Wie wird Vielfalt zum Unternehmenswert?
Interview mit Bessie Fischer-Bohn, Personalleiterin bei WISTA Management GmbH
Vielfalt in Unternehmen: dringend benötigt und mit viel Druck gefordert. Denn, so divers und vielfältig Deutschlands Gesellschaft auch ist: Die Wirtschaft, so heißt es, bilde sie noch wenig ab. Wir haben Nachholbedarf. Nicht zuletzt, weil auch die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland davon abhängt und damit auch: unser Wohlstand.
“Um an Werten zu arbeiten, muss man an Ängsten arbeiten”, sagt Bessie Fischer-Bohn, Personalleiterin bei WISTA Management GmbH. Was meint sie genau damit? Wie wird Vielfalt bei WISTA thematisiert? Wie wird sie abgebildet, wie vorangetrieben?
Wir haben sie interviewt.
Frau Fischer-Bohn, was assoziieren Sie mit dem Begriff Vielfalt?
Auf jeden Fall Chancen. Weil ich fest davon überzeugt bin, dass wir nur in vielfältigen Teams und Gesellschaften Spannung, Kreativität und Innovation erzeugen können. Nur darüber können wir uns auch insgesamt weiterentwickeln.
Nun wird Nachhaltigkeit und Vielfalt schon längst vom Startup bis Konzernen vorangetrieben. Wie sieht es bei einer Landesgesellschaft wie der WISTA aus? Seit wann ist Vielfalt hier ein Thema?
Ich denke, Vielfalt war bei der WISTA, wie auch bei anderen Unternehmen, immer mal wieder präsent. Bei uns lebt es aber seit drei Jahren stärker. Die äußeren Umstände begünstigten die Auseinandersetzung: Allein schon aufgrund des Generationswechsel und Fachkräftemangels müssen wir als Landesgesellschaft ein Bewusstsein für Vielfalt entwickeln. Das passiert aber nicht nur aus einer Not heraus: Wenn Teams beginnen, sich für Vielfalt zu interessieren, da aufspringen, es mitleben, entsteht eine Dynamik. Uns ist bewusst geworden, dass Vielfalt Spaß macht und wichtig für uns als Kollegium ist.
Warum liegt Ihnen Diversität persönlich so am Herzen?
Ich bin, wenn ich das so sagen kann, als "normales" Mädchen in einer typisch deutschen Mittelstandsfamilie aufgewachsen. Und in eben diese Erwartung und Schubladen geriet ich auch. Ab dem Augenblick, an dem ich aber Eigenschaften ausbildete, die dort nicht reinpassten, wurde ich von einer Minute zur nächsten anders betrachtet. Als an der Universität, beim Arbeitgeber oder im Team bekannt wurde, dass ich bisexuell bin, habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich sofort anders angesehen wurde. Weder positiv noch negativ – einfach anders.
Mit Andersartigkeit, beispielsweise einem Outing, geht in konservativen Unternehmen oft auch der Zweifel einher, ob die geoutete Person noch kompetent für den Job ist.
Zum Beispiel. Deswegen outen sich viele Personen auch gar nicht. Ich habe erlebt, dass ein Vorgesetzter vor vielen Jahren ein kleines Tattoo an meinem Knöchel entdeckte. Er fand das nicht gut. Ihm war auch lieber, Kunden würden das nicht sehen und schob hinterher: "Aber wenigstens bist Du nicht lesbisch". Eine solche Aussage ist nicht korrekt. Heute denke ich, es gibt viele Unternehmen, in denen eine Kultur herrscht, bei der klar ist: Dort können Mitarbeiter:innen offen sein, widersprechen, sich öffnen, sich outen. Wir haben aber viele Jahre in Unternehmen gearbeitet, in denen das gar nicht möglich war.
Damit so etwas geht, braucht es sicher erstmal Allyship aus der Führung selbst.
Ja, für gelebte Vielfalt in Unternehmen sind die Führungskräfte verantwortlich. Sie müssen für eine psychologische Grundsicherheit im Unternehmen sorgen. Es muss klar sein: Mitarbeiter:innen dürfen sich positionieren. Das ist gewünscht und dafür bekommen sie auch Rückenstärkung. Ich glaube – sowohl in der Gesellschaft als auch in den Unternehmen: Diese Werte müssen definiert, entwickelt und angeboten werden.
