Was verfolgt ST3AM, die neue Arbeitswelt in Adlershof?
Ein Interview mit Roland Sillmann und Bessie Fischer-Bohn
Arbeiten Sie noch remote oder schon multilokal? Dieser Begriff gesellt sich zu den bekannten – Homeoffice, Hybrid, Workation – aber auch zu RTO: return-to-office. Viele CEOs möchten das gern noch in diesem Jahr durchsetzen: Bitte alle wieder zurück ins Büro.
Die Gründe sind vielfältig. Nur um zwei zu nennen: Der Austausch fehlt. Oder: Die Performance sinkt. Über “RTO vs Remote” wird viel gesprochen – und auch gestritten. Zahlreiche Studien untersuchen, was Menschen besser tut. Wo sie produktiver, wo sie gesünder arbeiten. Die Ergebnisse fallen unterschiedlich aus.Wie ist es denn am Technologiepark Adlershof? Hat sich die Art zu arbeiten hier stark verändert? Was hat sich bewährt? Was ist neu? Und was verfolgt WISTA mit ST3AM, den neuen Arbeitswelten in Adlershof?
Darüber sprechen Bessie Fischer-Bohn, Personalleiterin und Roland Sillmann, CEO der WISTA Management GmbH mit Despina Borelidis.
„RTO“ (return-to-office) und „in-person attendance“ sind Begriffe, die in letzter Zeit öfter fallen. Vielleicht liegt es daran, dass viele Unternehmen sich vorgenommen haben, bis Ende 2024 die Belegschaft wieder komplett vor Ort zu haben. Stellt Ihr diese Tendenz auch fest?
Roland Sillmann: Ja, definitiv. Und wie bei vielen Prozessen muss es sich auch hier zwischen zwei entgegengesetzten Trends – Remote und RTO – wieder einpendeln. Für keine Firma wird es zu 100 Prozent die richtige Antwort geben. Man muss intelligent auswählen, was fürs Unternehmen, den Bereich und für jede:n einzelne:n Mitarbeiter:in die richtige Arbeitsform ist.
Tim Cook war ja früh dran: Der Apple-Chef rief bereits 2021 alle wieder zurück ins Office. Könnt Ihr ihn gut verstehen?
Bessie Fischer-Bohn: Ich denke, das ist sehr gut verständlich. Denn viele Führungskräfte haben das Gefühl, sie hätten alles besser unter Kontrolle, wenn alle Mitarbeitenden vor Ort sind. Aber dass auf der Seite der Mitarbeitenden der Wunsch besteht, mehr Flexibilität zu haben – sie haben es ja während der Pandemie erlebt –, bringt zwei verschiedene Sichtweisen mit sich. Diese beiden nähern sich jetzt wieder an. Sie müssen ausgelotet werden und sind in jedem Unternehmen im Prozess. Die einen sind weiter als die anderen. Die anderen fangen gerade erst an, ihren Weg zu entwickeln.
Habt Ihr auch das Gegenteil erlebt? Dass Menschen unbedingt wieder zurück ins Office wollten?
BFB: Ja, definitiv. Wir haben Kolleginnen und Kollegen, die von Anfang an froh waren, wieder mehr ins Büro zu kommen. Sie freuen sich, dass auch andere im Büro sind und dass man kreativer zusammenarbeiten kann.
Roland, gibt es eine offizielle RTO-Politik bei WISTA? Eher hybrid oder in-person? Welche Erfahrungen habt Ihr hier gemacht?
RS: Nein, wir haben keine RTO-Politik. Wir achten darauf, was für die einzelnen Mitarbeitenden und für das Gesamtgefüge der WISTA gut ist. Aber man sollte sich als Unternehmen auch die gesamtgesellschaftliche Verantwortung klar machen: Denn ja, Homeoffice ist zwar eine gute Sache – man kann flexibler sein, das Privatleben besser mit dem Beruf in Einklang bringen –, aber für 60 bis 80 Prozent der Menschen im gesamten sozialen Gefüge funktioniert Homeoffice gar nicht. Denken wir an Berufe bei der Polizei, in Krankenhäusern und im Handwerk. Wenn also ein Job in Zukunft davon abhängen sollte, ob er Homeoffice-fähig ist oder nicht, kriegen wir ein gesellschaftliches Problem. Deswegen muss man sich, über den eigenen Horizont hinaus, auch andere Faktoren anschauen – die Firma, das Umfeld der Firma und die Gesellschaft.
