Kunst als Kapital
Adlershof ist in puncto Kunst kein blinder Fleck
Auf den Bildern von Ulrich Diezmann stehen mächtige Bäume, unter denen Pferde und Reiter ihren Platz finden. Flach und dunkel wachsen sie als Silhouetten vor wechselnder Himmelskulisse. Dass der Maler sich nicht von der unmittelbaren Umgebung inspirieren lässt, beweist ein Blick aus seinem Atelierfenster: Bäume findet man zwar zahlreich in Adlershof, mit Pferden aber ist das so eine Sache. Außerdem wiederholt Diezmann das Motiv gleich mehrfach auf kleinen Leinwänden. Sonst wäre es kitschig, meint er. Das Serielle aber offenbart den künstlichen Charakter jener Szenerien, die ein Bedürfnis nach Romantik stillen und den schönen Moment sogleich enttarnen. Was man neunfach zu sehen bekommt, unterläuft den Anspruch auf Einzigartigkeit.
Singulär ist dagegen das Atelierhaus in der Wissenschaftsstadt Adlershof. Zwischen all den technologieorientierten Unternehmen bildet es einen Ort der Produktivität, der nach anderen Kriterien funktioniert. Selbst wenn sich hinter jeder Tür eine Art Labor verbirgt, in dem Abstraktes und Figürliches entsteht. Oder ein vielseitiges Talent wie Christian Schmidt, der Geigen und Violinen nach historischen Vorbildern fertigt.
Wer hier arbeitet, kommt meist aus anderen Bezirken nach Treptow-Köpenick. Viele fahren aus Kreuzberg oder Mitte zu dem unscheinbaren Gebäude, das bis unters Flachdach Ateliers unterschiedlicher Größe beherbergt. Zu unschlagbar günstigen Mieten, weil die Stadt über das Kulturwerk des BBK Berlin (nicht bloß in Adlershof) seit Langem Standortförderung für Künstler betreibt. Das ist wichtig, weil junge Absolventen der Kunstakademien erst einmal einen Ort brauchen, der sie ohne großen finanziellen Zwang produzieren lässt. Aber auch für eine etablierte Malerin wie Stephanie Jünemann, die derzeit zwischen zwei Städten pendelt und deshalb unregelmäßig zum Arbeiten kommt. Ihre früheren Ateliers lagen nahe der Wohnung, das letzte fand sich in einem alten Gemäuer in Prenzlauer Berg. Ein schöner Ort voller Geschichte“, sagt Stephanie Jünemann. Inzwischen schätzt sie allerdings die „Neutralität der aktuellen Adresse, die ein hohes Maß an Konzentration ermöglicht.“ Das kommt ihrer Malerei entgegen, den Gitterstrukturen, die ohne Pinsel auf die glatten Hintergründe gegossen werden und so lange fließen, bis vielschichtige abstrakte Farbräume entstehen.
Man muss gar nicht in jedes Atelier geschaut haben, um zu bedauern, dass diese produktive Stätte in Adlershof so wenig sichtbar ist. Ein Tag der offenen Ateliers wäre wünschenswert, damit das Potenzial auch für andere am Ort zugänglich wird. Wie in der Galerie Alte Schule, die nicht weit entfernt an der Dörpfeldstraße Kunstvermittlung betreibt. Als kommunale Galerie in einem der ältesten Gebäude Treptows, das momentan von acht „Künstlerfreunden“ besetzt ist, deren Wege sich seit Jahren kreuzen.
Dass es sich ähnlich mit jenen Malern, Bildhauern und Keramikern verhält, die ihre Arbeiten im Dezember zeigen werden, lässt sich vermuten. Denn schon der Ausstellungstitel „Vor Ort“ verrät: Sie kommen alle aus dem Bezirk. Unter ihnen ist Sybille Meister, die über ein Designstudium zur freien Kunst gekommen ist und Eindrücke der lauten Stadt in zarte, poetische Ansichten verwandelt. Judith Püschel arbeitet seit 1982 als Keramikerin und gibt ihr Wissen, das sie unter anderem in Halle an der renommierten Kunsthochschule Burg Giebichenstein erworben hat, in Kursen an der Volkshochschule Oberschöneweide weiter. Auch Linde und Michael de Maiziere leben in Köpenick. Der Künstler hat eine Lehre als Geigenbauer absolviert und lange Zeit Plakate gestaltet, inzwischen reizt ihn die Skulptur. So deckt die Ausstellung fast alle Disziplinen ab.
Platz ist reichlich hinter den alten Mauern, besonders schön das Licht im großen Saal, der ehemaligen Aula. Ein Streifzug durch das Haus lässt einen schließlich das künstlerische Spielbein des Bezirks entdecken: die Artothek. Als Kunstverleih ist sie über die Jahre gewachsen und versammelt im Depot neben imposanten Ölgemälden kleine grafische Arbeiten, die ihren Charme allmählich entfalten. Auch eine keramische Arbeit von Judith Püschel findet sich, dazu eine getuschte Landschaft von Günter Kiefer-Lerch, der ebenfalls in der Schau „Vor Ort“ vertreten ist. Alles hier kann man für einen geringen Betrag mieten, sich beraten lassen und die Artothek als Einstieg nutzen, um zu schauen, ob und wie es sich mit Kunst leben lässt.
von Christiane Meixner