CHIC für das Auge
Start-up-Teams aus dem Charlottenburger Innovations-Centrum schaffen virtuelle Welten für Spielzeugindustrie, Baubranche und Katalogwelten
Gute Visualisierung macht auf einen Blick klar, wofür es hunderter Worte bedarf. Wo sie in räumliche und zeitliche Dimension vordringt, entstehen virtuelle Welten. Im CHIC arbeiten vier Start-ups an Lösungen, die weit über das reine Visualisieren hinausgehen. Sie optimieren kollaborative Prozesse in Bauprojekten, schaffen virtuelle Katalog- und Wohnwelten, machen reale Spielzeuge zum Bestandteil virtueller Games und gehen neue Wege in der Beobachtung globaler Technologietrends.
Dass Tony Nitschke als Luft- und Raumfahrtingenieur im Spielwarenkosmos tätig ist, geht auf eine fixe Idee zurück. Der Gründer und CEO der Augmented Robotics GmbH ließ mit Freunden Drohnen fliegen, als sie sich fragten: „Wie es wohl wäre, unsere Drohnen in der Augmented Reality (AR) gegen Fighter aus dem Star Wars Game antreten zu lassen?“.
Sieben Jahre später führt Nitschke mit seinen Mitgründern Evgeni Melan und Patrick Bethke ein bunt gemischtes Team im Berliner CHIC und einem Prager Büro. „Zwanzig Beschäftigte, zehn Sprachen – es macht riesig Spaß“, sagt er. Zwei Finanzierungsrunden mit Investoren aus Japan, Tschechien und Polen, der Investitionsbank Berlin und Business Angels hat das Team durchgeführt und mit dem Spielwarenhersteller Revell und der polnischen Gaming-Größe Movie Games renommierte Kooperationspartner gewonnen. „Andere Kunden können wir aufgrund von Geheimhaltungsvereinbarungen nicht nennen“, sagt Nitschke.
Die Spielwarenindustrie leidet darunter, dass Kinder immer früher ins Gaming abwandern. Augmented Robotics schafft eine Verbindung beider Welten. Ihre Lösungen machen Spielzeugautos, Puppen & Co. zu Protagonisten virtueller Gamingwelten, wo diese Schätze finden oder Hindernisse überwinden. Eine AR-Brille braucht es für den Übergang von Kinderzimmer- zu Gamingwelten nicht. „Wir entwickeln Lösungen für Smartphones und Tablets, weil diese fast flächendeckend verfügbar sind und hervorragende Sensoren haben“, erklärt Nitschke. An AR-Brillen störe zudem die große Qualitäts- und Preisspreizung. Gute Technik sei für Kinderzimmer zu teuer, schlechte verderbe den Spaß.
Um die fließenden Übergänge zu schaffen, ist interdisziplinäres Miteinander von IT- und Visualisierungs-Know-how, maschinellem Lernen, Design, Kunst und reichlich Businesserfahrung gefragt: Unter anderem wirkt der ehemalige Finanzchef von Apple Osteuropa, Douglas Wong, im Weltenwechsler-Team mit und hilft Türen bei potenzieller Kundschaft zu öffnen. Und für die direkte Einbindung ihrer Zielgruppe setzt Augmented Robotics auf Crowdfunding.
Von der reinen VR-Visualisierung zur Kollaborationsplattform
Ebenfalls im CHIC sorgt die Visoplan GmbH für Übersicht im Bauwesen. Das zwölfköpfige Team um CEO Boris Goldshteyn ist 2016 als VR-Unternehmen mit dem Namen ALLVR gestartet, musste aber feststellen, dass Architektur- und Planungsbüros nicht nur Visualisierung brauchen. Das Team hat reagiert – und mit Visoplan einen passenden Namen für die Neuausrichtung gefunden: Der Schwerpunkt liegt nun auf visuell zugänglicher Planung, in der interaktive 3D-Modelle zum Dreh- und Angelpunkt der Kollaboration werden.
Im digitalen Zwilling des geplanten Bauwerks sind Planungsfortschritte für alle Beteiligten sichtbar. Projektstände werden automatisch dokumentiert und per Dashboard kann sich das Projektmanagement schnell einen Überblick über den Stand der Dinge verschaffen. „Visualisierung im 2D- und 3D-Modell sowie im Dashboard ist Mittel zum Zweck, um Übersicht in komplexen Projekten zu schaffen und Daten aus bisher isolierten Silos zusammenzuführen“, erläutert Goldshteyn. Zur Lösung gehört zudem ein flexibles Dokumentenmanagement als Teil des standardisierten Common Data Environment (CDE). Hier fließen Informationen in verschiedensten Datenformaten zusammen und lassen sich für Projektbeteiligte zugänglich machen.
„Die ursprüngliche Fokussierung auf VR griff zu kurz. In vielen Gesprächen mit unserer Kundschaft haben wir gelernt, dass das Building Information Modelling (BIM) mit durchdachten Workflows für die Zusammenarbeit kombiniert werden muss“, sagt Goldshteyn. Eine VR-Brille allein löse nicht das Problem der stetig zunehmenden Komplexität moderner Bauprojekte, deren Planungsphase von hohem Koordinierungs- und Dokumentationsaufwand sowie von immer mehr Regularien und Nachhaltigkeitskriterien geprägt sei. Die Interaktion am Modell hilft, dabei den Überblick zu behalten. Die Lösung des CHIC-Teams kommt an und stößt auf rege Nachfrage.