Wovon hängt es noch ab, ob Vielfalt im Unternehmen gelebt wird?
Es hängt vom Bewusstsein und der Haltung jeder einzelnen Person ab. Deswegen denke ich: Je mehr Vorbilder, je mehr Berührungspunkte, je mehr Kontakt es mit Andersartigkeit gibt, umso mehr werden wir uns auch als Gesellschaft weiterentwickeln können. Das habe ich für mich als Mission erkannt: diese Berührungspunkte für Andersartigkeit zu schaffen. Bei der WISTA habe ich das Glück und die Möglichkeit, sie auf verschiedensten Ebenen auszubauen, zu leben und anzubieten.
Nun kann man ja Vielfalt nicht einfach verordnen. Dasselbe gilt für eine Willkommenskultur. Beide Werte machen aber einen Wirtschaftsstandort attraktiv. Und Deutschland schneidet da aktuell nicht gut ab: "Ausländische Fachkräfte fühlen sich unwohl", titelte die Deutsche Welle kürzlich. Und bei Christian Lindners Besuch an einer Uni in Accra meldete sich kaum jemand auf seine Frage, wer sich vorstellen könne, in Deutschland zu arbeiten. Was sind Ihre Gedanken dazu?
Ich glaube, Deutschland hat sich lange auf dem Gedanken ausgeruht: "Wir sind attraktiv. Alle wollen zu uns." In Ländern wie UK oder den USA sind bunte, gemischte Gesellschaft längst normal. Dort leben Menschen aus anderen Herkunftsländern bereits seit drei Generationen als fester Teil der Gesellschaft. Das ist in Deutschland nicht so. Wir müssen uns eine Strategie überlegen, wie wir für Durchlässigkeit sorgen. Ob in der Gesellschaft, in Schulen oder in Unternehmen. Dahin kommen wir nur, wenn wir Punkte schaffen, an denen man sich trifft, sodass Vorbehalte und Ängste abgebaut werden können. Denn Willkommenskultur bedeutet ja, seine Arme zu öffnen. Das gelingt ohne Angst und wenn wir uns darüber bewusst werden, wie viel Positives Vielfalt mit sich bringt. Dazu braucht es Informationen. Es braucht Kontaktpunkte und Gelegenheiten in der gesamten Gesellschaft. Die müssen wir erst schaffen.
Die Gesellschaft ist ja bereits divers und vielfältig. Wie schaffen wir es denn, inklusiv zu werden? Wie kommt man von der Idee einer Willkommenskultur ins Handeln? Und was bedeutet das konkret für Belegschaft und Führungskräfte hier in Adlershof?
Es bedeutet, dass uns erstmal klar sein muss: Wenn wir weiterhin Teams besetzen wollen, wenn wir weiterhin erfolgreich forschen wollen, dann müssen wir beispielsweise Frauen in Forschung und Wissenschaft halten. Denn viele von ihnen verschwinden häufig nach dem Studium. Es bedeutet auch, dass wir attraktiv für ausländische Forscher:innen in Adlershof sein müssen. Dazu gehört, in den Belegschaften zu verankern, dass das vermeintlich Andere oder Fremde normal ist und dazugehört. Und, auch wenn es vielen nicht so bewusst ist: Adlershof ist hier ein positives Beispiel. Wir hatten schon immer internationale Forschende, Studierende und Gründer:innen. Wir müssen es vielleicht mehr zeigen, wie bunt wir sind. Dann rückt es auch ins Bewusstsein. Vielleicht werden so noch vorhandene Ängste oder Vorbehalte abgebaut.
Sie sprechen Geschlechtervielfalt an. Aktuelle Zahlen aus Deutschland zeigen: Frauen in Wissenschaft und Forschung sind weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Von einer"Leaky Pipeline in der Wissenschaft" ist die Rede, was bedeutet: Je höher sich eine Person auf der Karriereleiter befindet, umso mehr sinkt der Frauenanteil auf verschiedenen Qualifizierungsebenen und Karrierestufen. In einem aktuellen Spiegel-Interview wird die Historikerin Ute Frevert gefragt: “Warum verlassen so viele Frauen nach der Promotion die Hochschule?”. Als Mentorin begleiten Sie Studentinnen der Mathematisch- Naturwissenschaftlichen Fakultät an der Humboldt-Universität zu Berlin. Wie ist Ihr Eindruck?
