Der Raum als dritter Lehrer
Die neue Gemeinschaftsschule Adlershof an der Hermann-Dorner-Allee wird als Compartment-Schule errichtet, bei der die Architektur Teil des Lernkonzepts ist
Nach seiner eigenen Schule gefragt, erinnert sich Jens Wadle, Bereichsleiter Schulneubau bei der HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH, an einen „Schulbaukörper mit wenig Grün- und Freiflächen“. Als „wenig einladend und düster“ bezeichnet sein Kollege Carsten Sälzer, Projektleiter Schulneubau, die dunkle Eingangshalle seiner Schule aus schwarzem Boden und viel Beton. Gemeinsam kümmern sich beide um einen Schulneubau mit 1.400 Plätzen an der Adlershofer Hermann-Dorner-Allee, bei der die Architektur Teil moderner Lernkonzepte ist. Es ist der vierte HOWOGE-Schulneubau und die erste Gemeinschaftsschule in Berlin, die nach dem Compartment-Konzept der Berliner Schulbauoffensive errichtet wird.
An der Schnittstelle zwischen Wohngebiet, Landschaftspark Johannisthal und Technologiepark schließt der Schulneubau eine prominente Lücke und schafft gleichzeitig ein neues Entree zur Wissenschaftsstadt Adlershof. Inzwischen ist auch der Architekturwettbewerb entschieden, aus dem der Entwurf der AFF Gesellschaft von Architekt/-innen aus Berlin als Sieger ausgewählt wurde.
Schule, das bedeutete früher lange Flure, in denen links und rechts Klassenzimmer abgingen. Darin sei man „abgeriegelt“ gewesen, erinnert sich Jens Wadle. Zeitgemäße Schulgebäude sehen anders aus. Die Anforderungen an sie haben sich verändert. „Das erfordert neue bauliche Lösungen. Schulen sind heute ganztägig und inklusiv genutzte Lern- und Lebensräume. Sie benötigen flexible Raumkonzepte und ein neues Zusammenspiel von Architektur, Organisation und Pädagogik“, erklärt Wadle.
Eine Compartment-Schule, das sind, vereinfacht gesagt, mehrere „kleine Schulen“ in einer großen. Sie ist die Abkehr von der traditionellen Flurschule. Die „große Schule“ wird in mehrere kleine Organisationseinheiten, die Compartments, unterteilt. Jedes Abteil besteht aus mehreren Unterrichts- und Teilungsräumen. Sie alle gruppieren sich um einen zentralen Ort, das sogenannte Forum – das Herzstück der neuen Schule. „Transparenz, Flexibilität, eine stärkere Identifikation und eine starke Schulgemeinschaft sind das Ziel“, erklärt Projektleiter Carsten Sälzer.
Der Baukörper wird im Süden des Schulgrundstücks an den Eisenhutweg in eine ehemalige Kleingartensenke platziert. Er ist ein Organismus, dessen Teile eng miteinander kommunizieren, der Übergänge zwischen Aktivität und Rückzug, öffentlichen und geschützten Orten schafft. Die kleinen Schulhäuser der Primar- und Sekundarstufe bilden eine gebaute Landschaft. Die zwei- bis dreigeschossigen Schulhäuser wechseln sich mit ergänzenden Lernorten unter freiem Himmel ab. Durch das geschickte Ausnutzen des abfallenden Geländes werden die 30.000 m² Bruttogeschossfläche fast durchgängig in den drei oberirdischen Geschossen untergebracht. Die einzelnen Compartments mit den Unterrichtsräumen in den Obergeschossen erreicht man über fünf Treppenhäuser. Zwei Sporthallen liegen im Sockel des Schulgebäudes. Verglaste Galerien führen von beiden Eingangshallen dorthin.
Eine breite Eingangsbrücke am Eisenhutweg wird der Eingang zur Schule und zu den Sporthallen. Für die Grundstufe und besonders für die Schulanfänger/-innen gibt es einen separaten Zugang. „Die Kleinsten sollen gut ankommen und kurze Wege haben. Deshalb war es wichtig zu fragen: Wie weit müssen sie laufen, um zu den Schulfreiräumen zu gelangen?“, erklärt Sälzer. Alle gemeinschaftlich genutzten Flächen wie der verglaste Mehrzweckbereich mit Mensa, Verwaltung, Bibliothek sowie Werk- und Kunsträumen sind im Erdgeschoss untergebracht. Die Schulfreiflächen nördlich der Schule schaffen einen direkten Übergang zum Landschaftspark. Aus den Unterrichtsräumen sollen Lehrende, Kinder und Jugendliche in das Forum schauen können, weshalb Türen oder Wände teilweise aus Glas sein werden.
Gerade die Mischung aus kleinteiliger, innerer Struktur und kompakter Anordnung der gemeinschaftlichen Flächen überzeugte die Jury des Wettbewerbs. Auch Außenerscheinung und Materialität sind von der Umgebung inspiriert. Das abstrahierte Mauerwerk in Form einer vorgehängten Ziegelfassade bildet eine Brücke zur gewerblichen Tradition des Standortes, Fassade und geneigte Dächer sind eine Referenz an alte Industriearchitektur. Der Baubeginn ist für das Jahr 2023 geplant. Drei Jahre später sollen Schüler/-innen und Lehrkräfte einziehen.
Von Rico Bigelmann für Potenzial – Das WISTA-Magazin