Zukunft: Was es zu bedenken gilt
Essay von Prof. Dr. Eckard Minx, Experte für Zukunftsforschung, Innovationsmanagement und Organisationsentwicklung
Andy Grove, ehemaliger CEO von Intel, hat einmal festgestellt: „Was morgen sein wird, ist mit großer Wahrscheinlichkeit das, was wir heute übersehen.“ Ich möchte hinzufügen: Vermutlich galt 90 Prozent dessen, was wir heute als Realität wahrnehmen, vor nicht allzu langer Zeit als absolute Spinnerei. Nassim Nicolas Taleb hat in seinem Buch „Der Schwarze Schwan“ die Bedeutung höchst unwahrscheinlicher Ereignisse sehr eindrücklich beschrieben. Woraus die Konsequenz zu ziehen ist: das Unmögliche als möglich zu denken.
Zukunft wird durch heutiges Handeln geformt und gestaltet, gleichsam produziert. Durch heutiges Tun wird das Möglichkeitsspektrum für zukünftiges Handeln erweitert oder verengt. Aus einer Vielzahl alternativer Möglichkeiten entwickeln sich nur bestimmte Pfade. Daraus resultiert die Verantwortung der heute Handelnden für die Gestalt und Qualität der Zukunft.
Visionen und mögliche Zukunftspfade gehören zum Bestand kollektiver Vorstellungen in einer Gesellschaft. Indes wird einem bei manchen Entscheidungen wohl bewusst, dass es viele Wege in die Zukunft gibt; aber welchen wir davon beschreiten, hängt von der jeweiligen „Weltsicht“ ab. Faktenwissen ist dafür unabdingbar, doch muss vermehrt Orientierungswissen, warum etwas der Fall ist, hinzukommen. Und: Ein übergreifendes Denken ist gefordert, bei dem richtig oder falsch nicht in jedem Fall einen Gegensatz beschreibt.
Eine umfeldbezogene Zukunftsschau sucht nicht anzugeben, wie Realitäten aussehen sollten, sondern wie sie werden könnten. Drei Aspekte sind in diesem Zusammenhang hervorzuheben:
- Wir werden die Zukunft zwar nie voraussagen können, aber vorbeugendes Nachdenken ist eine der Voraussetzungen für vorbeugendes Handeln: „Denken auf Vorrat“ lautet daher die Devise.
- Entwicklungen früher als Wettbewerber zu erkennen, ist eine der Erfolgsvoraussetzungen unternehmerischen Handelns.
- Innovative Unternehmen nutzen Visionen, um die Bedarfe von morgen zu antizipieren und mitzuprägen.
Welche Methoden stehen nun zur Verfügung, um mögliche künftige Entwicklungen im Vorhinein zu denken bzw. durchzuspielen? Zu den bewährten Methoden zählt das „Zukunftslabor“, dessen zentraler Baustein die Szenariotechnik ist, mit der mehrere denkbare Zukunftswelten, die Pfade dorthin und die Hauptantriebskräfte beschrieben werden können. Zukunftslabore können für ein weites Spektrum von Fragestellungen eingesetzt werden, wie z. B. die Entwicklung unternehmerischer Visionen, die Stimulation von Ideenfindungsprozessen, die Entwicklung geschäftsfeldspezifischer Strategien oder die Produktfolgenabschätzung.
Nachhaltiger Unternehmenserfolg lässt sich nur erzielen, wenn es Unternehmen gelingt, eine langfristige strategische Position aufzubauen, die auf eine Differenzierung der eigenen Tätigkeiten von denen der Wettbewerber baut. Einer der zentralen Erfolgsfaktoren für eine solche Differenzierungsstrategie liegt darin, den zukünftigen Wandel frühzeitig zu antizipieren und mit möglichst einzigartigen Kombinationen von Innovationen und Geschäftstätigkeiten zu gestalten.
Es gibt eine Vielzahl von guten Argumenten, die sich besonders intensiv der Zukunftsfrage annehmen. Ein Management unter Ungewissheit kalkuliert und akzeptiert, dass seine Zukunftsbilder bzw. Erwartungen trügen können. Mit dieser Situation gilt es sich zu arrangieren, ohne in Beliebigkeit zu verfallen. Für den entscheidenden Schritt der Zukunftsgestaltung, das gestaltende Tun, gilt die nachfolgende Annahme: „It is better to be vaguely right than to be precisely wrong“ (Karl R. Popper).
Prof. Dr. Eckard Minx ist Experte für Zukunftsforschung, Innovationsmanagement und Organisationsentwicklung. Er ist Vorstand bei der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung.