Vom Propeller zum Zelluloid
Fliegerei und Filmgeschichte in Johannisthal-Adlershof
Das Jahr 1920 beginnt in Deutschland genauso stürmisch, wie sein Vorjahr verlaufen war. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg, der Abdankung des Kaisers und der Gründung der Weimarer Republik zieht keine Ruhe ein. Wie in einem Brennglas bündeln sich alle politischen Turbulenzen in Berlin. Die Reichshauptstadt ist das Zentrum der Politik, in der es drunter und drüber geht, hier schlug bis vor Kurzem das Herz der deutschen Wirtschaft, die nun am Boden liegt, in der Millionenmetropole treten die sozialen Konflikte eines von Krieg und Not ausgezehrten Volkes drastisch zutage. Vor den Toren der Stadt, im Südosten ist es vergleichsweise ruhig. Noch gehört die riesige Fläche zwischen Johannisthal und Adlershof nicht zu Groß-Berlin, das erst im April 1920 entsteht.
Enno Walther Huth ist 44 Jahre alt und ein erfolgreicher Industrieller. Er entstammt einer Offiziersfamilie, hat ebenfalls zunächst eine militärische Laufbahn eingeschlagen, um dann Naturwissenschaften zu studieren. Ziemlich genau zehn Jahre zuvor, am 29. Dezember 1909, hat er hier in Johannisthal die Albatros-Flugzeugwerke gegründet und dem ersten deutschen Motorflugplatz zu beträchtlichem Aufschwung verholfen. Nun scheint Huth vor dem Aus zu stehen. Der Vertrag von Versailles verbot zunächst die Entwicklung und den Bau von Flugzeugen.
Größtes Kunstlicht-Atelier Europas
Was jedoch für Huth Anfang 1920 wie ein Desaster aussieht, erweist sich bald als fulminanter Neustart. Am 20. Januar gründet er die später als „Jofa“ Weltruhm erlangende Johannisthaler Filmanstalt GmbH. Er lässt die Hallen der Flugzeugwerft zum „größten Kunstlicht-Atelier in Europa“ umbauen und begibt sich damit schon vier Monate später auf einen Markt, der sich in den folgenden Jahren als einer der dynamischsten und schillerndsten erweisen wird, namentlich in Deutschland.
In der Jofa fällt bald eine Klappe nach der anderen. Noch ist Stummfilmzeit, die Bilder ohne Töne nähern sich ihrem künstlerischen und technischen Gipfelpunkt. Zahlreiche Stummfilme – einige Quellen sprechen von mehr als 400 – werden in Johannisthal gedreht, darunter bis heute renommierte Klassiker wie „Nosferatu“ von Friedrich Wilhelm Murnau. Ein Traumpaar des deutschen Kinos, Lilian Harvey und Willy Fritsch, beginnt hier seine Karriere.
Elite des deutschen Kinos vor den Kameras in der Jofa
Ausgangs der „Goldenen Zwanziger“ geht es mit dem Stummfilm zu Ende. Doch in den Johannisthaler Ateliers ist man gerüstet und bewältigt die einschneidenden technischen Veränderungen in der Filmproduktion fast mühelos. In den Folgejahren geht, steht, sitzt, liegt, tanzt nahezu die gesamte Elite des deutschen Kinos vor den Kameras in der Jofa: Asta Nielsen in ihrem einzigen Tonfilm, Hans Albers in seinem ersten, der große kleine Tenor Joseph Schmidt lässt von hier aus sein Lied um die Welt gehen. Paul Hörbiger, Theo Lingen, Leni Riefenstahl, Gustaf Gründgens, Marianne Hoppe, Emil Jannings, Johannes Heesters, Heinz Rühmann arbeiten hier. Natürlich wird die Jofa dann auch Bestandteil der nationalsozialistischen Filmpolitik, vielfach mit seichter Unterhaltung zur Ablenkung und Zerstreuung.
Auch kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs rotiert bei der Jofa wieder das Zelluloid. Auf Geheiß der sowjetischen Besatzungsmacht werden russische Filme für die deutschen Kinos synchronisiert. 1946 übernimmt die eben gegründete DEFA die Ateliers und dreht hier bis 1961. Das DEFA-Studio für Synchronisation bearbeitet alle ausländischen Spielfilme für die Kinos der DDR. Die Ateliers mit etlichen Neubauten werden von 1962 bis 1991 vom Deutschen Fernsehfunk (bzw. Fernsehen der DDR) für Produktionen vom Krimi bis zum Mehrteiler genutzt.
Von Harry Mehner für Adlershof Journal
Eine ausführliche Darstellung der Filmgeschichte Johannisthal- Adlershofs ist in einer Ausstellung zur „Langen Nacht der Wissenschaften“ am 10. Mai 2014 im FORUM ADLERSHOF zu sehen. Der Johannisthaler Filmliebhaber Wolfgang May hat unzählige Zeugnisse gesammelt, in Vorträgen verarbeitet und für die Ausstellung aufbereitet.
Gezeigt wird zusätzlich eine Ausstellung der Gesellschaft zur Bewahrung von Stätten deutscher Luftfahrtgeschichte e. V. zum Motorflugplatz Johannisthal. Außerdem kann der Große Windkanal mit Experten der Luftfahrtgeschichte besichtigt werden.