Make Fiction, not Science!
In der bildenden Kunst gibt es aktuell große Begeisterung für Künstler, die sich mit Wissenschaft auseinandersetzen. Der bekannteste Vertreter ist der Däne Olafur Eliasson, der die Schönheit der Physik in Ausstellungen zu inszenieren weiß: Projektoren spalten Schatten in verschiedene Farben auf, ein großer wabenförmiger Spiegelraum demonstriert auf spektakuläre Weise Einfalls- und Ausfallswinkel, und an zentraler Stelle hat der Künstler einen Forschertisch installiert, der mit zahllosen geometrischen Modellen beladen ist.
Dieser Tage eröffnete im großen Museum für Gegenwartskunst, dem Hamburger Bahnhof, eine Ausstellung des Argentiniers Tomás Saraceno, der sich zwischen Architektur, Wissenschaft und Kunst bewegt. Er will irgendwann eine schwebende Stadt errichten und die Zwischenstände seiner absolut ernst zu nehmenden Forschung eignen sich prächtig für Museumsausstellungen: durchsichtige, begehbare Ballone aus PVC, die frei im Raum aufgehängt sind.
Andere beschäftigen sich – im Kunstbereich sehr erfolgreich – mit Umweltfragen oder kinetischen Ereignissen, wie Tue Greenfort, Jeppe Hein, Carsten Nicolai und viele andere. Wie kommt es zu dieser großen Begeisterung für Kunst, die naturwissenschaftliche Phänomene sichtbar macht? Die etwas illustriert, was wir schon wissen oder zumindest wissen könnten?
Zum einen suggerieren diese Werke Objektivität – eine Größe, die in der bildenden Kunst eigentlich vollkommen fehlt. Normalerweise ist Kunst nicht messbar, hier aber haben die Exponate den Anschein. Zum anderen hat diese Kunst in aller Regel einen attraktiven, klinischen Look, die Oberflächen schimmern mattsilbern oder sind hochreflektierend, die Bewegungen sind reibungslos, die Präsentation ohne Makel. Die neue Wissenschaftskunst scheint angenehm unangreifbar: Hier gibt es nicht viel zu deuten, hier sind die Fakten gesichert.
Eigentlich ist die Sache naheliegend: Künstler und Wissenschaftler operieren beide am Rande des Bekannten, sie brechen in gedankliche Welten auf, die Neuland sind (oder sein sollten) und das, was sie der Allgemeinheit davon zu berichten haben, ist ein hohes Gut, das sich der Allgemeinverständlichkeit nicht selten entzieht. Wissenschaftler und Künstler haben vielleicht einiges gemeinsam, aber sie tun nicht dasselbe. Und sie sollten sich auch davor hüten.
Denn noch etwas anderes fällt bei Eliasson, aber auch bei den vielen Künstlern einer nur wenig jüngeren Generation auf, die sich der naturwissenschaftlichen Betrachtung verschrieben haben und damit im Ausstellungsbetrieb erfolgreich sind: Kaum einer von ihnen stellt die Wissenschaft einmal infrage. Sie alle moderieren und flankieren Forschung und Wissenschaft überraschend unkritisch. Sie fechten keine neuen Weltsichten aus, sondern verlassen sich auf die bewährten Ordnungssysteme, doch tatsächlich gibt es nicht besonders viel zu lernen.
Diese Kunst setzt auf das, was wir wiedererkennen, lesen und verstehen können. Sie bildet den Stand der Dinge einfach noch mal ein bisschen anders ab, als er ohnehin in den Physikbüchern steht, oder in anderen frei zugänglichen populären Wissensarchiven. Alle diese Kunstwerke sind hoch ästhetisierte Bestätigungen dessen, was wir bereits längst als gesichert annehmen.
Den umgekehrten Blick wagte der Fotokünstler Thomas Ruff: Er adaptierte wissenschaftliche Fotografien des nächtlichen Sternenhimmels. Diese Aufnahmen behaupten nichts, sie liefern keinerlei Koordinaten, sie sind nicht mal für Astronomen von irgendeinem informativen Wert. Und doch gehen sie viel weiter als eine bloße Huldigung der Schönheit des Firmaments: Denn dieser Sternenhimmel erinnert uns an die Grenzen unserer Vorstellungskraft. So ist dieser Blick ins Ungewisse am Ende vielleicht viel ergiebiger, als der durch die Linsen der Hochleistungskameras und Mikroskope – auch wenn man am Ende vielleicht dasselbe zu sehen bekommt. Wo die Anschauung endet, beginnt die Fiktion. Und auch das, was man nicht verstehen, erklären, zeigen kann, ist Kunst.
von Silke Hohmann