Das Wunder von Adlershof
20 Jahre nach Startschuss bestaunen die Macher die boomende Wissenschaftsstadt
Von einem Wunder ist oft die Rede im Einstein/Newton-Kabinett, im Gebäude der WISTA-MANAGEMENT GMBH. So empfinden es viele Gäste der Veranstaltung „20 Jahre Adlershof“. Schließlich gab es Zeiten, in denen der traditionsreiche Wissenschaftsstandort im Südosten Berlins dem Untergang geweiht schien. Um zu zeigen, wie es heute läuft, hat WISTA-Geschäftsführer Hardy Rudolf Schmitz die Pioniere eingeladen. Sie alle waren als Politiker, Manager, Wissenschaftler, Unternehmer oder Städteplaner an der Entwicklung des Standorts beteiligt. Heute erzählen sie „von damals“, von ihren Hoffnungen und Befürchtungen, von Chancen und Gefahren. Heute wollen sie anschauen, was sich in den letzten Jahren alles verändert hat und – last but not least – alte Weggefährten treffen.
„Trostlos“ habe es ausgesehen, als er im Dezember 1991 zum ersten Mal hier „herumgeschlichen“ sei, erzählt Ingolf Hertel. „Da kann man was draus machen“, dachte der Physikprofessor aus Freiburg und wagte auf dem ehemaligen Gelände der Akademie der Wissenschaften (AdW) der DDR einen Neuanfang. Er wurde Direktor am Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI), das aus Teilen des ehemaligen „Zentralinstituts für Optik und Spektroskopie“ neu gegründet worden war. So hatte es der Wissenschaftsrat empfohlen. Doch darüber hinaus sei „damals vieles unklar gewesen“, erinnert sich Hertel.
Eines allerdings war deutlich, und zwar die Absicht des Berliner Senats, Adlershof zu einer kraftvollen Technologie-, Wissenschafts- und Medienstadt auszubauen. Vorbereitet wurde die Neustrukturierung des maroden Standorts durch das 10-Punkte-Programm „Zukunft für Berlin-Adlershof“, das Vertreter der Industrie- und Handelskammer (IHK), der Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin (WFB) und der KAI-AdW ausgearbeitet hatten. „KAI-AdW“ steht für „Koordinierungs- und Abwicklungsstelle für die Institute und Einrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR“. Das Wort „Abwicklung“ verhieß nichts Gutes, doch KAI-AdW-Geschäftsführer Hartmut Grübel sah es eher konstruktiv. „Wir wollten vorhandene Potenziale erhalten und in neue Strukturen überführen“, sagt er jetzt bei der Podiumsdiskussion.
Dabei traf er auf Männer wie Norbert Langhoff, der mehr als 30 Jahre an der Akademie arbeitete, davon zwei Jahrzehnte als Direktor des Zentrums für Wissenschaftlichen Gerätebau (ZWG). Grübels Vorschlag, als 55-Jähriger doch in Rente zu gehen, habe er nicht angenommen, erzählt der Ingenieur. Stattdessen gründete er mit Kollegen das Institut für Gerätebau, aus dem das Institut für angewandte Photonik (heute Institute for Scientific Instruments) entstand – ein sehr erfolgreiches Unternehmen. Langhoff spricht nicht von Wunder, sondern von einer Erfolgsgeschichte, die ohne das wissenschaftliche Potenzial, den Willen und den Wagemut der ehemaligen AdW-Mitarbeiter nicht möglich gewesen wäre. „Adlershof ist der in Stein gegossene Traum meines Berufslebens“, betont Langhoff. Er spricht damit auch für die vielen Wissenschaftler, denen im Adlershofer Innovations- und Gründerzentrum (IGZ) die Unternehmensgründung geglückt ist.
Wagemutig sieht sich auch Norbert Meisner. Der Finanz- und spätere Wirtschaftssenator war an den Beschlüssen zur finanziellen Ausstattung des Wissenschafts- und Technologieparks beteiligt. „Wenn man überlegt, was alles hätte schief gehen können, ist der Erfolg von Adlershof ein Wunder“, sagt er heute.
