Der Spätberufene
In den Kellerräumen stehen in Kalkstein gehauene Köpfe, im Konstruktionsbüro hängen Acrylbilder von Pferden und das Besprechungszimmer beherrscht eine Schrankwand, deren Türen mit Tanzszenen bemalt sind. Ingenieur Gerhard Hinte konstruiert am Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften – ISAS e. V. die Mechanik neuer Spektrometer und arbeitet zudem daran, ein spät gefundenes Talent mit Leben zu erfüllen.
Vor vier Jahren sollte er zum 80. Geburtstag des Vaters einen Familienstammbaum zeichnen. „Dabei habe ich gemerkt, dass mir das gar nicht so schwerfällt“, so die Umschreibung für die Entdeckung seiner künstlerischen Ader. Gerhard Hinte selber war zu diesem Zeitpunkt 58 Jahre alt. Kein Hinderungsgrund für ihn, nun mehrere Kurse an der Volkshochschule zu belegen und täglich nach Dienstschluss bis spät in den Abend hinein zu malen. Es entstanden riesige Landschaften, wie der Gebirgszug „Wilder Kaiser“. Hinte sagt, wie über sich selbst erstaunt: „Der sieht sogar so aus.“ Er malt und zeichnet alles, was ihm gefällt: Bauwerke; Menschen unterschiedlicher Kulturen, beim Tanzen und Musizieren; Selbstporträts und unter anderem auch das Institutsgebäude. „Akte und Pferde sind schwierig“, sagt er. An Letzteren versucht er sich erst seit wenigen Wochen und hat hier scheinbar ein neues Lieblingsmotiv gefunden. Er müsse nun noch mehr in die Natur gehen und am lebenden Objekt arbeiten. Bislang entstehen alle Werke auf ausrangierten Pappen, denn Hinte traue sich noch nicht auf Leinwand zu malen, weil „ich sie nicht verderben will.“ Froh sei er, die hohen Kellerräume des ISAS nutzen zu dürfen, da er in seiner Wohnung nicht über den nötigen Platz zum Arbeiten verfügen würde. Und die Kollegen hätten auch nichts dagegen, dass zahlreiche Werke bereits die Treppen hinauf in andere Institutsbereiche gewandert sind.
Vor zwei Jahren kam die Liebe zur Bildhauerei dazu. Auch hier besuchte der studierte Maschinenbauer bereits mehrere Intensivkurse, investiert Zeit und Geld. Gefragt, ob er vielleicht über ein Künstlergen verfüge, zuckt Hinte mit den Schultern. Er wisse nur von einem Urgroßvater, der malte und Stellmacher war. Gerhard Hinte erklärt, dass in jedem Fall der Beruf fürs Hobby äußerst dienlich sei: „Wie beim Konstruieren muss man sich die Dinge dreidimensional vorstellen können.“ Ursprünglich wollte der freundliche 62-Jährige weder malen noch musizieren, sondern fotografieren. Aber auch das wird er sicher rasend schnell erlernen. Spätestens in drei Jahren, denn dann geht er in den Ruhestand.
Von Peggy Mory