für Laien. Doch Reiner brennt für ihr Thema. Sie engagiert sich nebenher freiwillig als Editor eines Open-Access-Journals: Wissenschaft soll die Menschheit voranbringen und nicht nur der Profitmaximierung weniger dienen.
Aber auch sie selbst will vorankommen. Sie arbeitet so selbstbewusst und selbstverständlich an ihrer Karriere wie Andrea Lübcke. Und nimmt ebenfalls an einem Mentoring-Programm teil – als Mentee. Die Leibniz-Gemeinschaft fördert in diesem Programm angehende weibliche Führungskräfte, die ihre Mentorin frei wählen können. Reiners Wahl fiel auf eine internationale Koryphäe: Prof. Eva Olsson von der Chalmers Universität in Göteborg. Physikerin, Mitglied im Nobelpreiskomitee – und seit einigen Monaten engagierte Mentorin der Nachwuchsforscherin. „Sie ist richtig motiviert und gibt ihre Erfahrungen gerne weiter“, berichtet Reiner. Erste Treffen und Veranstaltungen, Telefonate und Mails haben gezeigt, dass die Chemie zwischen den Naturwissenschaftlerinnen stimmt. Die FBH-Forscherin profitiert in vielerlei Hinsicht: „Ich kann mich mit Eva fachlich austauschen und bekomme erstklassige Kontakte zu internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern“, berichtet sie.
Spannend findet Reiner auch den Blick in die schwedischen Strukturen, weil weibliche Führungskräfte dort selbstverständlicher sind. Dass diese Selbstverständlichkeit auch hierzulande selbstverständlich wird, geht die Generation junger Forscherinnen, zu der Lübcke und Reiner gehören, zielstrebig an. Die Mentoring-Programme sind ihnen dabei eine große Hilfe.
Von Peter Trechow für Adlershof Journal