Kooperativ und bestens vernetzt
CHIC-Standortleiterin Olivia Budek unterstützt Gründerinnen und stärkt deren Vernetzung in der Hauptstadtregion
Hinter mehr als 80 Prozent aller Start-ups in Deutschland stehen männliche Gründer. Vor diesem Hintergrund legt Olivia Budek, Standortleiterin des Charlottenburger Innovations-Centrum (CHIC), besonderes Augenmerk auf Gründerinnen und auf deren Vernetzung in der Hauptstadtregion. Dabei geht es ihr und ihren Mitstreiterinnen um Kooperationsgeist, um geteiltes Wissen und Empowerment.
Ein deutsches Wort, das die komplexe Bedeutung des englischen Begriffs „Empowerment“ in sich trägt? Das sowohl die Stärkung und Befähigung als auch das dadurch gewonnene Selbstbewusstsein zum Ausdruck bringt. Die mitschwingende Emanzipation und Selbstermächtigung. Das Aufbegehren gegen die herrschenden, hierarchisch geprägten Verhältnisse: Ein solches Wort fehlt. Und vielleicht ist das ein ähnliches Symptom für eine tieferliegende Ursache, wie die geringe Zahl an Gründerinnen in der deutschen Start-up-Szene. In aktuellen Studien liegt die Quote zwischen 15 und 20 Prozent. Dabei ist hierzulande jede:r zweite Studierende weiblich. An der fachlichen Qualifikation kann es also nicht liegen, dass sich so viel mehr Männer als Frauen den Schritt in die Selbstständigkeit zutrauen. Olivia Budek, CHIC-Standortleiterin, sucht aktiv nach Möglichkeiten, um dieser Diskrepanz zu begegnen. „Ursprünglich haben wir es im Charlottenburger Innovationszentrum CHIC mit einem Gründerinnenstammtisch versucht“, berichtet sie.
Doch schnell wurde klar, dass dieses Format nicht dauerhaft trägt und eine konkretere gegenseitige Unterstützung entlang fachlicher Themen gefragt ist. Entstanden ist ein Veranstaltungsformat, in dem erfolgreiche Gründerinnen und Expertinnen ihr Know-how rund um die Anwendung von künstlicher Intelligenz, die Ansprache von Investor:innen oder auch zum Aufbau von Unternehmensstrukturen teilen. „Unsere Teilnehmerinnen bekommen gezielte Informationen zu ihren Fragen. Die Vortragenden setzen sich als kompetente und erfolgreiche weibliche Vorbilder in den Köpfen fest“, erläutert Budek. Bis zu 40 Teilnehmende kommen zu diesen Events. Alle Geschlechter sind eingeladen. Und explizit richten sich die Einladungen nicht nur an Personen aus den Netzwerken der WISTA. Vielmehr geht um eine Stärkung der Vernetzung in der Hauptstadtregion.
Im CHIC gibt es diverse Unternehmen, in deren Chefsesseln Gründerinnen sitzen. Sei es die AGENTS HQ GmbH, die für ihre Kundschaft mit KI vollautomatisiert präzise Informationen aus dem globalen „Daten-Tsunami“ filtert. Oder die Educational-Tech-Start-ups complori, VINYA E-Learning und Historicity. Auch bei DigiMind und 1000 Kelvin, die KI zur Optimierung von 3D-Druckprozessen und nachhaltigen Verpackungsdesigns in Stellung bringen, sowie bei der auf kognitive Systeme und Wissensnetzwerke spezialisierten zixio GmbH sind jeweils Frauen an der Spitze. Mal im Team mit männlichen Gründern, mal als alleinige Geschäftsführerinnen.
Mit Initiativen wie dem Ladies Network Adlershof (LaNA) und Veranstaltungsformaten wie den Female Founders Events erreicht Olivia Budek zunehmend auch externe Gründerinnen. Darunter die Mit-Gründerin der Krisenchat gGmbH, Melanie Eckert. Auch ihr gemeinnütziges Unternehmen baut auf dem Gedanken des Empowerments und der Unterstützung durch tragfähige Netzwerke auf. Das Angebot richtet sich an junge Menschen in psychischen Notlagen, deren Anzahl seit dem Siegeszug von Social Media steigt und infolge der Pandemie noch einmal sprunghaft angewachsen ist. Auf die hohe Zahl von Betroffenen sind die Hilfssysteme nicht ausgelegt und stationäre Angebote völlig überbucht. Therapeut:innen haben lange Wartelisten. Um dennoch Akuthilfe anzubieten, überträgt das Team um Eckert das tradierte Konzept der Telefonseelsorge ins zielgruppengerechtere digitale Chat-Format. Über 300 Ehrenamtliche – durchgehend professionelle Fachkräfte – führen auf der Plattform mittlerweile bis zu 4.000 Beratungen monatlich durch. „Mal hören sie nur zu, mal entwickeln sie mit den Betroffenen erste Lösungsansätze und Pläne, wie sie ärztliche Betreuung und Therapieangebote finden können“, erklärt sie. Es geht auch um Empowerment, damit sie trotz ihrer Depressionen oder Angststörungen den nötigen Mut fassen und die Kraft aufbringen, sich Hilfe zu suchen.
Begleitend arbeitet Krisenchat in den sozialen Medien gezielt an einer Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und Krisen. „Wir versuchen die Brücke von der etablierten, analogen Hilfslandschaft zu den digitalen Lebenswelten zu schlagen, in denen die junge Generation aktiv ist“, berichtet sie. Dafür setzt das Team auf Kooperationen mit Streamenden und Influencer:innen, um über deren Reichweite so viele junge Leute wie möglich über das spendenfinanzierte Angebot der Krisenchats zu informieren. Geld kommt bisher teils von Privatpersonen, teils von Unternehmen. Laut Eckert laufen auch Gespräche mit der Politik und mit Krankenkassen, um das kostenlose Beratungsangebot verstetigen zu können. Der Bedarf steigt: Die Frequenz der bereits durchgeführten 100.000 Beratungschats steigt parallel zur Bekanntheit der Plattform. Um sie zu organisieren, arbeiten schon über 100 Beschäftigte im Team. Oft geht es um Leben und Tod. Ein Fünftel der jungen Menschen, die sich an den Krisenchat wenden, tragen sich mit Selbstmordgedanken.
Eckert hat das Unternehmen mit einer weiteren Frau und vier Männern gegründet. Auch vom Alter und den Disziplinen her ist das Team gemischt. Angebote wie die Female Founders Events findet sie dennoch wichtig: „Die Schwelle, dorthin zu gehen, ohne vorher jemanden zu kennen, ist niedriger. Und der Austausch unter Frauen ist weniger rivalisierend“, sagt sie. Vielmehr erlebe sie den Geist dieser Treffen als kooperierend und gegenseitig bestärkend. Geteiltes Wissen macht doppelt stark. Diese Formel drückt vielleicht auch auf Deutsch aus, was im englischen Empowerment steckt.
Peter Trechow für POTENZIAL