Die Bakterienforscherin
Heike Enke gewinnt aus Mikroben Wirkstoff für die Krebstherapie
Mit den Ausflügen zum Wannsee hat es vor über anderthalb Jahrzehnten angefangen. Dabei hatte Heike Enke keine Badeklamotten im Gepäck. Sie hatte einen 20-Liter-Kanister mit, füllte ihn mit Wasser und schaffte ihn ins heimische Institut in der Berliner Invalidenstraße, in dessen Keller der Inhalt bald einen bestialischen Gestank verbreitete.
Was die damalige Doktorandin der Biologie und heutige wissenschaftliche Leiterin der Adlershofer Cyano Biotech GmbH im Wannsee suchte, war der grüne Glibber, der in der warmen Jahreszeit manchmal dermaßen überhandnimmt, dass das Wasser wegen Vergiftungsgefahr für Badelustige gesperrt werden muss. Die gefürchteten Blaualgen sind entgegen dem Laienaugenschein keine primitiven Pflanzen, sondern einzellige Lebewesen. Fachleute kennen sie als Cyanobakterien, mit deren Hilfe Enkes Unternehmen derzeit einen Wirkstoff gegen Krebs entwickelt.
Dem Kleinstgetier galt seit jeher Enkes ganze Forscherleidenschaft und Faszination. Seit 3,5 Milliarden Jahren bevölkern Cyanobakterien unsere Erde. Sie waren lange vor den Dinosauriern da und werden wohl auch die Menschheit überdauern. Sie gedeihen in feuchter wie trockener Umgebung, im Salz- wie im Süßwasser, in Eis und Wüste. Diese Überlebenskunst verdanken sie der Fähigkeit, eine, wie Enke sagt, „Riesenbandbreite“ bioaktiver Substanzen zu produzieren, mit denen sie gegen Herausforderungen und Widrigkeiten der unterschiedlichsten Ökosysteme gewappnet sind.
Bereits in ihrer Dissertation befasste sich Enke mit der Idee, das multiple Talent der Cyanos menschlichen Zwecken nutzbar zu machen. Lässt sich die Synthese bioaktiver Stoffe im Inneren der Cyanozelle so steuern, „dass wir am Ende ein Molekül haben, das durch uns beeinflusst ist“? Seit zweieinhalb Jahren arbeitet Cyano Biotech an einem Verfahren, die Bakterien zur Erzeugung eines Giftstoffes anzuregen, der Krebszellen im menschlichen Körper zerstört. Enke spricht von erfolgreich verlaufenen Labortests in Zusammenarbeit mit interessierten Pharmaunternehmen.
Das Herzstück der Firmenräume im dritten Geschoss des Zentrums für Biotechnologie und Umwelt in der Adlershofer Magnusstraße ist die Zuchtstation. In Regalen stehen dicht an dicht aufgereiht Glasgefäße unterschiedlicher Größe, in denen es grünlich schimmert und wabert. Nach Enkes Worten „eine der größten Stammsammlungen in der Welt“ mit rund 4.000 verschiedenen Bakterienarten: „Wir haben auch noch die vom Wannsee.“
Cyanos sind genügsam. Neonlicht, ein paar Nährstoffe, viel mehr brauchen sie nicht zum Wachsen. Alle zwei Wochen ziehen sie um, von einem kleineren in einen größeren Glaskolben, eine Flasche, schließlich einen Kanister. Am Ende trennt sich in einer Zentrifuge die Flüssigkeit von der Trockensubstanz, aus der der Wirkstoff gewonnen wird.
„Viel Zeit bleibt nicht“, sagt die gebürtige Tempelhoferin Enke auf die Frage nach Hobbys. Judo, Reiten, Klavierspielen – für die 43-jährige Mutter von vier Kindern ist all das bis auf weiteres Vergangenheit.
Von Winfried Dolderer für Adlershof Journal