„Adlershof wird niemals 'fertig' sein“
Ingolf V. Hertel gehört zu den Pionieren des heute prosperienden Technologieparks Adlershof. 1992 wurde der Experimentalphysiker als einer der drei Direktoren ans Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) berufen. Im September 2009 wird er emeritiert. Rasten will er aber nicht: Ab Januar wird er als "Wilhelm und Else Heraeus-Seniorprofessor" für die Weiterentwicklung der Lehrerausbildung im Fach Physik im Rahmen des neuen ProMINT-Kolleg an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) tätig sein.
Adlershof Journal: Welche Aufgabe sahen Sie 1992 als vordringlich an? Was hat Sie an Adlershof gereizt?
Ingolf V. Hertel: Es war einfach eine einzigartige Herausforderung, an der Neugestaltung der Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern an einer so prominenten Stelle mitzuwirken. Da galt es zum einen, das Max-Born-Institut aufzubauen, zum anderen aber auch konkrete Schritte für die Entwicklung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts Adlershof insgesamt in die Wege zu leiten.
AJ: Die Überführung der wissenschaftlichen Institute der einstigen Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) in die bundesdeutsche Forschungslandschaft war keine leichte Aufgabe. Wie beurteilen Sie diesen Prozess aus heutiger Sicht?
Hertel: Das war in der Tat keine leichte Aufgabe. Der Wissenschaftsrat hatte ja lediglich einige wichtige Themenfelder grob umrissen, auf denen wir arbeiten sollten. Was wir 1992 vor Ort vorfanden, war auf der einen Seite eine ziemlich desolate Infrastruktur (sowohl aus städtebaulicher und gebäudetechnischer, wie auch aus wissenschaftlicher Sicht), auf der anderen Seite (vom Wissenschaftsrat als "erhaltenswerte Potenziale" identifiziert) ein Stamm von zum Teil hervorragend ausgebildeten, klugen und engagierten Wissenschaftlern, die trotz schwierigster Arbeitsbedingungen den Anschluss zur internationalen Wissenschaft in gewissem Umfang hatten halten können. Sie waren aber völlig anders sozialisiert, als dies für ein erfolgreiches Bestehen im westlich dominierten, internationalen Wissenschaftssystem unverzichtbar war. Wissenschaftliche Eigenständigkeit z. B. war in der AdW unerwünscht – für eine erfolgreiche Forschertätigkeit, wie wir sie uns heute vorstellen, ist sie aber natürlich essentiell.
Die Infrastruktur, die in den letzten 17 Jahren hier aufgebaut wurde – von Bund und Ländern finanziell intensiv unterstützt – kann man heute besichtigen: Sie ist auf den Schwerpunktsfeldern der Adlershofer Forschung mit den Top- Wissenschaftsstandorten der Welt durchaus konkurrenzfähig. Im personellen Bereich galt es, wie ich es damals formuliert habe, fachliches Wissen, Gründlichkeit, Improvisationskunst der Kollegen aus den AdW Instituten mit den typischen Tugenden der im westlichen System aufgewachsenen Wissenschaftler zu kombinieren: Ehrgeiz, Neugier, Risikobereitschaft, Frustrationstoleranz und auch gewisse Qualitäten beim Management und Bekanntmachen der eigenen Arbeit – sowohl in der eigenen wissenschaftlichen Community, wie auch hin zu einer breiteren Öffentlichkeit, also beim "Outreach", wie man das heute auf Neudeutsch nennt.
Dass diese Integration gelungen ist, kann man am besten an den wissenschaftlichen Leistungen ablesen – und die können sich wirklich sehen lassen, gemessen an allen Parametern, mit denen man heute wissenschaftliche Leistungen bewertet: sei es die große Zahl von Publikationen in führenden wissenschaftlichen Journalen, seien es die zahlreichen Einladungen zu internationalen Kongressen an Adlershofer Wissenschaftler und ihre Mitwirkung in nationalen und internationalen Gremien, oder auch umgekehrt, die Gastaufenthalte renommierter Wissenschaftler aus aller Welt in Adlershof. Auch die Erfolge bei der zunehmend wichtiger werdenden Drittmitteleinwerbung kann man nennen, und, keineswegs selbstverständlich, Patente und Ausgründungen sowie eine erfolgreiche Kooperation mit den innovativen Unternehmen am Standort Adlershof (aber auch weit darüber hinaus). Schließlich bestätigen auch kontinuierliche externe Evaluierungen im "Peer Review" den Adlershofer Forschungseinrichtungen immer wieder höchste Leistungsfähigkeit.
