Spielzeug mit Durchblick
Augmented Robotics entwickelt KI-gesteuerte Software, mit der die reale Spielzeugumgebung am Smartphone zur virtuellen Gamingwelt wird

Roboter mit gewöhnlichen Kameraaugen sehen die Welt flach. Ein Objekt im Raum zu greifen, wird für sie zum Glücksspiel. Zwar lässt sich das auch schon heute lösen, ist aber aufwendig und teuer. Das muss doch einfacher gehen, dachten sich drei „Raketenbauer“ und gründeten Augmented Robotics. Mit dem richtigen Know-how und einer großen Portion Spieltrieb haben sie nun auch einfachsten Handykameras die dritte Dimension geschenkt.
Schon 2018 wollten Patrick Bethke, Tony Nitschke und Evgeni Melan hoch hinaus. Kennengelernt hatten sie sich in einem Raumfahrtseminar an der TU. Gemeinsam bauten sie Modellraketen. Stellten Höhenrekorde auf. Ließen Drohnen steigen. Testeten selbst entworfene Steuerungsalgorithmen. Und hatten dabei eine Idee: Könnte man nicht Augmented Reality (AR) nutzen und das physische Spiel um eine virtuelle Ebene erweitern? „Damals war AR gerade in aller Munde“, erinnert sich Patrick. „Die ersten Spiele kamen auf den Markt, aber vieles war noch ziemlich grob. Wir hatten das Gefühl, da geht mehr – vor allem, wenn man reale Objekte einbeziehen kann.“ Der Gedanke ließ sie nicht mehr los – und sie gründeten Augmented Robotics.
„Wir bringen Maschinen das Sehen bei.“
Mit ihren Lieblingsspielzeugen zu arbeiten, erschien den drei Gründern aber nicht der Weisheit letzter Schluss. „Jede gecrashte Drohne hatte ganz schön am Budget gezehrt“, sagt Patrick lachend. Doch irgendein Demonstrationsobjekt musste her, mit dem sie potenzielle Kunden und Investoren von ihrer Technologie überzeugen konnten. Die Lösung: Spielzeuge, die robuster, günstiger und ohnehin schon in Millionen Kinderzimmern vorhanden sind. Wenn man es schafft, die Kamera eines Smartphones so zu trainieren, dass sie diese Spielsachen erkennt, versteht und in Interaktionen einbindet – dann entstehen neue Spielformen, in denen analog und digital nahtlos ineinander übergehen.
Genau daran arbeitet Augmented Robotics seither. Herz ihres Unternehmens ist eine Software-as-a-Service-Plattform, die dank künstlicher Intelligenz Objekte, Bewegungen und Interaktionen in Echtzeit erfassen und mit digitalen Elementen verknüpfen kann. „Mit Horus AI bringen wir Maschinen das Sehen bei“, sagt Patrick. Und das mit einem entscheidenden Twist: Ihr System läuft eben nicht auf Highend-Geräten oder Spezialkameras, sondern auch auf älteren, günstigen Smartphones. „In der Industrie ist es oft egal, ob ein System 10.000 oder 20.000 Euro kostet“, sagt Patrick. „Aber im Kinderzimmer oder im Schulranzen muss es mit dem laufen, was da ist. Genau da setzen wir an.“
„Unsere Zielgruppe sind nicht nur Spielzeughersteller, sondern vor allem Entwickler mit Ideen für AR.“
Und wie sieht das in der Praxis aus? Zum Beispiel so: Ein Kind steuert ein Spielzeugauto über den Wohnzimmerboden – auf dem Bildschirm des Smartphones erscheinen plötzlich virtuelle Hindernisse, Aliens oder Power-Ups. „Das Auto bleibt physisch das Gleiche, aber die Welt drum herum wird dynamisch, lebendig, interaktiv“, erklärt Patrick. Die reale Umgebung wird zur Spielfläche – und das Spielzeug zur Schnittstelle zwischen Realität und digitaler Fantasie. Den Spielwarenhersteller Simba Dickie haben sie mit dieser Idee bereits gewinnen können. Mit ihm haben sie ein Set aus physischem Spielzeug und virtuellen Missionen erschaffen. Es ist eine Art Einstieg in die hybride Spielwelt – und ein Beispiel dafür, wie traditionelle Hersteller von der Technik profitieren können. Und das hat sogar noch eine gesellschaftliche Komponente. „Kinder verbringen heute ohnehin viel Zeit mit dem Smartphone“, sagt Patrick. „Wir wollen sie nicht davon abhalten – aber wir wollen diese Zeit sinnvoller machen. Weg vom reinen Konsum, hin zu kreativer Interaktion.“
Der Clou dabei: Entwicklerstudios können diese Plattform nutzen, um eigene Anwendungen zu bauen – völlig unabhängig vom eigentlichen Spielzeug. „Unsere Zielgruppe sind nicht nur Spielzeughersteller wie unser Partner Dickie Toys, sondern vor allem Entwickler, die Ideen für AR haben, aber keine eigene Objekterkennung entwickeln wollen“, erzählt Patrick. Augmented Robotics liefert die technische Basis – das visuelle Verständnis –, auf der andere aufbauen können. „Viele Unternehmen in der Branche haben tolle Produkte, aber oft nicht die Ressourcen, um eigene digitale Anwendungen zu entwickeln“, sagt er. „Wir schließen da eine Lücke.“
Um die Plattform weiterzuentwickeln und in den Markt zu bringen, hat Augmented Robotics jetzt eine Crowdinvestment-Kampagne auf FunderNation gestartet. Die Vision: eine modulare, erschwingliche AR-Entwicklungsumgebung, die das Potenzial hat, nicht nur das Kinderzimmer, sondern auch andere Bereiche zu erreichen – vom Lernen über das Basteln bis hin zum Storytelling.
Kai Dürfeld für CHIC!