Eine Kopie des 10-Punkte-Programms, das die „Entwicklung des Standorts Adlershof zu einer integrierten Technologielandschaft“ propagierte, liegt bei der Veranstaltung aus. Am 12. März 1991 war das Papier der „Staatssekretärskonferenz“ vorgelegt worden. Dabei war an führender Stelle Hans Kremendahl. Der damalige Wissenschafts-Staatsekretär glaubte an die Adlershofer Zukunft, trotz teilweise schlechter Prognosen. „Ich wusste von Anfang an, dass das ein wissenschaftlich und technologisch herausragender Standort wird“, sagt Kremendahl. Erstaunt sei er jetzt über die vielen neuen, auch architektonisch interessanten Gebäude.
Detailliert deutlich wird die rasante Entwicklung während der Bustour, auf der Peter Strunk, Leiter der WISTA- Öffentlichkeitsarbeit, neue Gebäude und innovative Institute, hochgezüchtete Labore, Synchrotronbeschleuniger und solide Fertigungsstätten, Groß- und Kleinproduktionen sowie Medientempel, Hörsäle und eine supermoderne naturwissenschaftliche Bibliothek zeigt.
Auch Professor Hildebrand Machleidt zeigt sich beeindruckt „von soviel neuen Instituten, Projekten und Bautätigkeit“. Faszinierend ist für den Städteplaner, dass noch so viel Potenzial vorhanden und dies in der Grundinfrastruktur bereits angelegt sei. Bei der Erstellung des städtebaulichen Gesamtplans hatte er so manchen Strauß mit den Forschern auszufechten. „Man musste aufpassen, dass die Straße nicht durchs Gebäude geführt wurde“, erzählt lachend Ingolf Hertel.
Um Existenzgründungen möglich zu machen und gezielt Unternehmen von außen anzulocken, sei der Aufbau von Kompetenzfeldern wichtig gewesen, betont Schmitz, WISTA-Chef seit 2003. Zuerst gelang dies in den 1990er Jahren mit den optischen Technologien. Dem Aufbau der Mikrosystemtechnik um die Jahrtausendwende folgte die Photovoltaik. Und nun ist das Feld der Analytik zu bestellen, das auch dank der Präsenz der Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM) und der HU-Naturwissenschaften reife Früchte verspricht.
Mittlerweile genießen knapp 8000 Studenten die – so Strunk – „exzellenten Studienbedingungen“. Mehr als 14.000 Mitarbeiter strömen täglich in die 17 Institute und rund 900 Unternehmen. Abends und am Wochenende sind Straßen und Plätze jedoch nur wenig bevölkert. Die Schaffung von Urbanität steht somit ganz oben auf dem Merkzettel des Geschäftsführers Schmitz und in der Diskussion. Einiges ist schon erreicht worden. So führen seit kurzem zwei Straßenbahnlinien vom neu gestalteten S-Bahnhof in die Wissenschaftsstadt. Seit gut einem Jahr lockt das „Forum Adlershof“ als neue Mitte der Wissenschaftsstadt mit modernisiertem, denkmalgeschütztem Gebäudeensemble, Restaurant, Biergarten und Veranstaltungsräumen die Menschen an.
Mit erweitertem Straßenbahnanschluss bis nach Schöneweide und Johannisthal, mit dem Bau von Studentenwohnheimen, auch durch die Anziehungskraft des neuen nahen Flughafens Schönefeld für Gewerbe und Handel soll noch mehr Urbanität entstehen. Ob das gelingt, wird sich zeigen, wenn vielleicht wieder ein Treffen der Macher von Adlershof stattfindet. Die alten Weggefährten Hertel und Machleidt plädieren jedenfalls für eine Wiederholung des „Klassentreffens“. Wann das sein sollte? „Vielleicht in fünf Jahren“, sagt der Städteplaner, „dann sind wir noch frisch“.
von Paul Janositz