AJ: Im März 1991 fiel die Entscheidung, in Berlin Adlershof eine „integrierte Landschaft aus Wirtschaft und Wissenschaft“ aufzubauen. Hatte man Ihrer Meinung nach damals schon konkrete Vorstellungen darüber, wie das bewerkstelligt werden kann?
Hertel: Das war in der Tat ein wegweisender, ja visionärer Beschluss, den der Berliner Senat damals gefasst hat – Ausgangspunkt für die gesamte, einzigartige und erfolgreiche Entwicklung von Berlin Aldershof als Wissenschafts-, Wirtschafts- (und später auch Medienstandort). Ich glaube aber nicht, dass auch nur einer der verantwortlichen Politiker und Administratoren damals eine konkrete Vorstellung davon hatte, was das im Einzelnen bedeuten würde – und das ist wohl gut so, denn vielleicht wäre der Beschluss sonst gar nicht zustande gekommen.
Man muss sich das richtig vor Augen führen: 5.600 Wissenschaftler, Techniker und sonstiges hochkarätiges Personal, deren bisherige Lebensperspektive an der AdW in einem ruhigen Forschungsbetrieb in staatlich gesicherten Verhältnissen bis zur Rente bestand. Denen teilt man auf Empfehlung des bundesdeutschen Wissenschaftsrats gegen Ende 1991 mit, dass nur 1.500 von ihnen in den neu zu gründenden Forschungseinrichtungen wieder eine Aufgabe finden würden. Der Rest möge sich bitte damit beschäftigen, wie man Unternehmen gründet. Und das aufbauend auf einer Erziehung, in der freies Unternehmertum als etwas grundsätzlich Übles diffamiert war!
Man stelle sich das einmal am Forschungszentrum Karlsruhe oder Jülich vor – von Aufgabe, Struktur, Personenzahl, und Größe des Areals her durchaus vergleichbar mit der ehemaligen AdW in Adlershof. Nicht auszumalen, zu welchen Blockaden, ja Revolutionen das geführt hätte. In Adlershof dagegen wurde diese Zumutung und zugleich Vision innerhalb weniger Jahre mit konkreten Strukturen hinterlegt, wobei sich die Entwicklung am Anfang (fast) unbemerkt von der Öffentlichkeit vollzog -- mit erstaunlichem, auch wirtschaftlichem Erfolg! Ein Pionier- und Vorzeigeexperiment für alle ähnlichen Versuche in der ehemaligen DDR, ja im gesamten Osten Europas. Nicht zuletzt auch deshalb von Erfolg gekrönt, weil die gesamte Berliner Politik unbeirrt zu diesem Projekt gestanden und es wo immer möglich und nötig unterstützt hat – über alle Parteigrenzen und Ressortinteressen hinweg, und unbeschadet sonstiger politischer Turbulenzen der vergangenen fast zwei Jahrzehnte. Das muss hier einmal lobend erwähnt werden.
Aber vorstellen konnte sich das am Anfang niemand wirklich. Was es z. B. bedeutet, wissenschaftliche Spitzenleistung mit Präzisionsinstrumenten zu erzielen, wenn bei laufendem Betrieb alle Gebäude umfassend saniert werden, ein ganzes Straßennetz neu angelegt werden muss, wenn die Dampframme nebenan wummert, während die Laserspiegel justiert oder Magnete auf 1000stel mm ausgerichtet werden müssen, wenn stündlich mit Stromausfällen zu rechnen ist, weil neue Leitungen gelegt werden oder ein Bagger mal wieder zufällig ein Kabel gestreift hat. Und so weiter – die eigentliche Geschichte dieses Aufbaus muss erst noch geschrieben werden.
AJ: Noch im Jahr 1992 wurde die Initiativgemeinschaft außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in Adlershof (IGAFA) gegründet. Inwieweit reichte die Zielsetzung dieses Vereins über die Interessenvertretung der Wissenschaft hinaus?