Auch die Universitäten befinden sich in einem Kulturwandel. Gerade die naturwissenschaftlichen Studiengänge bemühen sich, mehr junge Frauen in die Studiengänge und Berufe zu bekommen. Es ist ihnen bewusst, dass da eine Riesen-Ressource an guten Abiturientinnen schlummert, die Interesse an MINT-Studiengängen haben. Aber es gibt noch immer viele männliche Tutoren und Professoren – dagegen wenige Frauen, die anderen als Vorbilder dienen können. Die Unis setzen viele Förderprogramme für junge Frauen auf. Ich sehe aber gleichzeitig den Bedarf, das Bewusstsein bei den verantwortlichen Personen weiter zu schärfen. Sie darin zu unterstützen, wie gemischte Teams geführt werden können. Das ist eher neu. Studentinnen wiederum können darin unterstützt werden, sich in einer eher männlich dominierten Welt zu behaupten und sie im positiven Sinne zu verändern. Ich kenne diesen Prozess aus meiner Zeit als Ärztin: Heute gibt es weitaus mehr Chefärztinnen als vor über 20 Jahren. Die typischen Männerdomänen ändern sich hier schrittweise und öffnen ihre Tore für mehr Frauen.
Welches Fragen erreichen Sie aktuell als Mentorin von Studentinnen?
Von Verzweiflung in der aktuellen Situation, weil sie sich in ihren Teams unwohl fühlen, bis hin zu Karrierefragen, beispielsweise: Was ist für mich ein erfolgsversprechender Zukunftsweg? Ist es eine wissenschaftliche Karriere? Oder könnte es eine Gründung sein? Denn, wie wir wissen, gibt es nur zwei bis drei Prozent Gründerinnen in technischen Berufen. In diesem Entscheidungsprozess berate und begleite ich junge Frauen.
Der “Scully Effekt”:
Ein Großteil der befragten Frauen, die die Serie Akte X schauten, strebten eine naturwissenschaftliche Ausbildung an. Das ergaben Studien. Das Phänomen nennt sich “Scully Effekt”. Namensgeberin ist die Akte X-Figur Dana Scully. Die Special Agent löste im Team mit ihrem Kollegen Fox Mulder mysteriöse Kriminalfälle. Sie war wissenschaftlich ausgebildet, hatte Physik und Medizin studiert, war später beim FBI und spezialisierte sich auf forensische Pathologie. Im Team übernahm sie den rationalen Part. Ihre Denke basierte auf Wissenschaft, Fakten und Formeln.
Welche Rolle spielt hier die WISTA: Ist sie Enabler? Mit welchen konkreten Formaten befähigt sie Frauen in MINT?
In erster Linie betreibt die WISTA den Technologiepark Adlershof. Das heißt, wir siedeln junge Unternehmen in den Gründungs- und Technologiezentren an. Dabei versuchen wir, innovative Themen aufzugreifen und sie auch aktiv zu setzen. Dadurch, dass wir die Universitäten und außeruniversitären Institutionen am Standort haben, erhalten wir aktuelle Informationen aus erster Hand. Die WISTA bündelt diese Informationen und schmiedet neue Partnerschaften. Um mehr Frauen in MINT-Berufe zu bringen, setzen wir schon an der Basis an: Unter anderem entwickeln wir Programme für Schülerinnen – eines greift sogar EU-weit. Darüber werden beispielsweise für Schülerinnen Praktikumsplätze in den Adlershofer Unternehmen geschaffen. Darüber hinaus gibt es ein Mentorenprogramm, das junge Frauen an Universitäten unterstützt. Der Female Founders Club und andere Programme richten sich unterstützend an Gründerinnen in technischen Berufen.
Was denken Sie: Was sind die wahren Gründe, weswegen sich Unternehmen nach wie vor scheuen, Vielfalt wirklich zu leben? Und sich nicht nur vermeintlich zu positionieren, zum Beispiel mit einer Regenbogen-Flagge zum Pride Month?
