Mahlen statt Rühren
Bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) gelingen mit pfiffigen Verfahren neue Erfolge für die grüne Chemie
Man könnte an Folklore denken, wenn von klappernden Mühlen die Rede ist. Doch was Franziska Emmerling und ihr Team praktizieren, ist Chemie vom Feinsten. Die Leiterin des Fachbereichs Strukturanalytik an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Adlershof erforscht Reaktionen, bei denen mechanische Einwirkungen die entscheidende Rolle spielen. Dafür sind keine flüssigen Lösungsmittel nötig, kein Erhitzen, keine zusätzlichen Impulse durch Licht oder Elektrizität.
So läuft es beispielsweise in einer Kugelmühle. Pulvrige Ausgangsstoffe und ein paar Stahlkugeln werden in einen Behälter gegeben, der auf einer beweglichen Platte befestigt wird. Beim Drehen werden die Kugeln in das Mahlgut geschleudert, das durch die dabei übertragene mechanische Energie zerkleinert wird. Chemische Reaktionen kommen in Gang, bis schließlich pulverförmige Endprodukte im Becher liegen.
Das Prinzip ist alt. Schon aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert gibt es Berichte, wonach beim Zerreiben von Zinnober im Kupfermörser metallisches Quecksilber gewonnen wurde. Heute spricht man bei derartigen Prozessen von „Mechanochemie“, ein Gebiet, das mittlerweile systematisch erforscht wird. Dieser Aufgabe hat sich auch Emmerlings internationales Team von Postdocs, Doktoranden und erfahrenen Kollegen verschrieben.
Offene Fragen waren zunächst, was eigentlich passiert, wenn die Stahlkugeln auf die Pulverkörner schlagen. Welche chemischen Zwischen- und Endprodukte entstehen in den Kugel-, Schwing- oder Rollmühlen? Wann ist die Reaktion zu Ende? „Der Mahlvorgang und die chemischen Prozesse liefen jedoch ab wie in einer Black Box“, sagt die Chemikerin, die in Freiburg promovierte und an der Humboldt-Universität zu Berlin habilitierte.
Um die Vorgänge im Becher entschlüsseln zu können, gibt es kaum einen besseren Ort als Adlershof mit kurzen Wegen zwischen hochkarätigen Forschungseinrichtungen und dem Elektronenspeicherring Bessy II. Synchrotron-Röntgenbeugung und Ramanspektren erlauben es, den Reaktionsverlauf exakt zu analysieren, ohne den Mahlvorgang stoppen und den Becher öffnen zu müssen.
Während üblicherweise die Behälter aus lichtundurchlässigem Material wie Stahl oder Legierungen bestehen, wurde für die BAM-Forschung ein transparentes Gefäß angefertigt. Franziska Emmerling stellt den etwa avocadogroßen Acrylglasbecher auf den Tisch, lässt zwei Stahlkugeln, Durchmesser zehn Millimeter, hineinfallen und schüttelt. Die Kugeln klicken, es sieht aus wie ein Spiel. Doch die Analyse der Vorgänge in einem mit etwa 30 Hertz vibrierenden Mahlbecher ist herausfordernd. Den Verlauf der Reaktionen auch aus den Pulverdaten bestimmen zu können, das habe sie gereizt, als sie sich vor gut zehn Jahren diesem Bereich der Chemie zugewandt habe, sagt Emmerling. Die Mühe hat sich gelohnt. Mittlerweile gelingt es, die dreidimensionale Struktur aus dem eindimensionalen Streubild, das die BESSY-Messung liefert, zu berechnen.
Erfolgreich zeigt sich das BAM-Team beispielsweise bei der Herstellung pharmazeutischer Produkte, sogenannter Co-Kristalle. Das sind kristalline Systeme, bei denen der Wirkstoff mit einem organischen Zusatzstoff verbunden ist. Beispielsweise Theophyllin, das bei Atemwegserkrankungen hilft, jedoch vom menschlichen Organismus wegen schlechter Wasserlöslichkeit kaum aufgenommen werden kann. Da hilft es, den Wirkstoff mit Benzamid in der Kugelmühle zu vermahlen. Der innerhalb weniger Minuten entstehende Co-Kristall ist schneller und besser löslich als der Wirkstoff alleine.
Derartige Erfolge sowie ökologische Vorteile wie der weitgehende Verzicht auf Lösungsmittel und Wärme machen die Mechanochemie weltweit immer attraktiver. „Die Industrie hat bereits großes Interesse“, sagt die gebürtige Pfälzerin, die seit 16 Jahren an der BAM forscht.
Von Paul Janositz für Adlershof Journal