Sind denn hier im Technologiepark und bei der WISTA die meisten Jobs remote-fähig?
RS: Theoretisch ja. Unsere Erfahrungswerte sagen: Ein Drittel der Beschäftigten im Technologiepark Adlershof macht gar kein Homeoffice. Ein weiteres Drittel arbeitet hauptsächlich vom Büro aus – ist also einen bis zwei Tage im Homeoffice – und ein letztes Drittel besteht aus IT-Firmen, die hauptsächlich im Homeoffice arbeiten.
Wie ist es bei Euch? Arbeitet Ihr manchmal im Homeoffice?
RS: Ja, immer freitags. Da plane ich Videokonferenzen, wie Jour Fixes, mit meinen Bereichsleiter:innen. Das funktioniert deswegen so gut, weil wir uns sonst auch sehen. Das heißt, die persönliche Beziehung wird über die Woche gepflegt und die Jour Fixes dienen dem Informationsaustausch. Würde ich mein Team aber nicht zusätzlich unter der Woche sehen, wäre es, glaube ich, weder zielführend noch effizient, Videokonferenzen zu machen.
BFB: Ich mache das ähnlich. Ich bin unter der Woche von morgens bis abends in Terminen. Einen Tag reserviere ich deswegen für klassische Stillarbeit. Um E-Mails zu beantworten und Telefonate zu führen, wozu ich an den anderen Tagen nicht komme.
Bessie, von Dir gibt es ein sehr interessantes Zitat von einer IASP Conference. Du sagst: „Wir stellen nicht die Frage, ob beispielsweise Hybrid- und Remote-Arbeit positiv oder negativ ist. Wir fragen, wie wir diese neue Flexibilisierung so gestalten können, dass sie einen positiven Einfluss hat – auf die Motivation und den Output der Arbeitnehmer und damit auch auf die Entwicklung des Unternehmens.” Warum stellt sich die Frage gar nicht erst für Dich?
BFB: Ich denke, wir kommen nicht mehr drumherum, verschiedene neue Arbeitswelten finden zu müssen. Da sind wir längst, das brauchen wir nicht mehr infrage zu stellen. Was wir fragen sollten, ist: Wie können wir Arbeitswelten so einsetzen, dass es optimal fürs Unternehmen und die Mitarbeitenden funktioniert? Hier gibt es verschiedene Gesichtspunkte. Einer ist Motivation. Die meisten Menschen sind motivierter, wenn sie in einem guten Kontakt und Team mit anderen arbeiten. Es bringt mehr Spaß. Das ist ein wichtiger Punkt. Gerade, wenn man an innovativen, kreativen oder Entwicklungsprojekten arbeitet, ist gute Zusammenarbeit im Team erst recht wichtig – in einem gut zusammengestellten Team, das sich kennt und Vertrauen untereinander aufgebaut hat. Um das zu erreichen, ist es wichtig, sich in persona zu treffen.
Was bedeutet das konkret: Wie gestaltet WISTA diese Flexibilisierung?
BFB: Das ist von Team zu Team unterschiedlich. Jeder Bereich entwickelt ein angemessenes und zur Aufgabe passendes Konzept – ob vor Ort gearbeitet wird oder mobil. Ein Beispiel: Wir haben ein großes Projekt, das Diversity Festival Adlershof. Hier trifft sich das verantwortliche Team alle zwei Wochen im Unternehmen. Alle sind dann vor Ort und wir gestalten das Projekt gemeinsam. Dann entsteht auch die Freude am Thema. Faktisch könnte man es auch remote machen. Aber der Funke springt eher über, wenn wir zusammen im Team arbeiten.
Nun gibt es bestimmte Trends, die mit der Flexibilisierung von Arbeit einhergehen. Eine Konsequenz daraus ist, dass Unternehmen ihre Büroflächen reduzieren, sie untervermieten oder verkaufen. Das machen Google und Salesforce, das machen Nike und IBM. WISTA aber baut neue Arbeitswelten. Genauer: ST3AM in der Rudower Chaussee 28. 3.000 Quadratmeter neue Arbeitswelten. Warum? Was ist das Ziel?