Ein strategischer Investor aus der Schweiz ist schon länger an Bord. Aktuell ist eine Finanzierungsrunde in Planung, um eine Basis für weiteres Wachstum zu schaffen. Allerdings ist Visoplan schon jetzt schlagkräftiger als es die Zahl der Beschäftigten vermuten lässt. „Wir arbeiten mit hervorragenden IT-Fachleuten aus der Ukraine zusammen, die trotz Krieg absolut zuverlässig liefern“, erklärt Goldshteyn. Gerade jetzt sei die solide wirtschaftliche Basis für die Menschen dort wichtig. „Wer mehr über die Möglichkeiten der Zusammenarbeit erfahren möchte, kann sich gerne bei uns melden“, bietet Goldshteyn an.
Kataloge mit optionaler Virtualisierung
Visualisierung ist mittlerweile auch gang und gäbe, wenn Möbelhäuser oder Badausrüster Kataloge und Webseiten gestalten. Nur noch selten sind Wohn- und Produktwelten darin Fotografien. Stattdessen sind Software, Scanner und 3D-Artists am Werk. Vorteil: Wohnwelten lassen sich leicht an regionale und kulturelle Vorlieben anpassen; und einmal erstellte Visualisierungen erlauben es, Stoffe, Farben, Tischbeine oder Wasserhähne frei zu konfigurieren – also individuelle Anpassungen an Serienprodukten vorzunehmen.
Die colormass GmbH entwickelt mit aktuell 25 Beschäftigten im CHIC und in einem Budapester Büro cloudbasierte Software, mit der sich die virtualisierten 3D-Produkte in erstaunlicher Auflösung kreieren lassen. Ob Textilien, Metalle, Leder, Keramik oder Stein: Lichteinfall, Schattenwurf und Perspektiven wirken absolut echt. „Daran haben wir fünf Jahre lang intensiv gearbeitet“, erklärt der Gründer und CEO des Start-ups, Tas Sóti. In dieser Phase habe colormass für die Entwicklung des Scanverfahrens und der Softwareplattform Förderung aus dem ProFit-Programm und dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) erhalten.
Die täuschend echten Visualisierungen basieren auf einem formgebenden 3D-Modell auf CAD-(Computer Aided Design)-Basis und den dreidimensionalen Materialvisualisierungen, die colormass zur Perfektion gebracht hat. Beides wird in cloudbasierten Datenbanken abgelegt und lässt sich dann nach Belieben kombinieren. Auf Wunsch bindet das Team visualisierte Produkte auch in Videos oder Augmented Reality-Lösungen ein, mit denen Interessierte die virtuellen Möbelstücke oder Waschbecken in ihrer eigenen Wohnung anschauen können. Künftig sind laut Sóti auch Showrooms mit virtualisierten Produkten in virtuellen Welten wie dem Silicon-Valley-Großprojekt „Metaverse“ denkbar. Der Visualisierungsmarkt wächst und bietet beste Chancen für das Start-up. Das bisherige Wachstum hat es aus dem Cashflow finanziert. Sollten sich passende Investoren finden, könnte sich das laut Sóti ändern.
Globales Innovationsgeschehen auf einen Blick
Auch die 2012 gegründete MAPEGY GmbH ist bisher aus eigener Kraft und mit Unterstützung von Business Angels ausgekommen und so bereits auf 25 Beschäftigte gewachsen. Laut Gründer und Geschäftsführer Peter Walde zählen bereits 50 Konzerne aus verschiedenen Branchen zur Kundschaft. Ihnen verschafft das Start-up Überblick über das Innovationsgeschehen in ihren Märkten. Das Team trägt seit über einem Jahrzehnt gigantische Datenmengen zusammen, indem es global verschiedenste Kanäle scannt: Nachrichtenportale, Websites, Pressemitteilungen von Unternehmen, Start-ups und Hochschulen, Podcasts, Daten von 150 Patentämtern weltweit sowie wissenschaftliche Publikationen und vieles mehr.
Wert bekommt dieser fortlaufend aktualisierte vielsprachige Datenrohstoff erst dadurch, dass MAPEGY ihn mithilfe ihrer smarten Algorithmen semantischen Analysen unterzieht. Aus Rohdaten werden so passgenaue Informationen, die MAPEGY in Form von Tabellen und ausgefeilten Visualisierungen bereitstellt. Visualisierung ist also nur die sichtbare Spitze eines Datenbergs, in dem die Kundschaft bei weitergehendem Interesse beliebig tief schürfen kann, um mit konkreten Quellenangaben globale Konkurrenten, potenzielle Disruptionen oder spannende Start-ups für Kooperationen zu identifizieren.
Der Weg zum schnellen, visuellen Überblick über das globale Technologie- und Innovationsgeschehen war laut Walde steinig. „Wirklich stabil ist unsere Lösung erst seit 2018“, berichtet er. Computer-Linguistik, Medientechnologien und informatisches Know-how mussten in Einklang gebracht werden, um aus der Vision ein marktfähiges Produkt zu machen. Seit das geschafft ist, stellt MAPEGY die Zukunftsforschung auf eine neue Basis: Weltweit geschürfter Datenrohstoff wird mit Datenintelligenz zu fundierten Trendanalysen veredelt. Mussten sich Konzerne früher bei Vorhersagen von Marktentwicklungen auf punktuelle Analysen, Konferenzbesuche und Einschätzungen von Agenturen verlassen, macht ihnen das Start-up aus dem CHIC nun das gesamte globale Innovationsgeschehen auf einen Blick zugänglich.
Von Peter Trechow für CHIC!
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