Ich glaube gar nicht mal, dass sich Unternehmen scheuen, divers zu sein. Viele beginnen mit oberflächlichen Maßnahmen, stoppen sie aber schnell wieder, weil sie denken, es reiche. An dieser Stelle brauchen solche Unternehmen vielleicht jemanden, der sie darauf hinweist, dass Etiketten eben nicht reichen. Das kommt weder in der Belegschaft noch gesellschaftlich an. Man muss sich überlegen, was wirklich die Veränderung ausmacht. Veränderung bedeutet, die Werte von Vielfalt zu leben. Sich, wie im eingangs genannten Beispiel, bewusst zu machen: An welchen Punkten im Unternehmensalltag kann man als Vorgesetzte:r, als Kollege, als Kollegin wirklich Flagge zeigen? Wie reagiert man, wenn man persönlich betroffen ist? Und wie, wenn man Situationen beobachtet, in denen sich andere unwohl fühlen? Für diese ganzen kleinen Momente braucht es Mut. Und ich denke, es scheitert vielfach noch an fehlendem Mut.
Ein Zitat von Ihnen lautet “Um an Werten zu arbeiten, muss man an Ängsten arbeiten”. Dazu gehören auch klare Worte. Welche Rolle spielt Mut für Vielfalt in unserer Sprache?
Wir verstecken uns oft hinter Worten wie “Unconscious Bias”, “Diversity” oder Beschreibungen wie “außerhalb der Comfortzone”. Ich finde, “Vorurteile” trifft es da besser. Das Wort ist aus der Mode gekommen. Man kann sagen: Jeder Mensch hat einfach internalisierte Vorurteile. Wenn wir nicht den Mut fordern, sie infrage zu stellen und Menschen mit ihnen zu konfrontieren – “Konfrontation” ist auch so ein hartes Wort – dann können wir den eigenen Vorurteilen nicht auf die Schliche kommen. Ich beobachte in Workshops, wie spannend genau das ist: wie mutig sich Mitarbeitende ihren eigenen Vorurteilen stellen. Veränderung ist immer Mut. Es bedeutet, sich rauszubewegen, das System, in dem man aufgewachsen ist – und auch sich selbst – infrage zu stellen. Ehrlich gesagt: Wenn wir als Wirtschaftsstandort bestehen wollen, dann kommen wir um diesen Prozess nicht drum herum. Das ist ein Hard Fact – kein Soft Fact. Wir müssen uns also überlegen, in welchen Formaten wir diese Hard Facts an die Unternehmen und die Mitarbeitenden herantragen können.
Wie fallen denn die Reaktionen aus Ihren internen Formaten aus, beispielsweise in WISTAs Workshops gegen internalisierte Vorurteile?
Insgesamt kann ich sagen: Wenn sich Mitarbeitende öffnen, entwickeln sich Unternehmenskultur, Unternehmenswerte und der kollegiale Zusammenhalt sehr positiv. Die Kultur wird durchlässiger und offener. Man lernt sich persönlich anders kennen. Es finden Begegnungen statt und Gespräche, die man nicht mal eben in der Kaffeepause führt. Man bindet sich auch ehrlicher. Und Ehrlichkeit ist die Basis, um an Vielfalt zu arbeiten.
Ein schöner Schlusssatz. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Fischer-Bohn.
Das Interview führte Despina Borelidis
Die WISTA widmet Vielfalt einen ganzen Tag!
Kommen Sie zum Diversity Festival am 7. Juni im Technologiepark Adlershof!
Es erwarten Sie spannende Keynotes, versierte Speaker und tiefergehende Masterclasses rund um Vielfalt!
Über Bessie Fischer-Bohn
Bessie Fischer-Bohn ist seit März 2019 Personalleiterin bei WISTA Management GmbH. Die studierte Humanmedizinerin arbeitete zunächst als Ärztin und Psychotherapeutin, bevor sie in die Wirtschaft ging. Heute verbindet sie Wirtschaft und Psychologie bei ihrer täglichen Arbeit. Als HR Expert verankert sie Qualitätsmanagement und Nachhaltigkeit für eine stabile und zukunftsorientierte Organisations- und Personalentwicklung. Fischer-Bohn arbeitet außerdem als freie Executive Consultant und begleitet Organisationen in Transformationsprozessen. Für die Humboldt Universität begleitet sie MINT- Wissenschaftlerinnen als Mentorin in Female Leadership. Als zertifizierte Auditorin, Mediatorin und Systemische Coach berät sie auch in privaten und beruflichen Zielsetzungen.
Kontakt:
Bessie Fischer-Bohn
fischer-bohn(at)wista.de
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