RS: Wir haben uns überlegt, was für ein Umfeld Impact-orientierte Menschen brauchen, Menschen, die interdisziplinär arbeiten, um komplexe Themen zu lösen. Das Ziel ist, dass wir die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeitenden erfüllen, um interdisziplinäres Arbeiten zu ermöglichen. Einerseits das Bedürfnis nach ruhiger Arbeit, andererseits nach Austausch, nach Stimulation und Weiterbildung.
BFB: Das ist auch ein Argument für Unternehmen, die sich gerade in einer Entwicklungsphase befinden und versuchen, den neuen Anforderungen mit neuen Angeboten zu begegnen. Bei ST3AM können sie das ausprobieren: ein neues Umfeld, mehr Flexibilität, verschiedene Bürogrößen und vieles mehr.
Warum nennt Ihr das Konzept “Arbeitswelten” und nicht “Co-Working Space”?
RS: Weil viele Menschen mit dem Begriff “Co-Working Space” das Bild einer relativ großen Fläche verbinden, in der viele Menschen gleichzeitig arbeiten. Dort ist weder ruhiges Arbeiten noch Austausch möglich. Genau dieses Gefühl wollten wir nicht vermitteln. Wir haben einzelne, unterschiedlich große Zonen gewählt, in denen beides geht – Austausch und Fokus –, aber jeweils getrennt voneinander. Es gibt Zonen für interdisziplinäres Arbeiten, denn für die Entwicklung von Kreativität braucht es unbedingt Kommunikation – ob gezielter Austausch im Workshop oder Plaudern bei einem Kaffee für neue Ideen. Parallel gibt es Zonen zum Abschalten und Ausspannen. Sie sollen die mentale Gesundheit erhalten oder sie in bessere Bahnen lenken. Ziel ist, dass Menschen besser und leistungsfähiger arbeiten und sich diese Leistungsfähigkeit auch erhalten können.
Warum heißt ST3AM “ST3AM”? Und wofür steht die Ziffer “3” im Namen?
RS: ST3AM leitet sich ab von STEM: Science, Technology, Engineering und Mathematics. Hinzu kommt die Ergänzung Arts. Die “3” steht für einen Dreiklang aus der Städteplanung. Er besagt: Städte sind dann erfolgreich, wenn sie auf Technologie, Talente und Toleranz setzen. Damit steht ST3AM insgesamt für interdisziplinäre Zusammenarbeit, für TEAMS, für unseren Fokus auf Technologie, auf Talente und auf Toleranz als Schlüssel zur Zusammenarbeit.
Das ist ausgeklügelt. Erzählt bitte mehr über die einzelnen Zonen von ST3AM. Wir sprechen von zwei Geschossen mit 800 m² Fläche im Erdgeschoss und weiteren 2.200 m² im 1. Geschoss. Was kann beispielsweise der “Maker Space” im EG?
RS: Der Maker Space dient der Inspiration und Stimulation. Hier können Ideen, die Prototypen brauchen, schnell realisiert werden. Ziel ist, schneller von der Idee zur Lösung zu kommen. Eingeteilt ist der Space in drei Zonen: Eine besteht aus einer klassischen mechanischen Werkstatt für Elektro, Metall und Holz. Hier wird viel Hardware gebaut, viele Modelle und Prototypen. Eine weitere Zonen beherbergt das VR- und AR-Studio: Hier spielen beispielsweise Themen wie die Verbindung von Brillentechnologie und Kommunikation. Außerdem wird es einen digitalen Space geben: Dort werden die zurzeit modernsten 3D-Drucker stehen. Hier können Modelle aus verschiedenen Materialien realisiert werden, ob aus Keramik, Holz oder Metall – selbst sehr kleine Teile mit Optiken.
Was befindet sich noch im Erdgeschoss?
RS: Die WISTA Academy – also Bessies Reich.