Hertel: Es ging doch vor allem darum, bei der Realisierung dieses visionären Projekts Adlershof Wissen und Erfahrung, die in vielfältigen Formen und Personen in den Forschungsinstituten verfügbar waren, auch wirklich einbringen zu können. Es ging darum, vielfältige Partikularinteressen auf ein gemeinsames Ganzes hin zu verpflichten und dafür zu sorgen, dass aus Adlershof nicht ein x-beliebiger Gewerbepark wurde. Es ging um die Schaffung der Grundlagen für die Entstehung eben dieser „integrierten Landschaft aus Wirtschaft und Wissenschaft“. Das war nur möglich, wenn die Wissenschaft (und das waren damals am Standort die außeruniversitären Forschungseinrichtungen) mit einer, entsprechend kraftvollen, Stimme sprechen konnten. Die Organisationsstruktur am Standort war 1992 ja alles andere als geordnet, und das kohärente Zusammenwirken der vier oder fünf zuständigen Senatsverwaltungen musste, sagen wir es einmal vorsichtig: "regelmäßig eingefordert werden". So hat die IGAFA von Anfang an einen städtebaulichen Wettbewerb gefordert, der dann im September 1993 wirklich stattfand und Basis für das heutige "Stadtbild" von Adlershof wurde. Natürlich haben wir daran mitgewirkt und u. a. dafür gesorgt, dass die neuen Straßen nicht gerade durch wichtige Bestandsgebäude führten, und dass eine insgesamt wissenschafts- und wirtschaftsfreundliche Umgebung entstand, in der auch Kooperation entstehen konnte. 1994 haben wir westlich bei der Gestaltung und Gründung der heutigen WISTA-MANAGEMENT GMBH mitgewirkt und dabei auf eine effiziente Organisationsstruktur geachtet. Und immer wieder haben wir darum gerungen, dass die Naturwissenschaften der Humboldt Universität wirklich nach Adlershof ziehen würden. Dazu muss man wissen, dass erst 1997 vom Berliner Senat dafür die finanzwirksamen Beschlüsse gefasst wurden. Nur sechs Jahre später, im Jahr 2003, war der Umzug abgeschlossen.
Natürlich galt es gelegentlich auch wissenschaftsspezifische Interessen zu vertreten: wenn es etwas darum ging, ob auf dem privaten Kapitalmarkt auch Grundstücke beliehen werden könnten, auf denen öffentliche Forschungsinstitute in Gebäuden arbeiteten, die aus Bundes- und Landesmitteln saniert oder errichtet worden waren. Oder bei der technischen Ausgestaltung von Straßen oder Trambahntrassen in der Nähe hoch sensibler wissenschaftlicher Anlagen. Aber auch dies geschah letztlich im wohlverstandenen Interesse von Adlershof insgesamt.
Man kann ohne jede Übertreibung sagen, dass die IGAFA mit der gebündelten Kraft und Kompetenz ihrer Institute (aber im Hintergrund auch mit tatkräftiger Unterstützung durch die zuständigen Bundesministerien) wesentlich zur Entwicklung von Adlershof beigetragen hat. Natürlich war dazu auch eine enge Zusammenarbeit mit den Firmen am Standort erforderlich, die ich ausdrücklich erwähnen möchte, und selbstverständlich auch mit der WISTA-MG. Diese Zusammenarbeit war von Anfang an gut und meist harmonisch, wenn es auch gelegentlich Meinungsverschiedenheiten über den besten Weg zum Ziel zu überwinden galt. Und natürlich darf hier nicht vergessen werden, dass spätestens seit 1997 auch die Humboldt-Universität ein starker, zunehmend mit gestaltender Partner beim Aufbau von Adlershof war und dies auch in Zukunft sein wird.
AJ: Als Berliner Wissenschaftsstaatssekretär forcierten Sie 1998 den Umzug der naturwissenschaftlichen Institute der Humboldt-Universität zu Berlin nach Adlershof. Wie eng sehen Sie Universität und außeruniversitäre Forschung heute am Standort verknüpft?
