Wissenschaftler – versteckte Popstars
Warum Forscher nicht so gehypt werden wie Musiker oder Sportler
Essay von Paulina Czienskowski, freie Journalistin, die für die Welt am Sonntag, stern, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Berliner Morgenpost schreibt.
Zu Beginn ein kleines Quiz: Wer ist Takaaki Kajita? Oder Aziz Sancar? Satoshi Omura? Na? Keine Ahnung? Vermutlich gibt es einige, denen diese Namen auf Anhieb nichts sagen. Um es abzukürzen: Diese Herrschaften sind Wissenschaftler in Physik, Chemie und Medizin. Warum gerade sie nun so bekannt sind? Sie alle sind Nobelpreisträger seit dem vergangenen Jahr.
Der Japaner Takaaki Kajita zum Beispiel ist ein Physiker, der die sogenannten Neutrinooszillationen entdeckt hat. Sie zeigen, dass Neutrinos eine Masse haben. Am Kamiokande und dessen Nachfolger Super-Kamiokande führt er Neutrinoexperimente durch. Diese komplizierten Wörter in Folge klingen für Laien wie kryptischen Fetzen. Dabei betreffen naturwissenschaftliche Abläufe auch sie, zumindest umgeben sie jeden in irgendeiner Form. Das ist zwar klar, wirklich beschäftigen tut das trotzdem die wenigsten. Solange sich die Welt weiterdreht, ist alles gut.
Wissenschaftler: Das sind doch die, die ewig lange und ganz allein in irgendwelchen Laboren hocken. Da testen sie dann zunächst unerklärliche Dinge, schauen stoisch nach draußen in den Himmel oder messen ein undefinierbares Teilchen, das unter der Linse ihres Mikroskops liegt.
Das sind die Nerds und Eigenbrötler, die Spinner und Außenseiter. Solche Menschen, die sich ohne Unterlass mit einer meist ungreifbaren Sache beschäftigen, deren Ergebnisse später kaum oder nur selten an die breite Masse getragen werden – das sind Wissenschaftler.
Ihre Manie für das jeweilige Forschungsfeld führt bei Ahnungslosen genau zu solchen klischeehaften Gedanken, während Sportler oder Sänger für ihre Passion bewundert werden. Dabei sind auch das Menschen, die sich mit Hingabe einer Sache widmen. Vielleicht ist die Ansicht, die Personen mit besonderem Interesse in zwei Lager teilt, ein Relikt aus unserer Schulzeit.
Außer Albert Einstein und Charles Darwin gibt es wenig Naturwissenschaftler, die so bekannt sind wie Usain Bolt oder Lady Gaga. Wegen dieser alten Wissenschaftlergarde wurden Bücher umgeschrieben. Heute baut die Forschung meist auf dieses bereits vorhandene Wissen auf. Jemand wie Ranga Yogeshwar ist zwar auch Physiker, gilt aber mehr als Moderator mit flachem Fachwissen denn als möglicher Nobelpreisträger.
Richtige Wissenschaftler stehen nicht auf Bühnen oder agieren exaltiert. Sie reißen sich nicht die Kleider vom Leib wie manch skandalöser Popstar. Kein Polarisieren, kein Werben für Produkte, die schön machen sollen. Wissenschaftler tüfteln wochenlang, Monate, Jahre irgendwo unter ihresgleichen. Um dann irgendwann der Welt so etwas zu sagen wie: „Da gibt es etwas in der Atmosphäre, das niemand mit bloßem Auge sieht. Aber es ist da. Und es ist wichtig für die Welt.” Fast schon selbstlos, könnte man meinen.
Der breiten Masse fehlt ganz offensichtlich die direkte Identifikation mit Elementarteilchen oder Neuronen. Die wenigsten können schließlich spontan eine Theorie definieren. Über Helene Fischer urteilen kann dagegen wohl jeder. Musik, Sport und Kunst sind schlichtweg unsere kleinsten gemeinsamen Nenner. Jeder kann eine Meinung darüber haben, ob die Leistung des diesjährigen Oscar-Gewinners nun gut ist oder nicht.
Natürlich schreitet der eigene Geschmack da allem voran. Man muss nicht fähig sein, das Handwerk des Profis zu bewerten oder die Wichtigkeit des Beitrags für eine Kultur. In einem Satz: Kein Fachwissen nötig. Damit verrät man also indirekt seine Ahnungslosigkeit und die ist bekanntermaßen unästhetisch.
Viel ästhetischer ist doch die Tatsache, dass ein Mensch mit Leidenschaft äußerst attraktiv ist. Ob nun als Sänger oder Wissenschaftler. Jemand, der irgendwie besessen ist und für eine bestimmte Sache brennt. Vielleicht gibt es also doch irgendwann einen Physiker, der zu einer Art Popstar ernannt wird. Wenn Takaaki Kajita der breiten Masse bekannt ist, könnte sein Name dann vielleicht sogar in einer Quizshow zum Erfolg führen.