BFB: Ja, wir haben die WISTA Academy Ende letzten Jahres gegründet. Sie beinhaltet Weiterbildungsangebote und Vorträge für den Standort und die Unternehmen, die sich im ST3AM einmieten. Die verschiedenen Zonen, die ST3AM bietet, sollen auch genutzt werden. Dafür ist es vor allem wichtig, die Führungskräfte darin zu schulen, dass sie die Nutzung auch zu unterstützen. Zu tolerieren, wenn sich Mitarbeitende zurückziehen, um sich zu erholen. Denn für einige Vorgesetzte ist das schwer auszuhalten. Wir erkennen aber aus Studien und Auswertungen, dass psychische Belastungen zunehmen. Und deswegen ist es auch wichtig – so sehr sich Beruf und Privatleben entgrenzen –, dass man Raum für Erholungsphasen anbietet. Und dass man sie toleriert und mitträgt.
Du sprichst das “Mind Spa” an, Bessie. Roland, diese Zone befindet sich im ersten OG, richtig?
RS: Genau. Das ist die Zone, die Mitarbeitenden die Möglichkeiten bietet, sich zurückzuziehen und etwas runterzukommen. Denn aktuelle Schätzungen – das muss man sich klar machen – sagen: 25 Prozent der erwachsenen Deutschen haben mentale Probleme. Wenn ich das auf die nächsten Jahre hochrechne, dann frage ich mich: Wie viele unserer Mitarbeitenden werden dann mentale Probleme, wie beispielsweise ein Burnout, hinter sich haben? Mit dieser Überlegung muss ich ein Arbeitsumfeld schaffen, was zum einen Burnout verhindert. Zum anderen muss es auch denjenigen, die ein Burnout erlebt haben, leicht gemacht werden, zurückzukommen und – trotz dieser Erfahrung – gut im ST3AM arbeiten zu können. Ich muss Zonen schaffen, die es Menschen ermöglichen, sich zurückzuziehen, um Ruhe zu finden und neue Energie zu tanken, um danach wieder sehr leistungsfähig zu sein. Es reicht aber nicht, diesen Mind Spa nur zur Verfügung zu stellen. Wie Bessie sagt: Man muss darin schulen, dass er auch genutzt wird und dass die Nutzung auch vollkommen okay ist.
Wir sprachen über den Maker Space, die WISTA Academy, das Mind Spa. Du sprachst auch fokussiertes Arbeiten an, Roland. In welcher Zone ist das möglich?
RS: Auch im ersten Obergeschoss, in der “Focused Work Area”. Dort gibt es Räume, die unterschiedlich viele Plätze fassen – ab sechs bis 30. Logischerweise ist es dort eher ruhig. Für Telefonate gibt es Telefonboxen. In dieser Area können Einzelpersonen, aber auch Unternehmen, je nach Bedarf Flächen anmieten. Beispielsweise Unternehmen, die vorrangig remote arbeiten, aber an einem festen Tag pro Woche im Team vor Ort arbeiten möchten.
In welchem Bereich würdet Ihr Euch vorrangig aufhalten und warum?
BFB: Ich finde die Schaukeln in der Zone für interdisziplinäres Arbeiten total gut. Ich habe sie ausprobiert und festgestellt: Ich kann mich dort sehr gut unterhalten. Das ist total schön: Man hat durch das Schaukeln eine leichte Kindheitserinnerung, ist nicht so fokussiert aufs Sitzen. Man kann sich lockern und gleichzeitig sehr gut konzentrieren.
Das war eine Idee von Urve Liivak, der Innendesignerin von ST3AM. Ich habe einige Bilder der Räume gesehen: Sie erinnern an eine gepflegte Hotel-Lobby. Die Farben sind gedeckt. Die Räume wirken beruhigend.
RS: Ja, es sind viele natürliche Grün- und Brauntöne dabei. Es wird auch Pflanzen geben.
Dass Räume einen Impact auf unser psychisches Befinden haben – und auch unsere Performance –, leuchtet ein. Aber reicht das? Eine empirische Studie der TU Darmstadt mit Titel Work from Home: Von der Pandemienotlösung zum multilokalen Konzept, stellt unter anderem fest: Je stärker Teamdynamik empfunden wird, desto eher geben die Befragten an, im Büro arbeiten zu wollen. Je höher die Teamdynamik ist, umso höher ist auch das Gefühl der Isolierung im Homeoffice. Die Hälfte der Befragten gab außerdem an: Grund Nr. 1, um zurück ins Büro zu kehren, sei der leichtere Austausch mit den Kolleg:innen. Inwiefern zahlen solche Ergebnisse auf ST3AM ein?