Hertel: Sehr eng. Neben den zahlreichen gemeinsamen Berufungen von Institutsleitern und Professoren an der HU, gibt es viele Forschungsthemen, wo universitäre und außeruniversitäre Gruppen zusammenarbeiten, so auch in mehreren Sonderforschungsbereichen der deutschen Forschungsgemeinschaft. Wir haben gemeinsam die Hauptforschungsthemen der Adlershofer Wissenschaft identifiziert (kurz: Licht, Materialien, Modelle), wir organisieren gemeinsam viele Veranstaltungen von übergeordnetem Interesse, Doktoranden der HU können ihre experimentellen Arbeiten auch in den außeruniversitären Instituten anfertigen, es gibt einen regen Austausch in der Lehre. Die Forschungsinstitute beteiligen sich an den Kosten für die Bibliothek und die Zeitschriftenabonnements. In jüngster Zeit gibt es zunehmend auch Berufungen von Professuren an die HU, die eine zusätzliche Ausstattung in außeruniversitären Instituten erhalten – was solche Stellen natürlich besonders attraktiv für hochkarätig Wissenschaftler macht.
AJ: Sehen Sie Ihre Ziele nach 17 Jahren Aufbauarbeit in und für Adlershof erfüllt? Welche war die größte Herausforderung, mit der Sie sich in dieser Zeit konfrontiert sahen?
Hertel: Adlershof hat sich hervorragend entwickelt. Aber ein solcher Standort wir niemals "fertig" sein. Adlershof wir weiter wachsen und einen der vorderen Plätze unter den Top Wissenschafts- und Hightech-Standorten der Welt belegen. Ich denke, dass ich dazu einen Beitrag in den Aufbaujahren leisten konnte, und das gibt mir ein gutes Gefühl nach 17 Jahren harter Arbeit. Eigentlich war jeder neue Tag eine Herausforderung. Dabei waren die Anfangsjahre sicher die schwierigsten, und die größte Herausforderung war es wohl, Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung (aber auch unter den Kollegen an anderen Standorten in Berlin und sonst wo in Deutschland) davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, an diesem Ort zu investieren: Idealismus, persönliches Engagement und auch Geld.
AJ: Der HU ist es leider nicht gelungen, im Exzellenzwettbewerb den Sprung in die Riege der Spitzenuniversitäten zu schaffen. Welche Auswirkungen hat das Ihrer Meinung nach auf Adlershof? Wie sehen Sie den Standort im Exzellenzwettbewerb heute positioniert?
Hertel: Adlershof ist ein Spitzenstandort der Wissenschaft, der sich durchaus mit vielen Standorten messen kann, die eine der begehrten Trophäen errungen haben. Vielleicht haben wir uns einfach unter den gegebenen Umständen nicht geschickt genug angestellt. Dabei muss man sehen, dass die vom Exzellenzwettbewerb geradezu geförderte Konkurrenz zwischen den Universitäten für die Berliner Forschungslandschaft sehr kontraproduktiv war: hier ist schon vor der Wende aber vor allem auch in den letzten 20 Jahren eine Kultur der Kooperation entstanden, die ihresgleichen sucht, und die durch den Wettbewerb eher gestört als gefördert wurde. Ich bin zuversichtlich für die nächste Runde, aber man sollte den Exzellenzwettbewerb auch nicht überschätzen. Er ist einer von vielen Wettbewerben, in denen wir uns weltweit täglich bewähren müssen.
AJ: Höhepunkt des Adlershofer Jubiläumsjahres ist das Symposium „Licht – Materialien – Modelle“ am 7.und 8. September. Wen und was dürfen wir dort erwarten?
Hertel: Humboldt Universität und IGAFA organisieren dieses Symposium rund um die Adlershofer Forschungsschwerpunkte gemeinsam. Wir wollen dabei einen Überblick geben, über das, was die Adlershofer Forschung zu bieten hat. Dazu haben wir am 7. September auch hochkarätige auswärtige Gäste eingeladen, u. a. den Physiknobelpreisträger des Jahre 2007, Peter Grünberg, die gewissermaßen mit einer auswärtigen Sicht auf diese Themen einen Auftakt geben. Am späten Nachmittag, so haben es die Kollegen beschlossen, findet dann ein Festkolloquium anlässlich meiner Emeritierung statt. Am 8.9. werden in vier Symposien besondere Schwerpunkte Adlershofer Forschung beleuchtet, überwiegend vorgetragen von herausragenden jungen Adlershofer Wissenschaftlern. Eine Posterausstellung erlaubt es den Forschungsinstituten und der Universität, sich auch darüber hinaus vertiefend zu präsentieren und darüber zu informieren, was in Adlershof alles geforscht wird.
