Der Herr der Puppen
Ole Lukoje nennt man ihn in Dänemark, Jon Blund im Rest Skandinaviens. Die Niederländer rufen ihn Klaas Vaak und die Tiroler Pechmandl. In Deutschland ist er einfach der Sandmann. Inzwischen ist er mehr als 50 Jahre alt. Genauso lange hat Winfried Kujas mit der kleinen Figur des DDR-Kinderfernsehens zu tun. Heute ist er einer der Geschäftsführer der Sandmann Studio Trickfilm GmbH und Hüter des Sandmann-Schatzes.
Der Berliner Fernsehturm steht gleich neben dem Kreml, nicht weit davon die Tatra-Seilbahn, eine Raumkapsel und ein Hotelschiff. Unzählige Requisiten und Videobänder stapeln sich im Keller des Gebäudes in Adlershof; viele andere sind bereits in Holzkisten verpackt und gehen demnächst auf Tour. Zu jedem dieser Teile kann Kujas eine Geschichte erzählen. Auch in seinem Büro stapeln sich Puppen und Dekorationen in Vitrinen und Stahlschränken. Zum Beispiel mehr als 50 orientalische Figuren. Die wollte sogar die britische Rundfunkanstalt BBC mal für ein Programm haben, sagt er. Im Foyer steht eine Trabant-Imitation. Ein Renner bei den Sandmann-Ausstellungen. Winfried Kujas ist eine Art Sandmann-Lexikon, Herr der Puppen und Reisender in Sachen Sandmann. Die nächsten Stationen sind Hannover und Meißen. 70 Sandmann-Ausstellungen – allesamt Zuschauermagneten – liegen bereits hinter ihm, die letzte große ist im Januar in Potsdam zu Ende gegangen und hat den 50. Geburtstag der Figur gefeiert.
Dabei ist der Sandmann in seiner jetzigen Form schon der dritte Entwurf. Der erste, der Ur-Sandmann, sagt Kujas, ist irgendwie verschwunden. Er vermutet: „Der war so schlecht, dass der Vater des Sandmanns, Gerhard Behrendt, ihn gleich wieder aus dem Verkehr gezogen hat. Keiner hat ihn je wieder gesehen.“ Der zweite war besser, aber noch etwas klobig. Erst der dritte Entwurf flimmert auch heute noch fast unverändert über die Bildschirme. Bis zu 8.000 Euro ist eine solche originale Sandmann-Puppe heute wert.
Die Zeiger der Fernsehuhr stehen auf 18.50 Uhr: „Sandmann, lieber Sandmann, es ist noch nicht soweit. Wir senden erst den Abendgruß, ehe jedes Kind ins Bettchen muss.“ Am abendlichen Sandmann- Ritual erfreut sich inzwischen die vierte Generation. „Früher“, sagt Winfried Kujas, „war es fest in den abendlichen Tagesablauf vieler Familien integriert.“ Waschen, Abendbrot, Sandmann, Bett. Uhr und Musik durften auf keinen Fall geändert werden. „Die Kinder“, sagt Kujas „haben sich die Zeigerstellung der Uhr eingeprägt, so wie sie sowieso schnell Fehler merken.“ Erwachsene, die Programme für Kinder machen, müssten daher höllisch aufpassen. Heute, meint Kujas, wird da oft geschludert.
Auf mehr als 250 verschiedenen Transportmitteln fliegt, fährt, reitet, schwebt der Sandmann ins abendliche Wohnzimmer, mal auf einem Orientteppich, mal in der Rakete, dann wieder auf dem Skateboard. Kujas Favorit ist das Feuervogel-Ensemble, eine Pferdetroika mit wunderschönem russischem Hintergrund. Überhaupt sind die Kulissen und die Fantasie ihrer Hersteller der ganze Stolz Kujas’. Immer hatte das Szenenbild einen Bezug zum Alltag der Menschen in ihren Regionen. Da kam der Sandmann im Spreewaldkahn, fuhr an Containerschiffen im Rostocker Überseehafen vorbei, mit dem Schlitten das Oberhofer Panoramahotel herunter oder auf dem Schiff durch das Schiffshebewerk Niederfinow, das für die Kulisse originalgetreu nachgebaut wurde. Inzwischen war er aber auch in der Loreley oder zum 50. Jubiläum sogar im Schwarzwald.
Zwar hat der Sandmann sich als Koproduktion der drei Rundfunkanstalten RBB, MDR und NDR im gesamtdeutschen Fernsehen etabliert. Mehr als eine Million Zuschauer sind es jeden Abend. Doch auch er musste in der Wendezeit einige Federn lassen. Die dreieinhalb Minuten lange Sandmann-Rahmenhandlung ist auf einen 30-Sekunden-Einführer geschrumpft, der Abendgruß – früher sechs Minuten lang – dauert heute gerade dreieinhalb Minuten. Zu kurz, findet Kujas, die Kinder könnten sich gar nicht richtig darauf einstellen. Auch die Dekorationen wurden spärlicher.
Kujas hat den Wechsel hautnah erlebt, Ende Dezember 1991 in den Adlershofer Studios das „Licht ausgemacht“. Da wusste er aber schon, dass es weitergehen würde. Wie – das wusste er nicht. Anfangs habe man in Babelsberg nachts gedreht, geschnitten und auf Bänder überspielt. Vier Studios gab es in Adlershof, die Kinderfernsehen machten, in Babelsberg startete die eigens gegründete GmbH in einer Baracke. Dekorationen verschwanden, Handpuppen auch – manchmal einfach achtlos entsorgt. „Schrecklich”, fand der heute 72-Jährige diese Zeit. Das Archiv konnten Kujas und seine Kollegen aber retten.
20 bis 25 Tage dauert es, bis Vor- und Abspann eines Abendgrußes produziert sind. Aus 25 einzelnen Bildern entsteht der Eindruck der Bewegung. Die Fernsehpuppe besuchte nicht nur Kinder der DDR, sondern verstreute ihren Sand auch in Lappland, Japan oder Ägypten. Und auch heute noch exportiert die Sandmann GmbH viele Folgen. Unter anderem nach Schweden. „Die“, sagt Kujas mit einem Augenzwinkern, „kaufen aber lieber die alten Folgen.“
von Rico Bigelmann
Internet:
www.sandmannstudio.de