BFB: Insofern, als dass wir mit ST3AM nicht nur attraktive Räume haben, in denen man sich wohlfühlt und gerne aufhält, sondern auch die Möglichkeit bieten, im Team zu arbeiten und so auch eine gute Teamentwicklung voranzutreiben. Das ist auch unser Ziel.
Hier spielt ein Thema hinein, mit dem Du Dich sehr viel auseinandersetzt, Bessie, – und das auch Teil der WISTA Academy ist: Psychologische Sicherheit in Organisationen. Denn Teams sollen sich nicht nur in Räumen wohl-, sondern auch untereinander und mit ihren Führungskräften psychologisch sicher fühlen.
BFB: Ja, wir merken, dass unsere Gesellschaft immer vielfältiger wird, immer durchmischter und diverser. Das heißt, wir müssen eine Stimmung und eine Kultur in Teams herstellen, in der psychologische Sicherheit herrscht. Jeder Mensch sollte sich mit seinen Stärken und Schwächen so zeigen und einbringen können, wie er ist, damit das Team auch das optimale Ergebnis erzielen kann. Da stelle ich auch den Unternehmenserfolg in den Vordergrund, das ist mir wichtig. Denn das eine Thema ist natürlich: Jeder Mensch soll motiviert sein. Aber: Es muss am Ende auch ein erfolgreiches Unternehmen daraus entstehen. Insofern sind Führungskräfte erfolgreich mit ihren Teams, die verstehen, dass psychologische Sicherheit die Basis von allem ist.
RS: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ein Ort wie ST3AM ist – über die gute Atmosphäre innerhalb der Teams hinaus – auch darauf ausgelegt, Unternehmen untereinander zu vernetzen und diese gute Atmosphäre zu verbreiten. Das Community Building ist Bestandteil der Mietverträge. Denn gerade bei vielen kleinen Firmen kann man dieses tolle große Team nicht automatisch herstellen, das man vielleicht aus großen Unternehmen kennt. Bei ST3AM soll das möglich werden – in einem psychologisch sicheren Umfeld.
Ihr wart beide kürzlich mit Urve Liivak in Luxemburg bei „RTL today“ in „The Lisa Burke Show“. Das Thema war „The Power of our Surroundings for high performance“. Roland, Du sprichst im Interview mit Lisa Burke über den Dreiklang „Tech, Talents, Tolerance“ – das, was es braucht, um die Grand Challenges unserer Zeiten zu lösen. Und Du stellst eine steile These auf: Das Homeoffice kann Toleranz gefährden. Inwiefern?
RS: Wir leben, schon medial, in einer Zeit, in der sich viele Menschen in ihrer eigenen Bubble befinden – denken wir allein an die Social Media-Netzwerke, in denen man sich bewegt. Wenn Menschen das Haus aber nicht einmal zum Arbeiten verlassen, dann begegnen sie auch keinen anderen Menschen und lernen auch nicht andere, sehr unterschiedliche Perspektiven kennen. Wenn wir nicht lernen, auch andere Perspektiven zu respektieren, dann werden wir auch immer intoleranter. Im Office ist das anders: Man wird dort teilweise auch Toleranz lernen müssen. Denn dort macht man die Erfahrung, mit anderen Menschen zu arbeiten, Zeit mit ihnen zu verbringen und sich gut mit ihnen zu verstehen – auch wenn sie ganz anders sind als man selbst. Genau das bereichert uns. Diese Erfahrung wird man im Homeoffice nicht machen. Und auch in keiner Videokonferenz. Erst, wenn man real zusammenkommt, wird man Vertrauen aufbauen können. Und will man neue Ideen kreieren, Themen wie die Grand Challenges lösen, dann braucht es auch ein maximal tolerantes und diverses Umfeld. Das schafft keine Wissenschaft oder Disziplin allein. Man wird interdisziplinär, mit den unterschiedlichsten Menschen, Erfahrungen und Neigungen arbeiten müssen. Nur dann können komplexe Projekte rundum betrachtet und auch gelöst werden. Das muss gelernt, trainiert und eingeübt werden.