AJ: Sie waren Gründungspräsident der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz, Berliner Wissenschaftsstaatssekretär, Vorsitzender des Adlershofer Beirats, um nur einige Ihrer Funktionen zu nennen: Was hat Sie bewogen, sich auch politisch für die Wissenschaft zu engagieren?
Hertel: Ich könnte jetzt sagen, dass ich schon sehr früh in meiner Karriere erkannt habe, dass exzellente Wissenschaft heute kaum noch ohne förderliche Rahmenbedingungen geschehen kann. So war ich schon 1969 Assistentenvertreter in der Universität Mainz und wurde 1970 mit 29 Jahren erster Dekan im Fachbereich Physik der neu gegründeten Universität Kaiserslautern. In meiner weiteren Karriere haben sich dann solche Aufgaben immer wieder angeboten, und ich habe mich nicht gescheut, sie zu übernehmen – so auch die von Ihnen genannten. Ich denke aber, es hat mir einfach Freude gemacht, etwas Größeres zu bewegen, was für die Wissenschaft wichtig ist. Ich habe das immer mit großer Hartnäckigkeit, Intensität und offenbar mit einem gewissen Geschick betrieben, denn in vielen Fällen war ich dabei erfolgreich. Dabei ist es dann gar nicht so entscheidend, ob das nun der Aufbau einer komplizierten Apparatur ist oder ob man die Grundlagen für ein neues Arbeitsgebiet legt, eine Zeitschrift herausgibt, in wissenschaftlichen Gremien tätig wird oder öffentliche Ämter übernimmt.
AJ: Von Januar 2010 an sind Sie Seniorprofessor im ProMINT-Kolleg der HU. Welche Aufgaben werden Sie wahrnehmen? Was haben Sie sich vorgenommen?
Hertel: Ich will noch einmal etwas Neues beginnen, das ich für außerordentlich wichtig halte: Wir haben in Deutschland viel zu wenig naturwissenschaftlich, technischen Nachwuchs und ein Großteil der Bevölkerung verbindet Naturwissenschaften und Technik – namentlich die Physik – mit unverständlichen, schwierigen, ja geheimnisvollen Inhalten und Aktivitäten, wenn nicht gar mit Teufelszeug. Dabei bilden diese Wissenschaften die Grundlage unserer heutigen industriellen Gesellschaft, deren Komfort und Lebensqualität wir alle schätzen und selbstverständlich in Anspruch nehmen. Und nach wie vor gilt heute jemand, der nie etwas von Goethe gelesen hat, als zutiefst ungebildet. Aber wenn jemand lachend kundgibt, in Mathematik sei er schon immer schlecht gewesen und mit Einsteins E=mc² oder gar den Grundlagen der Quantenmechanik könne er nichts anfangen, findet er verständnisvolles Nicken.
Dies liegt, so meint die Wilhelm und Else Heraeus Stiftung, die diese Professur sponsert, auch an der schlechten Physikausbildung in unseren Schulen. Zulange haben wir dem Lehrerberuf in den Naturwissenschaften eine viel zu geringe Aufmerksamkeit und Bedeutung gewidmet. Das ProMINT Kolleg will daran arbeiten, diese Ausbildung zu verbessern und ich möchte mein Engagement und meine lebenslange Erfahrung als Wissenschaftler und Wissenschaftsmanager dabei einbringen.
AJ: Und zu guter Letzt: Welche Pläne hat der Privatmann Hertel?
Hertel: Ich weiß gar nicht, ob es diesen Privatmann wirklich gibt. Ich schreibe weiterhin an einem großen Lehrbuch über Atome, Moleküle und optische Physik, vielleicht werde ich auch mal die Geschichte von Adlershof nach der Wende schreiben. Vielleicht werde ich auch versuchen, meine verrosteten Cello-Künste wieder aufzupolieren. Vor allem aber habe ich meiner Frau, die über viele Jahre nur einen viel zu geringen Teil meiner Aufmerksamkeit bekommen hat, versprochen, dass dies jetzt besser werden soll. Und dann gibt es natürlich meine vier erwachsenen Kinder, die – man sollte es nicht glauben – gemeinsam mit den inzwischen bereits fünf Enkelkindern mehr Zuwendung einfordern.
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