BFB: Das ist genau die Basis, die wir versuchen, bei WISTA aufzubauen und zu leben. Das möchten wir auch für ST3AM kreieren und weiterentwickeln – durch verschiedene Veranstaltungen, durch Schulungen, den Austausch mit anderen und durch die Hinzunahme anderer Perspektiven. Daran arbeiten wir täglich.
Wann wird ST3AM eröffnet?
RS: Voraussichtlich eröffnen wir im Juni. Dann werden die ersten Firmen einziehen können. Die 3D-Drucker werden sukzessive in Betrieb genommen.
Das Konzept von ST3AM ist aber nicht in Stein gemeißelt. Ist es ein Pilot?
RS: Man kann es so nennen, wobei es mehr ist als ein Pilot: Wir bringen über 20 Jahre Erfahrung ein, die uns gezeigt hat, wie Firmen arbeiten. Dennoch ist ST3AM eine Momentaufnahme. Es muss also nicht so, wie es jetzt ist, auch richtig und vollendet sein. ST3AM ist eine Basis, anhand der wir Erfahrungen sammeln und seine Arbeitswelten kontinuierlich weiterentwickeln können.
So etwas wie ST3AM gibt es nirgends auf der Welt. Also ist auch noch nicht erforscht, welchen Langzeiteffekt das Konzept wirklich hat: auf die Menschen, die dort arbeiten werden, auf die Qualität ihrer Arbeit und die Entwicklungen wichtiger Lösungen. Ihr wollt das aber messen. Wie genau?
RS: Wir haben dazu mit dem Fachbereich Psychologie der Humboldt-Universität ein Projekt initiiert: ST3AM soll die nächsten drei Jahre forschend begleitet werden. Teilweise werden die Mitarbeitenden des Projekts in ST3AM arbeiten, Seminare anbieten und selbst erleben, wie die Arbeit vor Ort verbessert werden kann – ob es den gesamten Komplex betrifft, einzelne Führungsstrukturen oder auch bestimmte Möbelstücke. Es werden also auch die Hersteller profitieren.
Ihr betont beide den Fokus auf menschenzentriertes Arbeiten, andererseits aber auch den Fokus auf Arbeitsergebnisse. Nun gibt es ja noch keine messbaren Effekte aus der Arbeit in ST3AM. Wie werdet Ihr in der Gewichtung weitermachen? In welche Richtung denkt Ihr?
RS: Grundsätzlich gilt: Wir sind eine wirtschaftsfördernde Einrichtung. Natürlich geht es uns um Ergebnisse. Aber strategisch sind wir zutiefst davon überzeugt, dass Menschen, denen ideale Rahmenbedingungen für Arbeit geboten werden – sprich: Räume, in denen sie sich wohl fühlen, sehr gut arbeiten, Leistungen erbringen können und zufrieden sind –, auch automatisch dazu führen wird, dass es jeder einzelnen Firma und dem gesamten Standort nützen wird.
BFB: Das denke ich auch: Es ist das menschenzentrierte Arbeiten, was uns vorwärts bringt. Das merken wir bereits in Vorstellungsgesprächen oder Gesprächen mit Unternehmen am Standort: Unser Ansatz ist zukunftsweisend und wird sehr geschätzt. Denn jeder Mensch weiß es zu schätzen, wenn er und seine Bedürfnisse im Fokus stehen.
RS: Das ist mitunter ein Grund, warum wir das Diversity Festival ausrichten. Diversität, Toleranz und Inklusion sind nicht nur Themen der Gerechtigkeit: Sie sind ein wirtschaftliches Erfolgsrezept und knallharte Wirtschaftsfaktoren. Nur mit ihnen können wir auch Lösungen liefern und wirtschaftlichen Erfolg haben.
Viel Erfolg mit ST3AM und danke für das Gespräch.
Das Interview führte Despina Borelidis.
Kontakt:
Roland Sillmann
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